Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
I

138

Ein Tag aus dem Leben

eines Polizei-Aktuars.

Wohl konnte der Eindruck, den ihre Erscheinung jetzt ;
auf ihn gemacht hatte, nur ein freundlicher sein; aber trotzdem j
rief er durch Jdeenassoziation eine gewisse Wehmnth und eine
Sehnsucht nach Zielen und Orten hervor, die leider schon der ;
Vergangenheit angchörtcn. So mancher schone Mädchenkopf !
tauchte vor den geistigen Auge» Theodors auf, der sich nicht
gleich schüchtern hinter die Roulcaur zurückzog, sondern vielmehr
l immer mit Wohlgefallen dem Renommiren des sporenklirrcnden
Musensohnes auf der Straße zuhörte und auch freundlich
lächelnd am Fenster blieb, wen» derselbe näher trat und schäkernd
ein paar rosige Finger zwischen den Blumenstöcken erwischte.
Alle die reizenden Bilder seines akademischen Lebens zogen an
j ihm vorüber, die ernsten, wie die heitern; in dem rosigen
! Lichte, das die Einbildungskraft der Jugend diesen Tagen
poetischer Ungcbundenheit und Freiheit verleiht. Der Ucbcrdruß,

! den er seit einigen Tagen vor seinein Berufe bekommen,
steigerte sich jetzt bis zum Ekel.

„O, war das doch eine Grille der Mama," rief er
plötzlich aus, „mich so früh an den Karren der Polizei an-
zuschirrcn! Mich hier mit Vagabunden, Betrunkenen und derlei
Gelichter beschäftigen zu müssen, während ich meine Zeit noch
zu meiner ferner» Ausbildung benöthige! Wenn ich mich nur
losmacheu könnte, ohne die Mama zu erzürnen. Za, so wird's
gehen! Ich begehe absichtlich einen Mißgriff um den andern,
bis man mich entläßt; dann bin ich in ihren Augen schuld-
los wie ein Lamm. Denn an Allem könnte die gute Mama
zweifeln, nur nicht an meinen Fähigkeiten. Sic würde eher glau-
! bcu, daß ein ganzes hochwohllöbliches Landespolizei-Znstitut über-
! geschnappt fei, als daß ich einen einzigen Zrrthum begangen haben
> könne. Alles wird den Chicanen und Bewerbern mit mächtigen
Protektionen in die Schuhe geschoben und dann ...." Doch ver-
geblich würden wir auf die Fortsetzung dieses merkwürdigen Mono-
logcs warten, denn die Idee, welche er eben aussprcchcn wollte,
versetzte ihn so in Ekstase, daß er einen drei Fuß hohen Sprung
»lackte und die Mütze einige Male an die Decke warf, so daß sie der
Aufwärterin beinahe das Kasseebrctt aus der Hand geschlagen
hätte, womit dieselbe in diesem Augenblicke erschien. Theodor
kümmerte sick nicht um den etwas schiefen Blick, mit dem er
beehrt wurde, und nachdem er in größter GemüthSruhe ge- !
frühstückt und sich eine duftende Havannah angcbrannt hatte,
erwartete er mit Resignation die Stunde, die ihn, wie er sich j
ausdrücktc, wieder an den Karren schirren würde. Endlich
schlug die Glocke ackt Uhr und er begab sich auf das Bureau.
An der Thürc angckommcn, fragte er den die Wache haben-
den Sergeanten, ob es etwas Neues gäbe. „Drei Fcucrsbrünstc,
zwei Mordthatcn und eben so viele cingebrachte Vagabunden,"
schnarrte derselbe in unanfhaltbarcm Redefluß. Das war wieder
eine angenehme Aussicht! da gab cs Bcricktc und Eingaben
und Relationen zu machen, daß Eiueni angst und bange
werden konnte, und Theodor blickte verstohlen auf die halb-
offene Thürc. Doch da siel ihm wieder die Frau Mama ein
und seine eben nickt allzuvolle Börse und alle die Wcchscl-
! Wirkungen, die zwischen diesen beide» ihm so tbencrcn Gegen-
ständen Statt hatte», so daß er sick endlich seufzend seinem

Schicksale ergab. — Ein großer robuster Kerl wurde jetzt
hereingebrackt, der in der Nacht wegen eines Raufhandels
arretirt worden war.

