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Das Hab' ich gethan!

jenen Gestalten zu nahe zu kommen. An einem großen Hof
vorüber gehend, hörten sie laute Rufe, als: „Wer hat geklopft?
Was hat geklopft? Ist's doch erst ein Uhr! Wer hat das
gethan?" u. dgl. und dazwischen hinein erschollen in schrillen
Tönen Verwünschungen und Flüche aus verschiedenen Kehlen.
Der Revierförster, noch zu sehr von den Vorkommnissen des
Tages und der Nacht erfüllt, eilte brummend vorüber. Der
Doktor hüllte sich tiefer in seinen Mantel und schien erfreut,
als er sein Haus erreichte, das er eilig hinter sich schloß und
in ei» lautes Lachen ausbrach.

Wem aber galten jene sonderbaren Rufe? wem die Ver-
wünschungen? Welch räthselhaftes Klopfen beschäftigte hier
mitten in der Nacht die Menschen? War cs ein Geisterklopfcn,
jenes »pirit knoking, das über das Meer herüber zu uns ge-
kommen und so viele Köpfe verdreht und so viele betrogene
Betrüger erzeugt hat?

Wir wollen es dem Leser sogleich sagen. Den Juden vieler
Länder war cs und ist cs noch grundgesetzlich verboten, Glocken
auf ihren Gotteshäusern zu haben. Daher läuft in den meisten
Orten am frühe» Morgen Jemand — in der kleinen Gemeinde
Böblingen der Vorsänger selbst — von Haus zu Haus und
gibt durch ein dreimaliges Anschlägen mit einem Hämmerchen
an den Judenhäuser» das Zeichen, daß der Gottesdienst beginne.
Im Winter pflegt dieß bei kaum grauendem Morgen zu ge-
schehen. Seit einiger Zeit war es aber in Böblingen vorge-
kommen, daß besonders in finstern stürmischen Nächten, i» welchen
der Anbruch des Tages nicht sogleich zu bemerken war, schon
nach Mitternacht das bekannte Klopfen erfolgte, und als die
Juden darauf in gewohnter Eile in den gedachten Hof — Juden-
hof genannt, wo sie ihre Synagoge hatten — kamen, war diese
verschlossen, und der Chasan und Klopfer, welcher seine Woh-
nung in derselben hatte, kaum zu erwecken, der sodann aufge-
schreckt nicht weniger über den verdächtigen Eingriff in seine
Beruföthätigkeit entrüstet war, als seine sich gefoppt sehende
Gemeinde. Viele entsetzten sich ob solchen Frevels. Andern
dünkte cs nicht mit rechten Dingen zuzugehen, Allen aber
war das Vorgcfallenc unerklärlich. Heute — und in diesem
Moment ging der Rcvicrförster und der Doktor am Judenhof
vorüber — war ein neuer Umstand hinzu gekommen. Der

Chasan, sonst kaum zu erwecken, stand vollständig angckleidct
unter dem Synagogencingang, und während er die Masse be-
gütigte und zum Nachhausegehen mit der Versicherung mahnte,
es werde die Sache sicherlich nicht mehr verkommen, winkte er
den Vorsteher und noch etliche Gcmeindeglieder in seine Wohnung,
und als er sich überzeugt, daß die Andern abgcgangen, begann
er mit halblauter Stimme: „Wißt Ihr, lieben Leute, wer

der saubere Klopfgeist ist, der uns schon öfter und heute wieder
zum Besten gehabt? wißt Jhr's? Kein Andrer, als der lustige
Doktor. Lange schon habe ich ihn im Verdacht, konnte aber
nichts heraus bringen. Gestern war große Jagd, und bei solchen
Gelegenheiten, das vermuthete ich, führt der saubre Herr gern
seine lose» Streiche aus. Um 11 Uhr, eine Zeit, in der ich
ihn und seine Gesellschaft nicht mehr so ganz für zurechnungs-
fähig hielt, ging ich in den Hirschen, wo sie zu hausen pflegen.

