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Rum bidiwum bidiwum oder die Pfarrbesetzung in Merseburg.

Königs betrachtet werden können, daß Merseburg znm Sitz des
Provinzial-Landtags bestimmt tvnrde. Denn hier stört Nichts
die Provinzial-Berbesserer in ihrem wichtigen Geschäfte; sie
! können sich ganz und ungelheilt ihrem erhabenen Berufe hier
! widmen. Kein Coneert einer die Welt durchfliegenden, Gold
suchenden Nachtigall, keine musikalische Soiree eines fingerge-
waltigen Fortepianobeherrschers und Darmsaitenbändigers, kein
i Theater und dergleichen macht sie hier ihrem Geschäfte ab-
trünnig; keine reizende und anmuthige Umgegend lockt sie aus
i den Mauern; kein wogender Straßenlärm stört sie in der
! Arbeit; kein öffentliches Treiben lenkt ihre Aufmerksamkeit aus
sich ; ja! auch selbst der provinziallandtagssitzungscheueste Abge-
ordnete, tvenn sich ein solcher, tvogegen aber protestirt wird,

! darunter befinden sollte, wird hier keine Sitzung versäumen,

: weil er ja seine Zeit gar nicht anders hinznbringen wüßte,
j denn selbst die matteste und einschläferndste Debatte über Pro-
j vinzialirrenhünser und andere dergleichen Weltverbesserunge»
j erscheint hier als eine pure annehmliche Abwechselung in der
tödtlichen Langeiveile des Lebens, als ein Rettungsmittel vor
j Verzweiflung. Ja! es soll vorgekommen sein, daß Abgeordnete,

! die mit einer ziemlichen Portion Arbeitsscheu hierher kamen,
aus purer lieber Laugenweile Geschmack an der Arbeit ge-
funden haben. Auch nicht übel, wenn's anders wahr ist.

Merseburg hat außerdem einen gefangenen Raben, der kohl-
schwarz, und ein Schloß und einen Dom, die sehenswerth sind, und
viele geheime Regierungsräthe, Oberregierungsrüthe und Regier-
! ungsrüthe, von denen aber nicht behauptet werden soll, daß sie
sehenswerth sind. Regiert toird hier nicht wenig, aber
j auch nicht übel.

Doch genug davon. Merseburg hat andere Zeiten ge-
; habt (nun hebt die Geschichte eigentlich erst an), wo auch nicht
wenig regiert wurde, aber nicht von so Vielen, sondern von
Einem, und das war der alte Herzog Moritz Wilhelm von
i Sachsen-Merseburg — und nicht mit der Feder am grünen
! Tische, sondern mit der — Geige.

Mit der Geige?

Nun ja, lieber Leser; wenn einmal die Leute da unten
! tanzen müssen, >vie von oben her die Musik gemacht wird, so
! ist's doch wohl einerlei, ob sie tanzen wie gepfiffen oder
! rvie — gegeigt wird. Und auf's Geigen verstand sich der
! alte Herzog fast eben so gut wie auf's Trinken, nur mit dem
; Unterschiede, daß, wenn er geigte, er Niemandem damit nützte,
und wenn er trank, er Niemandem damit schadete, als sich
! selbst; und das auch nicht einmal; denn im Ganzen geschah's
! doch mit Maß. Gott der Allmächtige mag aber wissen, was
; Seine Durchlaucht für einen Narren an den hohlen Streich-
brettern gefressen hatte; aber zu läugnen ist's einmal nicht,

