Das d ab'
entbinden kann. Wenig geschlafen und wieder den weiten Weg.
Komm' vor zwei Stunden auf dem schlechte» Weg nicht hinaus."
Nach kurzer Zeit saß er in seine» Mantel gehüllt im
Wagen und der Kutscher, der ihm hineingeholfen, schwang sich
auf den Bock und im gestreckte» Trabe gings zum Thor hinaus
gen Dortingen. — Aber schon nach einer Stunde kehrte der
Doktor zu Fuß, »icdergcbcugt und außer Coutcnanz durch dasselbe
Thor wieder zurück, vorsichtig mit seinem Stocke vor sich son-
dirend, als fürchte er in eine Gosse zu gerathen und halblaut
Verwünschungen ausstoßend, gelangte er erschöpft und ermüdet
in sein Haus zurück.
Am darauf folgenden Morgen durchmaß er mit so großen
Schritten, als eS Raum und Füße zuließe», sein Studirzimmer;
er war in der übelsten Laune und gar nicht mehr der lustige
Doktor. Wiederholt zog er eine Schublade und probirte ver-
schiedene Brillen aus, aber keine wollte ihm conveniren. Die
neue Zeitung lag auf dem Tische, er machte keinen Versuch sie
zu lesen, auch zum Besuch seiner Patienten schickte er sich nicht
an. Seine Frau, die ihm nach der Zeit fragend, diese Roth-
wendigkeit indirekt andcuten wollte, wies er barsch ab. Sie
ging, denn sic kannte ihn. Freundlich gegen Alle außer dem
Haus, war er gegen seine Angehörige» kurz und abstoßend.
„Gasscncngel — Hausteufel!" sagte oft seine Frau vor sich
hin, wenn seine Unfreundlichkeit wie heute große Dimensionen
annahm. Gleichwohl wollte sich das gute Weib bei ihrem Ehe-
gcsponß insinuire» und ließ einen Krug Abgezogenes aus dem
Keller holen. Sie wußte, daß er »ach einer durchschwärmten
Nacht bei nachfolgendem Katzenjammer am andern Tag ein solches
Mittel probat fand. Er nannte dieß in seiner Weise: Hunds-
haar auflegcn. — Als die Magd den Krug aus de» Tisch setzte,
fragte der Doktor: „Hast den Chasan noch nicht gcsehn? hole
ihn gleich."
„Er ist schon etliche Mal am Hause vorüber gegangen,"
bemerkte jene. Der Chasan kam bald, und ehe er die Treppe
hinaufstieg, befahl er der Magd, die Treppen- und Hausthür
ja weit offen zu halten, und sie, welche wohl wußte, wie ihr
Herr und der Chasan öfters gemeinsam allerlei Schabernack
aussührten, würde diesem Begehren strengstens nachgckommen sein,
auch wenn ihr der Chasan nicht noch ei» Trankgcld in die
Hand gedrückt hätte.
Als der Chasan, die Melodie: Herr Bruder, warum so
mißvergnügt re. vor sich hinsummend, in die Stube trat, fand
er den Doktor ausgcstreckt auf dem Kanapee liegen, den Morgen-
gruß kaum crwicderud. Er sah ganz bleich aus und die wahr-
scheinlich abgelegte Brille gab seinem Gesichte eine» sonderbaren
Ausdruck, wie ihn die brillcnloscn Physiognomonien bieten, auf
welchen man dieses Möbel zu sehen gewohnt ist.
„Nicht gnädig gelaunt? Keine Antwort? Was gibts
Neues? he! neue Zeitungen?" und ohne weitere Worte ergriff
er die Zeitung, blätterte und las ein Weilchen darin, und als
er sic wieder auf den Tisch legte, blickte er scharf nach dem
Doktor und schob ungesehen etwas unter das Blatt.
