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Herrn Graf's Rheinreisetagebuch.

ans einmal Kohle sein Bohrdemonäh heraus, sbrang auf tvie
ein Verrickter, warf es ans den Spieltisch und schrie: „Wah
bank!" ivelches bedeitet, daß es um das g ans e Geld sich
handelt, was ans dem Tische steht. Der Herr Grobieh
dreht gans ruhig an seine Rohlettscheibe und siehe da •—
Kohle verliert. Nun nimmt Jener das Geldbohrdemonäh
und macht es ans, aber was findet er darin? Kohles letztes
Vermögensstück — einen Hosenknobf, der ihn vorhin beim
Tanze ist losgegangen!

Jetzt hätte aber Einer diesen Skandal erleben sollen,
welcher nun ausbrach. Die Herren Grobiehs, die immer blos
erst französisch gesprochen hatten, konnten nun ans einmal im
schönsten Deutsch schimbfen wie die Gassenkehrer und da sie
sahen, das; Kohle kein Geld gar nicht mehr hatte, so erschienen
sogleich einige Bortigehs, die ihn beim Frackkragen nahmen
und hinansbrakdizierten. Wie ich mich noch wollte für Kohlen
verwenden, so fühlte ich auf einmal, daß ich draußen vor die
Thüre saß, ohne daß ich mich erinnern konnte, selbst gegangen
zu sein. Aber drinne spielten sie mit aller Gemithlichkeit fort.

Kohle tvar in Berztveifelnng und wollte sich das Leben
nehmen ans Aerger und Schande. Ich konnte ihn nur mit
Mühe wieder beruhigen und dann gingen wir niedergeschlagen
in unfern Gasthof, um Wiesbaden so rasch als möglich den
Ricken zu kehren, denn an einem Orte, >vo man mit höchster
obrigkeitlicher Betvillignng ansgezogen tvird bis auf den letzten
Kreizer, kann Einen iveder Dankbarkeit noch Liebe fesseln, tvie
auch das Beisbiel der noweln Frau Baronin Krips-Kraps zeigt.

Nach diese niederschlagende Erfahrungen fand ich, daß
es nothtvendig tvar, Kohlen noch nicht in die Heimath zurück
zu bringen, da er in seiner Gemithsverstimmung vollständig
zerstört tvar.

Er war deshalb auch nicht wenig erfreit, tvie ich ihn
sagte, daß tvir unsre Reise noch etwas nach die sidlichte
Gegend tvollten ansdehnen und uns dann hinein nach Straß-
bnrg oder noch ein Bischen weiter in das Franzosenland
machen, um diese Herren durch eichene Anschaulichkeit etwas
näher kennen zu lernen.

Wir wendeten uns deshalb von Wiesbaden gleich nach
Darmstadt, Ivo tvir nach so schmerzlichen Erfahrungen ans-
rnhen wollten und neuen Lebensmnth schebfen.

Aber wir sahen sehr bald, daß wir da nicht den richtigen
Weg angetreten hatten, den wenn Einer sich will von Schwer-
mithigkeit oder bittere Lebenserfahrungen erholen, so darf er
dazu nicht das Darmstüdterische Wehlen, weil er dort nur
in seine betrübten Anschannngen noch muß verstärkt tverden.

Darmstadt ist auch von hessischen Ursbrnng, aber jedoch
verfolgt es in das Allgemeine ganz andere Brinzibien als wie
das kasselsche Hessenland, wo Jeder sobald als wie nur mög-
lich nach Amerika austvandert, damit daß er aus die bös-
artigen Knlturverhältnisse herauskommt. In Darmstadt suchen
sie hingegen einen Jeden zu fesseln, daß er sich dorten nieder-
zulassen bewegen läßt. Wenn also nun Einer so gesprächs-
tveise einmal fallen läßt: „Ei ja, in Darmstadt ist es recht

hibsch" — so bringen sie ihn gleich die Einwohnerliste, daß
er sich soll als Bürger einschreiben, wie uns Einer selbst
erzählt hat, dem dieses bassirt war.

Wie dieser Herr nämlich einmal Abends in eine Wein-
kneipe geeifert hat, er wollte, daß er ans Darmstadt wäre,
so ist am andern Morgen eine Debitazion vom Stadtrath in
Feierlichkeit erschienen und hat ihn ivollen die Ehrenbirger-
gerechtigkeit verleihen, von wegen seine Anhenglichkeit an ihrer
Vaterstadt. Da hatte aber dieser Herr gelacht und gesagt:
„Meine Herrens! Sie entschuldigen gehorsamst, hier ist ein
kleines Mißverständniß, denn ich habe blos sagen wollen, daß
ich möchte ans Darmstadt erst wieder hinaus sein." Da
haben sich die Herren Debitirten einander gans Verblift an-
gesehn und ihren Ehrenbirgerdiblom wieder mitgenommen.

Wenn sich also Einer will von allzugroßen Lebensgenuß
durch komblizirte Einsamkeit tvieder Herstellen, so ist Darm-
stadt allerdings dazu der richtige Bnnktum, tveil Einem dort
so leicht kein Mensch nicht in seinen einsamen Betrachtungen
stört; denn es kann sich Einer da acht Tage lang mitten
ans die Straße legen, ohne daß er befirchten muß, daß er
von Vorübergängern oder Fuhrwerken gestört wird.

Damit nun die ganse Zehnerie wenigstens etwas Leben-
digkeit bekommt, so hat man als einzige lebendige Versöhn
ans eine hohe Seile das Denkmal von einen der Herren Landes-
vüter ausgestellt, welcher nach den Eisenbahnhof hinanssieht,
ob nicht ettva ivieder Jemand sich nach Darmstadt verleift.

Aber auch ans der alten vergangenen Zeit hat man
noch ans Sandstein ein baar Landesväter vor den Herren-
garten hingestellt, Ivelche jedoch sehr zweifelhafte Gesichter
machen. Dieses kommt aber daher, daß nicht weit davon das
Schloß ist, wo auf den Thurm sich ein Glockenspiel befindet
und dieses spielt jede Viertelstunde die tranrigte Ariche:

Ach ich bin so mide,

Ach ich bin so matt;

Möchte gerne schlafen gehn,

Morgen gar nicht mehr anfstehn u. s. >v.

Wenn nun dieses aber Jemand muß jede Viertelstunde
anhören, so fängt am Ende auch selbst eine sandsteinerne
Stadtie an, sich zu langweilen und sehnt sich nach Veränder-
lichkeit ihres Daseins.

Weil wir also sahen, daß uns die gesuchte Tröstung in
Darmstadt nicht könnte dargereicht werden, so wendeten wir
balde dieser Stadt wieder unsre Rückseite und eilten nach
Heidelberg.

Ei ja! Da muß man freilich wieder den feinen Geschmack
von diese Herren Franzosen bewundern, denn diese gebildete
kunstsinnlichte Nazion hat es schon vor fast zweihundert Jahren
anerkannt, daß sich in eine liebliche Gegend nichts nicht so
schön ausnimmt, als wie wenn mitten darin eine große Ruine
liegt. Blos aus diesem Grunde schickte damals der große
König Ludwig seine Herren Soldaten, damit daß sie aus diese
blihende Gegend eine rohmandische Wistenei machen sollten,
ivelches ihnen auch über alle Erwartungen gelungen ist.
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