Ein zu rechter Zeit angebrachter Witz gab mir die gewünschte
Gelegenheit, in des Doktors Nähe zu kommen, um ihn nicht
aus den Augen zu verlieren. Wirklich! ich mußte mich zu ihm
ins Kabinct setzen und seine Schnaukes *) anhören und mit-
machen. Bald entstand das gewöhnliche Gelage; inan trank,
ich trank tapfer mit, oder that doch so, als wenn ich viel tränke.
Richtig, als Alles so recht guter Dinge, so kreuzfidel, wie sie's
nennen, war, daß Eins nicht mehr auf daö Andere merkte,
schlich sich unser Doktor, vermeintlich von Niemand bemerkt —
ich war auf meinem Stuhl scheinbar eingcschlummert. — weg
und ich ihm alsbald nach, und' siehe! — er lies von Judcn-
haus zu Judenhaus und schlug mit dem Hämmerchen seines
Stockes in bekannter Weise sehr kräftig an. Nur an meiner
Thür unterließ er's, ob, um mir die Gemeinde recht auf den
Hals zu hetzen, oder ob der ungläubige Held doch etwas Respekt
vor dem Gotteshaus in sich verspürte, ich vermag es nicht zu
entscheiden."

Nur das Ansehen, in welchem der Chasan bei seiner Ge-
meinde stand, ließ ihm seinen Bericht vollenden, denn kaum hatte
er dieß gethan, als der Unwille und die Entrüstung in den
stärksten Ausdrücken sich Luft machten. Was nun thun? das
war die Frage. Ihn darob zu Rede setzen? Er hätte cs ge-
läugnct und vom Chasan öffentlich überführt, diesem den ärgsten
Schabernak angcthan. Und dann? ihn anklagcn? Der Jude
hält zu viel von dem, der ihm seinen Leib, die Bedingung aller
Lebensfreuden, gesund erhält, als daß er sich mit ihm verfeinden
mag, und vor circa 50 Jahren, zu welcher Zeit dieß arrivirte,
hätten die rechtlosen Juden so etwas noch weniger gewagt.

„Laßt mich gewähren! laßt mich allein gehen, sagte der
Chasan über eine Weile. Das Männchen muß nach seiner
Weise gepackt werden, solls fruchten. Haltet reinen Mund, geht
nach Haus in Frieden und legt Euch nieder, bis es Tag ist."
— Das thatcn sie auch.

Dessen sollte sich jedoch unser Doktor nicht freuen. Er
mochte ohngefähr eine Stunde geschlafen haben, er träumte noch
von seinen heutigen Thatcn, er setzte sein Hämmerchen an die
Thür eines Judenhauses, als die Glocke ertönte, und dic Thürc
sich öffnete, hinter ihr ein Laurcr — o nein! wohl tönte die
Glocke, aber cs war die von der Gasse in sein Schlafzimmer
laufende, welche gewiß den vielbeschäftigten Arzt wie oft zu einem
gefährlich Erkrankten rief. Mit gleichen Füßen sprang er aus
dem Bette — ein so großer Lebemann cr war, er lebte gleichwohl
eifrig seinem Berufe — ans Fenster. Da hielt eine Chaise
mit 2 Pferden bespannt und der Kutscher in einen Mantel
gehüllt mit dem brcitkrämpigcn Hut auf den Kopf, war vom
Bock gestiegen und rief in den landesüblichen Dialekt hinauf:
„Herr Duktur! soll'» gleich nauS in die Mühl z' Dortingen,
d' Müller'» iS schon zwei Tag in Kindsnöthen. Schickt's Euch;
es hat G'fahr!"

Der Doktor kleidete sich eilig an, vor sich hin sprechend:
„Dacht ichs doch, daß die wieder nicht ohne ärztlichen Beistand

*J Possen.
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