Endlich fing der Doktor an: „Hört, Chasan, was mir
heut Stacht passirt ist — ich muß meinem Aergcr Luft machen
ich gethan! 163
und ich weiß, Ihr könnt schweigen und mir dabei noch einen
Gefallen thun." Und nun erzählte er, was wir schon wissen,
wie er nach einer Stunde Schlafs mit einem Fuhrwerk nach
Dortingen abgeholt worden; aber erzählte auch, was wir noch
nicht wissen, daß, als er einen Waldweg gefahren und eben
ganz pomadig cingeschlummert,war, der Lümmel von Kutscher
abgestiegcn, ihn mit beide» Händen am Kopfe ergriffen, mit
der einen Hand in einen Strcuhaufe» gedrückt, und mit der
andern mit einem eigens mitgebrachten Knüppel tüchtig durchge-
klopft und darauf, che er sich fasse» konnte, wieder auf den
Bock gesprungen und über Hals und Kopf davon gefahren sei.
„Hat man so etwas je erhört?" rief er zornglühend aus,
„und was noch dazu kommt, der Kerl muß mir die Brille ab-
sichtlich vom Gesicht gerissen haben, daß ich ihn nicht erkennen
soll, oder was mir wahrscheinlich, sic muß im Strcuhaufe» hafte»
geblieben sei», und kurz und gut, keine andere will mir paffen
und ohne Brille kann ich nicht ausgchcn. Thut mir daher den
Gefallen, Herr Chasan, und geht an jenen Platz — er beschrieb
ihm denselben so weit möglich — und sucht nach meiner Brille,
und findet Ihr sie nicht, holet mir eine aus der Stadt, Ihr
wißt, wie sie mir convenirt. Haltet aber über alles reine»
Mund."
Während der Erzählung rief der Chasan einmal über
das andere aus: „Na! das ist zu arg! Was es doch jetzt
für muthwilligc, böse Leute gibt! einem Doktor und einem solchen,
der Niemande» was zu Leide thut, einen solche» Possen zu spielen!
Wer mag das gethan haben?" Dabei aber stog wiederholt ein
Lächeln über sein Gesicht, das selbst dem Doktor zu seinem
Acrger nicht entging. „Ja, was cs jetzt für böse Leute gibt!
was es jetzt für muthwilligc Leute gibt!" rief Jener immer
wieder. „Haben Sic nicht gehört, was uns passirt ist? he ?"
und auch er erzählte, was wir schon wissen, wie die Juden
wiederholt durch nächtliches Klopfen vom Schlafe aufgestört
worden sind u. s. w. Wie er aber dieß Alles des Brcitcrn
erzählte, von der Verwirrung, die in den Familien entstanden,
von den Flüchen und Verwünschungen, gegen de» Misscthätcr
ausgestoßen, und wie alle Nachforschungen bis jetzt vergeb-
lich, wie sich die Juden nimmer recht cinzuschlafcn getrauten
und wie ihrer Viele ihre schlechte» Uhren zur Reparatur gegeben
und wie sie nur un>S Himmelswille» wissen möchte», wer cS
gethan; sie wollten ihm gern Alles verzeihen, wenn er's nimmer
thuc u. s. w. — da erwachte der alte MuthwillenSteufcl in
dem Doktor, und thcils, um sich an dem Chasan für sein Lächeln
zu rächen, theils um seinen Aerger in dem des Chasan aufgehen
zu lasse», und in der Ucberzcugung, daß die Jude» doch nichts
Ernstliches gegen ihn thun würden, erhob er den Kopf etwas
vom.Sopha, brach in ein nimmer enden wollendes Lachen auü,
und erst nach einiger Zeit konnte er die Worte Hervorbringen:
„Na, Herr Chasan, wenn's weiter nichts ist, als das, da braucht
Ihr Euch nicht weiter zu bemühen. Das Hab' ich gethan!"
„Das Hab' ich gethan!" wiederholte der Chasan langge-
zogen, „hm! hm! wie Hab'» Sie gesagt? Das Hab' ich gethan,"
und dabei zog er sich krebsartig langsam an die Thür zurück
und faßte die Klinke. „Das Hab' ich gethan! sagten Sic, und
Stk*
entbinden kann. Wenig geschlafen und wieder den weiten Weg.
