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Einige von den Ga

Die wichtige Frage, ob der Tag oder die Nacht geeig-
neter sei, den moralischen Eindrücken eine ausdauernde Kraft
zu verleihen, entschied Frau Ursula Griesmeier dahin, daß
unbedingt die im Dämmerlichte einer Nachtlampe gehaltenen
Reden von größerer Wirkung seien, namentlich ihrem Gatten
gegenüber, der in seiner Eigenschaft als Strumpfwirker viel
zu sehr von seinen Geschäften in Anspruch genommen war,
um unter Tags ihren Predigten die gehörige Aufmerksamkeit
schenken zu können. Von 11 Uhr Nachts bis 7 Uhr Mor-
gens war sie sicher, daß ihrem Zgnaz kein Ausreisen möglich
sei, daß ihm nichts übrig blieb, als ruhig liegen zu bleiben
und sie ohne Unterbrechung anzuhöre».

Vielleicht bewies Frau Ursula Griesmeier hierin wenig
Großmuth, aber im Ehestande wie im Kriege ist es gestattet,
alle Tcrrainvortheilc gegen den Feind zu benützen.

Und Frau Ursula konnte dies, ohne dadurch die Gesund-
heit ihres Gatten zu bcnachtheiligc», denn Herr Zgnaz Grics-
meier hatte sich einer eisernen Körperconstitution zu erfreuen.
Eine einzige Thatsache genügt, dies zu beweisen. Er lebte
30 Jahre mit seiner Gattin und .... überlebte sic.

Ja, Frau Ursula Gricsmcicr brachte 30 Jahre ihres
Lebens damit zu, mit ihrem Gatten zu zanken und zu kneifen;
während 30 Jahren, oder 10,930 Tagen (ohne die Schalttage
zu rechnen) wurde ihr das seltene Glück zu Theil, über die
j Pflichten predigen zu können, die in dem scheinbar so kleinen
i Reife eingeschlossen sind, den man als Ehering am Finger trägt.

Während der 30 Jahre, die Herr Ignaz Gricsmeier an
der Seite seiner moralisircndcu Gattin verlebte, lag ihm seine
j geliebte Ursula fortwährend in den Ohren. Welch' einen Schatz
! von Weisheit hatte er in seinem Gehirne sammeln können!...

Welch' ein Verlust für die Nachwelt, wenn mit seinem Tode
' dieser Schatz verloren ging! . . .

Aber Herr Gricsmcicr war nicht so egoistisch, nur an
sich allein zu denken; er hatte die philanthropische Idee, die
letzten Abendstunden seiner Eristenz dahin zu verwenden, daß
! er die denkwürdigen Worte seiner Gattin zu Papier brachte,
um sie zu Nutz und Frommen aller Jener zu hintcrlassen,
die von der Vorsehung weniger begünstigt als er, nicht mit
einer Gattin, wie die scinige, bedacht wurden.

Als sich Herr Gricsmeier in dieser dornenvollen Welt
, wieder allein sah, als er diejenige verloren, welche ihm als
weiblicher Mentor treu zur Seite gestanden und von 10,950
j Nächten mit unvergleichlicher Selbstaufopferung mindestens 30,000
Stunden dazu verwendet hatte, ihn zu belehre» und nach klei-
| neu Verirrungen auf den Pfad der Tugend zurückzubringen,
hatte Herr Ignaz Gricsmeier die volle Reife eines 52jährigen
j Alters erreicht. Die nächste Wirkung seines traurigen AUein-
I stins war, daß der arme Mann (so sehr sind wir Sklaven
der Gewohnheit) >o oft er sich zu Bett legte, während der
ersten Hälfte der Nacht kein Auge zuthun konnte. Seine Frau
war doch wirklich tobt und in allen Ehren bestattet, er wußte
dies gewiß und doch schien es ihm, als liege sie »och immer
an seiner Seite. Wenn er sic auch nicht sah, so hörte er sie
doch; er hörte sie wie bei ihren Lebzeiten, und zwar so deut-

dinen-Predigten re.

lich, so klar, so genau, so melodisch in allen Nuancen ihrer
lieblichen Stimme, daß er oft unwillkürlich im bangen Schrecken
eine Bewegung machte, um sich zu versichern, ob er wirklich allein
sei. Er überzeugte sich stets zu seiner schmerzlichen Beruhigung
von dieser Thatsache und doch hörte das Sprechen nicht auf. Es
war schauerlich, fortwährend diese ermahnende, warnende, drohende
Stimme zu vernehmen, ohne sich an ein Wesen von Fleisch und
Blut, ohne sich an seine Ursula halten zu können. Die Stimme
kam bald von der Seite, bald von Oben herab, ja zuweilen
drang sie aus dem Kopfkissen, auf welchem er lag, an sein Ohr.

Herr Gricsmeier fand dies nachgerade unerträglich.

„Offenbar," rief er, „hat man vergessen, ihre Zunge
noch nach ihrem Tode besonders todt zu schlagen!"... und
er nahm sich ernstlich vor, sich an die Geistlichkeit zu wenden,
um Erorzismcn vornehmen zu lassen.

Mag Gricsmeier von diesem Vorsatze abgekommcn und
einer anderen, aus sich selbst geschöpften Eingebung gefolgt
sein, oder geschah cs nach der Anleitung eines weisen Rath-
gcbers: er entschloß sich, jede Nacht vor dem Nicdcrlcgcn einen
Sermon seiner seligen Gattin zu Papier zu bringen und
hoffte, durch diesen Akt frommer Pietät die unermüdliche Zunge
seiner Ursula zur Ruhe zu bringen.

Herr Griesmeier führte diesen Entschluß aus. Er schrieb
und sah sich durch den Erfolg für seine Mühe belohnt, denn
von diesem Augenblicke an schwieg die Zunge und störte nicht
ferner seine so lang entbehrte Ruhe.

Nach dem Tode des ehrlichen Mannes fand man ein
Manuskript unter seinen übrigen Papieren mit der Inschrift:

„Sammlung der nächtlichen Predigten, die während einer
30jährigcn, glücklichen Ehe von Frau Ursula Gricsmeier ge-
halten und von ihrem Gatten Ignaz angehört wurden."

Wir waren so glücklich, dieses kostbare Manuskript in
unseren Besitz zu bekommen und glauben im Sinne des ge-
ehrten Verfassers zu handeln, wenn wir wenigstens Einiges
davon hiemit veröffentlichen. —

I. Herr Griesmeier hat einem Frennfle fünf Gulden
geliehen.

„Du mußt recht reich sein, Ignaz! Ich möchte wohl
wissen, wer dir fünf Gulden leihen würde? Aber so geht es
in der Welt: eine Frau arbeitet sich halb zu Tod, ist ange-
bunden wie ein Kettenhund und spart sich Alles vom Munde
weg und der Herr Gemahl geht mit dem Gcldc um, wie wenn
er es nur aus der Straße aufzuheben brauchte. Aber du warst
von jeher ein Verschwender! Schon seit 3 Jahren hätte ich
einen neuen Shawl nöthig, aber was liegt daran, wie ich
gekleidet bin? Wenn mir die Fetzen herunter hängen, das ist
dir ganz gleichgültig. Alle Leute sagen, daß ich nicht so au-
gezogen bi», wie cs mir als deiner Frau zukäme. Aber um
so Etwas kümmerst du dich nicht. Du spielst gegen alle Welt
de» Generösen, außer gegen die Deinigen. Ich wollte nur,
daß dich andere Leute so kennen würden, wie ich dich kenne.
Du bist stolz daraus, wenn man deine Freigebigkeit rühmt,
aber deine arme Familie muß darunter leiden.
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