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Rum bibiiuunt bibiroum ober bie Pfarrbesetzung tit Merseburg.

den Auftrag, alle währeub der Predigt ober bei Gelegenheit
einer Casualrede aus der Hofloge hervortönende Striche zu
zählen unb ebenso viele Flaschen Wein an den Hofprediger zu
bringen. Aber der Hofkellermeister war ein Schalk, und da es
vorgekommen, daß er einen oder den andern, Strich ungezählt
gelassen oder im Abbiren nicht immer fest war, so controllirte
ihn Seine Hochwürben, der alte Hofprediger und machte während
der Predigt bei jedem Beifallsstriche unbemerkt — einen Kniff
in das Beffchen, und kam er dann zu Haus, so zählte die Frau
Hofpredigerin die Kniffe, und so viel Kniffe im Beffchen, so
viele Flaschen beanspruchte sie. Wenn sich dann eine Differenz
zwischen den Kniffen und den überbrachten Flaschen ergab, so
sagte sie dreist auf ihres Mannes Beffchen zeigend: „Hier
wird nicht nach Strichen, sondern nach Kniffen gezählt!"

Ach! welch' eine glückliche Zeit damals für Merseburg!
Jeder Kniff war so gut wie eine Flasche Wein. Ob jetzt
Merseburger Kniffe, wenn es deren geben sollte, noch denselben
Werth haben, mag der Himmel wissen. Ich weiß es nicht.

Nun, lieber Leser, der alte, reich mit Strichen und
Kniffen während seines irdischen Tagewerks gesegnete Hof-
prediger that die Augen zu und den auf seine einträgliche
Stelle wartenden Abspiranten den Gefallen, sie nicht wieder
zu öffnen, sondern die elende Zeitlichkeit zu segnen unb mit
der himmlischen Freude zu vertauschen. Solcher Abspiranten
gab's aber im Merseburger Ländchen die Hülle und Fülle.
Denn die Weinspende aus dem herzoglichen Keller war ein
angenehmes Accidenz. Daher kam's denn, daß gleich nach
dem Tode des würdigen Hofpredigers Bittgesuche über Bitt-
gesuche bei dem Herzog um die erledigte Pfarrstelle einliefen.
Die alte Fahrpost mußte vier Wochen lang einen Beiwagen
mitnehmen, um alle die Suppliken, Bittgesuche, ll'estimonia
worum et diligentiae, Empfehlungsschreiben und Verwend-
ungsbriefe, die nach Merseburg bestimmt waren, zu fördern.

Die meisten dieser Schreiben ivaren an die allerhöchste Person
Ksreuissimi selbst gerichtet; andere an hochstehende Beamte,
eine dritte Classe an einflußreiche Hofdiencr der niedern Ordnung.

Keiner aber im ganzen Merseburger Ländchen dachte
bei dieser Gelegenheit mit größerer Sehnsucht und heißerem
Verlangen an eine endliche Versorgung im Pfarramt, als
der Candidat der Theologie Traugott Sebald, obgleich viel-
leicht keiner weniger Aussicht dazu hatte, als gerade er.

Er war der Sohn eines armen, in einer entfernten Lan-
desgegend angestellt gewesenen Cantors und Schulmeisters, hatte
von Jugend auf viel Liebe zur Wissenschaft, namentlich zu dem
Worte Gottes gezeigt und dadurch in seinem Vater den ver-
zeihlichen, wenn gleich mit seinen geringen Mitteln kaum aus-
führbaren Wunsch erregt, ihn zu einem geistlichen Herrn und
Würdenträger der Kirche heranzubilden. Auch zu der Musika,
in der der. alte Cantor wohl erfahren und geübt war, zeigte
der Knabe von Jugend auf viel Vorliebe und Talent und
lernte von seinem Vater bald die Geige spielen. Ach! diese
Geige bildete in dem sonst armseligen Leben des alten Schul-
lehrers einen Glanzpunkt. Sie war eine ächte Cremoneser und
durch Vermächtniß an ihn gelangt, ein tvahres Prachtstück in