Komm' vor zwei Stunden auf dem schlechte» Weg nicht hinaus."
Nach kurzer Zeit saß er in seine» Mantel gehüllt im
Wagen und der Kutscher, der ihm hineingeholfen, schwang sich
auf den Bock und im gestreckte» Trabe gings zum Thor hinaus
gen Dortingen. — Aber schon nach einer Stunde kehrte der
Doktor zu Fuß, »icdergcbcugt und außer Coutcnanz durch dasselbe
Thor wieder zurück, vorsichtig mit seinem Stocke vor sich son-
dirend, als fürchte er in eine Gosse zu gerathen und halblaut
Verwünschungen ausstoßend, gelangte er erschöpft und ermüdet
in sein Haus zurück.
Am darauf folgenden Morgen durchmaß er mit so großen
Schritten, als eS Raum und Füße zuließe», sein Studirzimmer;
er war in der übelsten Laune und gar nicht mehr der lustige
Doktor. Wiederholt zog er eine Schublade und probirte ver-
schiedene Brillen aus, aber keine wollte ihm conveniren. Die
neue Zeitung lag auf dem Tische, er machte keinen Versuch sie
zu lesen, auch zum Besuch seiner Patienten schickte er sich nicht
an. Seine Frau, die ihm nach der Zeit fragend, diese Roth-
wendigkeit indirekt andcuten wollte, wies er barsch ab. Sie
ging, denn sic kannte ihn. Freundlich gegen Alle außer dem
Haus, war er gegen seine Angehörige» kurz und abstoßend.
„Gasscncngel — Hausteufel!" sagte oft seine Frau vor sich
hin, wenn seine Unfreundlichkeit wie heute große Dimensionen
annahm. Gleichwohl wollte sich das gute Weib bei ihrem Ehe-
gcsponß insinuire» und ließ einen Krug Abgezogenes aus dem
Keller holen. Sie wußte, daß er »ach einer durchschwärmten
Nacht bei nachfolgendem Katzenjammer am andern Tag ein solches
Mittel probat fand. Er nannte dieß in seiner Weise: Hunds-
haar auflegcn. — Als die Magd den Krug aus de» Tisch setzte,
fragte der Doktor: „Hast den Chasan noch nicht gcsehn? hole
ihn gleich."
„Er ist schon etliche Mal am Hause vorüber gegangen,"
bemerkte jene. Der Chasan kam bald, und ehe er die Treppe
hinaufstieg, befahl er der Magd, die Treppen- und Hausthür
ja weit offen zu halten, und sie, welche wohl wußte, wie ihr
Herr und der Chasan öfters gemeinsam allerlei Schabernack
aussührten, würde diesem Begehren strengstens nachgckommen sein,
auch wenn ihr der Chasan nicht noch ei» Trankgcld in die
Hand gedrückt hätte.
Als der Chasan, die Melodie: Herr Bruder, warum so
mißvergnügt re. vor sich hinsummend, in die Stube trat, fand
er den Doktor ausgcstreckt auf dem Kanapee liegen, den Morgen-
gruß kaum crwicderud. Er sah ganz bleich aus und die wahr-
scheinlich abgelegte Brille gab seinem Gesichte eine» sonderbaren
Ausdruck, wie ihn die brillcnloscn Physiognomonien bieten, auf
welchen man dieses Möbel zu sehen gewohnt ist.
„Nicht gnädig gelaunt? Keine Antwort? Was gibts
Neues? he! neue Zeitungen?" und ohne weitere Worte ergriff
er die Zeitung, blätterte und las ein Weilchen darin, und als
er sic wieder auf den Tisch legte, blickte er scharf nach dem
Doktor und schob ungesehen etwas unter das Blatt.