! eine gute Geige schätzte er höher als eine Frau Consiftorial-
rüthin und tvo eine solche, d. h. eine Geige, auszutreiben tvar,
die sich durch Alter, Größe oder schönen Ton anszeichnete, da
! mußte er sie haben. In dem Ahnensaale sah man an den
Wänden keine Bilder in Stahlpanzern und blitzenden Helmen
oder mit Reifröcken und Fächern, aber Geigen jeglicher Art
von der größten Contrabaßgeige bis zur kleinsten Fiedel in

langer Reihenfolge und in den kleinsten Abstufungen aufgestellt
oder aufgehängt. Auch in seinen Arbeitszimmern fand man
statt der monströsen Hirschgeweihe, statt der Schwerter und
Waldhörner und anderer dergleichen Raritäten, mit denen sonst
hohe Herren ihre Gemächerzn schmücken pflegen, eitel Geigen an-
gebracht; und was Erthat, that er in Gesellschafteiner Geige. Und
eine Geige ist doch auch zur Gesellschaft angenehmer als ein
geschwätziges Weib ; denn letzteres plappert in eins fort und
dann am meisten, wenn man wünschte, sie schwiege; die Geige
spricht aber nur, wenn sie durch den Bogen gefragt wird.
Setzte sich Seine Durchlaucht zur Tafel, so brachte ihm der
Kammerdiener flugs die Tischgeige und stellte sie ihm zwischen
die Beine; sie hatte einen ganz eigenen, zitternden und schwir-
renden, fast erschütternden Ton, der die Magennerven sowie
den Appetit und den —-. Durst reizte. Einige kräftige
Striche vor Tische auf dieser Geige, und das Essen schmeckte
noch einmal so gut! und nun vollends erst der Burgunder,
der selbst ohne Begleitung der Fiedel so deliciös schmeckte.
Präsidirte der durchlauchtigste Landesfürst im geheimen Raths-
Collegio, so ward ihm die Geheimrathsgeige, ein Ding zwischen
Baß und Cello so mitten inne, nachgetragen; und wenn dann
die Herren Geheimen Rüthe etwas recht Förderfames für Fürst
und Land ausgeheckt hatten und zu Markte brachten, so strich
er wohl einige Male beifällig mit dem Bogen über die Saiten.
Ging Er zur Kirche, siehe seine Kirchengeige war auch da;
denn sie stand ein für alle mal in der herzoglichen Hvfloge
und manche lästige Ansprache des alten Hofpredigers und
mancher schöne, heilsame BibelverS ward aus der Hofloge
mit einigen kräftigen Strichen über die Geige, die wie „Rumbs,
rumbs, rumbs," klangen, beifällig begleitet, worauf der würdige
Geistliche nicht verfehlte, jedesmal zum allerunterthänigsten Dank
für den gespendeten Beifall sein schwarzes Sammetkäppchen auf
der Kanzel zu lüften und sich gegen die Hofloge hin dreiinal
zu verbeugen. Schwieg aber die Geige während der Predigt,
so war das ein Zeichen, daß sie keinen rechten Anklang bei
Sr. Durchlaucht gefunden. Deßwegen war auch die erste Frage,
die die Frau Hofpredigerin an ihren Ehegemahl richtete, wenn
er aus der Kirche zurückkehrte, und sie selbst nicht dort gewesen,
die: „Wie viel Striche hast du heute, Männchen?" und es
kam nicht leicht vor, daß er nicht wenigstens sagen konnte:
„Heute habe ich nur einen Streich, aber einen festen." Je
mehr Striche, desto besser. Warum? — Nun das ging ganz
natürlich zu. Bei den bloßen Geigenstrichen während der Predigt
blieb's ja nicht, wenn der alte Hofprediger dem Herzog so recht
aus der durchlauchtigsten Seele heraus oder in die durch-
lauchtigste Seele hinein gepredigt hatte. Soviel Geigenstriche
es während der Predigt aus der Hofloge setzte, soviel Flaschen
alten guten Weins bekam er nach der Predigt aus dem fürst-
lichen Hofkeller in's Haus geschickt, und darum war's damals
allgemeine Sitte im Lande zu sagen: „In Merseburg ist
ein Strich soviel werth als eine Flasche guten
Weins. Jetzt sollen aber Manche dort einen Strich haben,
der keinen Heller, geschweige eine Flasche Wein werth ist.

Der herzogliche Hofkellermeister hatte ein für alle Mal
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