„Wie heißen Sie?" — „Karl Metzger." — „Sie sind
angeklagt der nächtlichen Ruhestörung und eines Raushandels.
Verantworten Sie sich." — In diesem Augenblicke stürzt eine
kleine alte Frau herein mit schicfaufgcsctzter Haube und einer
mäcktigen grünen Brille, um ihren theuern Sohn zu reklamircn.
Dieser steht da wie ein Klotz und weiß kein Wort zu erwidern;
um so besser aber weiß die Mutter von ihrer Suade Gebrauch !
zu machen. „Ich bitte, gnädigster Herr, lassen Sie ihn nach
Hause! Er ist von Natur ein gutes Kind und nur durch böse
Gesellschaft zu dem gestrigen Erzessc verleitet worden." Dabei
stößt sie aber ihren Rangen verstohlen in die Seite und
spricht mit leise sein sollender Stimme, die man aber in der
That am andern Ende des Zimmers hören kann: „Du elender
Mensch, jetzt verdientest Du cs aber, daß ich Dich in der
Patsckc stecken ließe. — Herr Aktuar, nur dieses eine Mal
nock verzeihen Sic ihm! — Verfluchter Spitzbube, Du kommst
noch an den Galgen." — Theodor, dem das Geschwätz der
Alten unerträglich zu werden anfängt, läßt ihren Sohn in
die Wacktstube zurückführen und sic folgt ihm, indem sic im
Abgehcn tausend Kratzfüße macht und Bitten um seine Frei-
lassung stammelt. — Eine junge Weibsperson erscheint jetzt,
die von einer Patrouille auf der Straße schlafend gefunden
und demzufolge als obtachsloses Individuum eingezogcn worden
war. Sic gab an, daß sie an Schlafsucht leide, einer Krank-
heit, welche sie oft plötzlich in den belebtesten Straßen, in Ge-
stalt eines drei- oder vierstündigen Schlummers befalle. Theodor
ließ sie ebenfalls in die Wachtstubc zurückführen, um dort ihr
Urtheil zu erwarten. — Kurze Zeit darauf ließ sich ein Herr
melden, in welchem er einen der geachtetsten Kaufleute der
Stadt erkannte, welcher um einen Paß nach Brasilien ansuchen
wollte, und sich zuerst bei dem Polizciamtc seines Viertels
melden mußte, um das Attest zu erhalten. Theodor versprach
in den Registern nachzuschlagcn und das Dokument um Mit-
tag bereit zu halten. — Nun ging cs an ernstere und weniger
amüsante Arbeiten, aber heute konnte man keine Spur von
Unlust an Theodor bemerken. Seine Feder flog über das Pa-
pier hin, und oft spielte ein zufriedenes Läckeln um seine
Lippen; das Lächeln eines Menschen, der mit großen Plänen
umgeht, und ihres Erfolges gewiß zu sein scheint. Endlich
war es Mittag. Er legte die Feder nieder, ordnete die Akten,
die er gefertigt und schickte sich an, das Bureau zu verlassen,
als der Sergeant erschien und ihn respektvoll erinnerte, daß
»ock über die zwei Jnhaftirten zu entscheiden sei. Theodor ließ
sie hcrcinbringcn. Zn dem Augenblick als die Thürc sick hin-
ter diesen sckloß, erschien auck der Kaufmann, dem er das
Zeugniß versprochen — „Sic heißen Karl Metzger?" redete er
den jungen Vagabunden an, der am Morgen von seiner Mut-
ter rcklamirt worden war. — „Zu Befehl, Herr Aktuar!" !
— „Sic wollen um die Erlangung eines Passes nach Brasilien
ansuchen." — Der Bursche, der große Angst vor der Strafe
batte, die seiner wartete, und der bei einem solchen Zrrthum

l
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen