Es war der Handarbeiter Gottlieb Trempelmann, 16
Jabre alt, »ock nicht bestraft. Er war klein, sommersprossig,
trug rotbe Haare nebst einem blauen Kittel. Letzteres machte
mich schaudern, denn auch der Nntcrsuchnngsrichtcr batte einen
blauen Frack und seine Nase und Bart waren roth. War
’ diese Uebcrcinstimmung der Farben zufällig oder sollte sie eine
verhängnißvolle Beziehung in sich tragen? Wer wußte das!
Der Angeklagte war beschuldigt, dem Fleischer Hartung
eine Lcberwurst entwendet zu haben. Er batte sic gleich, nach-
dem er sic aus den» Laden genommen, verzehrt. Reumüthig
gestand er sein Vergeben ein. Die Sache war nur auö Ver-
■ sehen vor den Untersuchungsrichter gekommen. Sie gehörte
vor den Polizeirichter und mußten die Akten an diesen abge-
geben werden. Eben wollte der Untersuchungsrichter den An-
geklagten entlassen, da zuckte der Helle Blitz eines Gedankens
! durch seine gerötheten Züge. Forschend sah er den, Trempel-
mann in's Gesicht, der mit niedcrgcsenktem Haupte dastand.
„Trempelmann," sprach er, „Du hast ehrlich gestanden,
daß Du die Wurst gestohlen. Hast Du vielleicht an demselben
Nachmittage auch den alten, rothen, baumwollenen Regen-
schirm der Wittwc Schuchardr, aus der Hausflur (die Frau
j wohnt neben dem Fleischer Hartung) mitgenommen?"
Der Gefragte richtete sein Haupt empor und rief mit
dem Tone der unverhohlensten Entrüstung: „Nein, Herr
Rath; das habe ich nicht gethan. Ick werde doch nicht i» die
Häuser gehen und Regenschirme mausen!"
Hieraus wurde er entlassen. Der kühne Znquirentencoup
war mißglückt. Zwar war der Diebstahl des Regenschirms
noch nicht dem Gerichte zur Anzeige gebracht und eine Unter-
suchung nicht eingclciter, wegen mangelnden subjektiven
Thatbestands, wie die Juristen sagen; allein der Unter-
suchungsrichter war von der Wittwc Schuchardt, die ihm, dem
Junggesellen, die Wäsche besorgte, über ibren Verlust durch
weitschweifiges Lamento in Kcnntniß gesetzt.
>d Schutz.
Trempelmann war der Thätcr nicht. Wer war cs? —
Diese Frage mußte unbeantwortet bleiben. Sollte sie cs für
immer bleiben? Sollte nie der Vorhang der Verborgenheit
von dieser räthselhaften und dnnkelen That gelüftet werden?
Fast schien es so.
Schirm und Schutz.
Acht Tage waren seit dem im vorigen Kapitel geschil-
derten Verhör verflossen. Der Untersuchungsrichter schien das
anfänglich gezeigte Interesse an dem seiner Waschfrau zuge-
fügten Rothenregcnschirmdicbstahl verloren zu habe». Nicht so
ich. Tag und Nacht war mein vom ersten glühenden Feuereifer
des angctrctenen Berufs durchhitztcr Geist mit dem mysteriösen
Verbrechen beschäftigt. .Ich mußte den Schleier lüften und
durch die Entdeckung des unheimlichen Thäters wollte ich mir
die ersten inquisitorischen Ritterspore» verdienen. Freilich das
Wie? war mir noch unklar. Ich vertraute auf günstige
Schickungen. Und diese verfehlten nicht zu kommen. Ich be-
wohnte damals ein Garc^onlogis beim Destillateur Saftikns
am Markte. Der Mann war kinderloser Wittwer. Er hatte
eine ältliche Person als Haushälterin und Verkäuferin im
Laden bei sich. Am 1. Juli ließ ich mich bei ihm anmeldcn,
um Miethe und Hauspump zu berichtigen.
Er empfing mich äußerst höflich, fast zu höflich, und
nöthigtc mich auf das Sopba. Nach abgemachter Zahlung blieb
ich noch einige Zeit im gleichgültige» Gespräch bei ihm sitzen.
Plötzlich siel mein Blick auf einen Gegenstand, der in
der einen Ecke des Zimmers sich befand. Ich bebte vor jäher
Aufregung. Heller Jubel des Triumphs jauchzte in meinem
Innern auf. Denn dort, — dort in der Ecke am Fenster
lehnte unter alte» Stöcken und Pfeifen ein alter rothbaum-
wollener Regenschirm! — das mußte der Gestohlene sein;
es war kein Zweifel, die Bahn zur Entdeckung des mysteriösen
Verbrechers war erössnet. Schnell hatte ich die Fassung wieder
gewonnen. Saftikns hatte oder stellte sich, als habe er meine
Aufregung nicht bemerkt.