Endlich fing der Doktor an: „Hört, Chasan, was mir
heut Stacht passirt ist — ich muß meinem Aergcr Luft machen
ich gethan! 163
und ich weiß, Ihr könnt schweigen und mir dabei noch einen
Gefallen thun." Und nun erzählte er, was wir schon wissen,
wie er nach einer Stunde Schlafs mit einem Fuhrwerk nach
Dortingen abgeholt worden; aber erzählte auch, was wir noch
nicht wissen, daß, als er einen Waldweg gefahren und eben
ganz pomadig cingeschlummert,war, der Lümmel von Kutscher
abgestiegcn, ihn mit beide» Händen am Kopfe ergriffen, mit
der einen Hand in einen Strcuhaufe» gedrückt, und mit der
andern mit einem eigens mitgebrachten Knüppel tüchtig durchge-
klopft und darauf, che er sich fasse» konnte, wieder auf den
Bock gesprungen und über Hals und Kopf davon gefahren sei.
„Hat man so etwas je erhört?" rief er zornglühend aus,
„und was noch dazu kommt, der Kerl muß mir die Brille ab-
sichtlich vom Gesicht gerissen haben, daß ich ihn nicht erkennen
soll, oder was mir wahrscheinlich, sic muß im Strcuhaufe» hafte»
geblieben sei», und kurz und gut, keine andere will mir paffen
und ohne Brille kann ich nicht ausgchcn. Thut mir daher den
Gefallen, Herr Chasan, und geht an jenen Platz — er beschrieb
ihm denselben so weit möglich — und sucht nach meiner Brille,
und findet Ihr sie nicht, holet mir eine aus der Stadt, Ihr
wißt, wie sie mir convenirt. Haltet aber über alles reine»
Mund."
Während der Erzählung rief der Chasan einmal über
das andere aus: „Na! das ist zu arg! Was es doch jetzt
für muthwilligc, böse Leute gibt! einem Doktor und einem solchen,
der Niemande» was zu Leide thut, einen solche» Possen zu spielen!
Wer mag das gethan haben?" Dabei aber stog wiederholt ein
Lächeln über sein Gesicht, das selbst dem Doktor zu seinem
Acrger nicht entging. „Ja, was cs jetzt für böse Leute gibt!
was es jetzt für muthwilligc Leute gibt!" rief Jener immer
wieder. „Haben Sic nicht gehört, was uns passirt ist? he ?"
und auch er erzählte, was wir schon wissen, wie die Juden
wiederholt durch nächtliches Klopfen vom Schlafe aufgestört
worden sind u. s. w. Wie er aber dieß Alles des Brcitcrn
erzählte, von der Verwirrung, die in den Familien entstanden,
von den Flüchen und Verwünschungen, gegen de» Misscthätcr
ausgestoßen, und wie alle Nachforschungen bis jetzt vergeb-
lich, wie sich die Juden nimmer recht cinzuschlafcn getrauten
und wie ihrer Viele ihre schlechte» Uhren zur Reparatur gegeben
und wie sie nur un>S Himmelswille» wissen möchte», wer cS
gethan; sie wollten ihm gern Alles verzeihen, wenn er's nimmer
thuc u. s. w. — da erwachte der alte MuthwillenSteufcl in
dem Doktor, und thcils, um sich an dem Chasan für sein Lächeln
zu rächen, theils um seinen Aerger in dem des Chasan aufgehen
zu lasse», und in der Ucberzcugung, daß die Jude» doch nichts
Ernstliches gegen ihn thun würden, erhob er den Kopf etwas
vom.Sopha, brach in ein nimmer enden wollendes Lachen auü,
und erst nach einiger Zeit konnte er die Worte Hervorbringen:
„Na, Herr Chasan, wenn's weiter nichts ist, als das, da braucht
Ihr Euch nicht weiter zu bemühen. Das Hab' ich gethan!"
„Das Hab' ich gethan!" wiederholte der Chasan langge-
zogen, „hm! hm! wie Hab'» Sie gesagt? Das Hab' ich gethan,"
und dabei zog er sich krebsartig langsam an die Thür zurück
und faßte die Klinke. „Das Hab' ich gethan! sagten Sic, und
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