Betreff ihres reinen, himmlischen Klanges. Halbe Nächte lang
konnte der Alte mit wahrem Herzensentzücken seinem Sohne
zuhören, wenn dieser, während der helle Mond durch das Ge-
zweig eines Apfelbaunies in das dürftig ansgestaltete Zimmer
hereinschien, die kleinen ansprechenden Volkslieder, die in jedes
für Poesie und Musik empfängliche Menschenherz den stillen Segen
behaglicher Zufriedenheit und tief innerlicher Stimmung hinein-
zuzanbern verstehen, spielen hörte; und wenn der vierzehn-
jährige Traugott dann sein stundenlanges Spiel mit dem
Kircheulicde von Sigismund Weingärtner: „Auf meinen lieben
Gott, trau ich in aller Noth" re., das des Vaters Lieblings-
lied war, schloß, dann liefen dem lieben Alten regelmäßig
vor Rührung, Trost und Freude die Hellen Thrünen aus
den Augen und Gott weiß, worüber er sich mehr freute und
woran er sich inniger erbaute, an dem wunderbaren Klange
und der herzgewinnenden Stimme seiner Geige, oder an
dem innigen andächtigen Spiel und den täglichen Fortschritten
seines Traugott, oder aber an dem trostreichen und erheben-
den Inhalt des schönen Liedes.

Der Geistliche des Orts half unserm Trangott in der
lateinischen und griechischen Sprache nach, so daß er in seinem
fünfzehnten Lebensjahre auf die Gelehrtenschule zu Merseburg
gebracht werden konnte. Auch hier war er der Fleißigsten und
Emsigsten Einer, aber ein unglückliches Ereigniß, das ihm hier
begegnete, wirkte nachtheilig auf seine ganze Zukunft. Er war
mit mehreren anderen Scholaren um Weihnachten herum zum
Schlittschuhlaufen hinausgegangen auf den großen St. Gott-
hards-Teich bei Merseburg, der die großen wohlschmeckenden
Karpfen für alle die Glücklichen liefert, die solche bezahlen
können. Die Scholaren spielten wie gewöhnlich „Räuber und
Gensdarmen" ans ihren Schlittschuhen und fuhren wie eben so
viel losgelassene junge Teufel mit haarsträubender Geschwindig-
keit und in allerlei geschickten und gefährlichen Wendungen auf
der Spiegelfläche des großen Teiches umher, die Räuber fliehend,
die Gensdarmen mit löblichem Eifer, als ob es einem großen
Staatszwecke gelte, verfolgend hinterdrein. Unserm Trau-
gott >var das Loos eines Räubers zugefallen, und da er
einer der Jüngsten und am wenigsten Gewandten war, so
nahmen ihn die Herren Gensdarmen am meisten auf's Korn.
Er flieht bald hier, bald dort hin, immer eifrig verfolgt
von der jubelnden Rotte der Häscher. Er kommt gewaltig
in die Klemme, macht sich noch einmal los und flieht nun
mit furchtbarer Eile gerade auf einen Haufen mitten auf
dem Eise stehender Herren und Damen zu, die hieher ge-
kommen waren, sich einen Augenblick an dem kindlich ver-
wegenen Spiel der Schuljugend und an den Schnörkeln und
Figurendrechseln der übrigen zahlreichen Schlittschuhläufer
zu belustigen. Unser Traugott sah den Haufen wohl; er
wollte hart an ihm vorbeischießen, sich dann plötzlich wenden,
schwenken und um den Haufen hernmfliegen, um so den
eifrigen Herren von der Gensdarmerie ein Schnippchen zu
schlagen. Das war ivohl ausgedacht und eine gut ersonnene
Kriegslist. Aber einer der Herren, der am äußersten rechten Ende
des Haufens stand, mochte fürchten, der verwegene Junge sehe

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