Jabre alt, »ock nicht bestraft. Er war klein, sommersprossig,
trug rotbe Haare nebst einem blauen Kittel. Letzteres machte
mich schaudern, denn auch der Nntcrsuchnngsrichtcr batte einen
blauen Frack und seine Nase und Bart waren roth. War
’ diese Uebcrcinstimmung der Farben zufällig oder sollte sie eine
verhängnißvolle Beziehung in sich tragen? Wer wußte das!
Der Angeklagte war beschuldigt, dem Fleischer Hartung
eine Lcberwurst entwendet zu haben. Er batte sic gleich, nach-
dem er sic aus den» Laden genommen, verzehrt. Reumüthig
gestand er sein Vergeben ein. Die Sache war nur auö Ver-
■ sehen vor den Untersuchungsrichter gekommen. Sie gehörte
vor den Polizeirichter und mußten die Akten an diesen abge-
geben werden. Eben wollte der Untersuchungsrichter den An-
geklagten entlassen, da zuckte der Helle Blitz eines Gedankens
! durch seine gerötheten Züge. Forschend sah er den, Trempel-
mann in's Gesicht, der mit niedcrgcsenktem Haupte dastand.
„Trempelmann," sprach er, „Du hast ehrlich gestanden,
daß Du die Wurst gestohlen. Hast Du vielleicht an demselben
Nachmittage auch den alten, rothen, baumwollenen Regen-
schirm der Wittwc Schuchardr, aus der Hausflur (die Frau
j wohnt neben dem Fleischer Hartung) mitgenommen?"
Der Gefragte richtete sein Haupt empor und rief mit
dem Tone der unverhohlensten Entrüstung: „Nein, Herr
Rath; das habe ich nicht gethan. Ick werde doch nicht i» die
Häuser gehen und Regenschirme mausen!"
Hieraus wurde er entlassen. Der kühne Znquirentencoup
war mißglückt. Zwar war der Diebstahl des Regenschirms
noch nicht dem Gerichte zur Anzeige gebracht und eine Unter-
suchung nicht eingclciter, wegen mangelnden subjektiven
Thatbestands, wie die Juristen sagen; allein der Unter-
suchungsrichter war von der Wittwc Schuchardt, die ihm, dem
Junggesellen, die Wäsche besorgte, über ibren Verlust durch
weitschweifiges Lamento in Kcnntniß gesetzt.
>d Schutz.
Trempelmann war der Thätcr nicht. Wer war cs? —
Diese Frage mußte unbeantwortet bleiben. Sollte sie cs für
immer bleiben? Sollte nie der Vorhang der Verborgenheit
von dieser räthselhaften und dnnkelen That gelüftet werden?
Fast schien es so.
Schirm und Schutz.
Acht Tage waren seit dem im vorigen Kapitel geschil-
derten Verhör verflossen. Der Untersuchungsrichter schien das
anfänglich gezeigte Interesse an dem seiner Waschfrau zuge-
fügten Rothenregcnschirmdicbstahl verloren zu habe». Nicht so
ich. Tag und Nacht war mein vom ersten glühenden Feuereifer
des angctrctenen Berufs durchhitztcr Geist mit dem mysteriösen
Verbrechen beschäftigt. .Ich mußte den Schleier lüften und
durch die Entdeckung des unheimlichen Thäters wollte ich mir
die ersten inquisitorischen Ritterspore» verdienen. Freilich das
Wie? war mir noch unklar. Ich vertraute auf günstige
Schickungen. Und diese verfehlten nicht zu kommen. Ich be-
wohnte damals ein Garc^onlogis beim Destillateur Saftikns
am Markte. Der Mann war kinderloser Wittwer. Er hatte
eine ältliche Person als Haushälterin und Verkäuferin im
Laden bei sich. Am 1. Juli ließ ich mich bei ihm anmeldcn,
um Miethe und Hauspump zu berichtigen.
Er empfing mich äußerst höflich, fast zu höflich, und
nöthigtc mich auf das Sopba. Nach abgemachter Zahlung blieb
ich noch einige Zeit im gleichgültige» Gespräch bei ihm sitzen.
Plötzlich siel mein Blick auf einen Gegenstand, der in
der einen Ecke des Zimmers sich befand. Ich bebte vor jäher
Aufregung. Heller Jubel des Triumphs jauchzte in meinem
Innern auf. Denn dort, — dort in der Ecke am Fenster
lehnte unter alte» Stöcken und Pfeifen ein alter rothbaum-
wollener Regenschirm! — das mußte der Gestohlene sein;
es war kein Zweifel, die Bahn zur Entdeckung des mysteriösen
Verbrechers war erössnet. Schnell hatte ich die Fassung wieder
gewonnen. Saftikns hatte oder stellte sich, als habe er meine
Aufregung nicht bemerkt.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Schirm und Schutz"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)