I
9t c i f e g c)’ du cf e eines
Karren über mir. Eine Fluth lauwarmen, schmutzigen Wassers
ergoß sich über mein Antlitz, erfüllte mir den zum Schrei
geöffneten Mund, rann mir über Nacken und Reisekostüm.
Ich beugte mich dem Fatum. Große Seelen wachsen in
Zuwiderkeiten. Ich versuchte sogar zu lächeln. Endlich wurde
der Wagen von mehreren harmlosen Landbewohnern empor
gehoben, und wir setzten uns, leider wenig anmuthigen Aus-
sehens, wieder ein und fuhren dem Ortschaftchen zu. Mein
Gatte hatte sich von seinem Sturze wieder erholt, ja, er
schien sogar jetzt leichter zu athmen, aber er mußte sich, in
das idyllische Dörfchen gekommen, gleich zu Bette begeben,
warme Umschläge auf die Vorderseite nehmen und heißen Thee
trinken. Ich legte mir um das tobende Haupt einen kalten
Umschlag, und über die Wange einen warmen auf, da es
mein Zahnleiden energisch forderte. Die Nacht brachten wir
schlaflos zu. Ich mußte meinem engelguten Gatten drei
Stunden lang aus dem Bädeker verlesen, da er sehr auf-
geregt war, und er darnach brannte, die Hotelpreise und die
üblichen Trinkgelder in Stuttgart, Karlsruhe, Heidelberg und
Frankfurt kennen zu lernen. Leider, meine Busensreundiu,
kann ich von unserer ersten historischen Fahrt nicht sagen, daß
sie sehr angenehm war, obwohl gerade derlei Abenteuer den
Reiz einer pittoresken Reise erhöhen. Am andern Morgen
fuhren wir ziemlich spät ab. Ich versöhnte den tiefbeleidigten
Kutscher mit einem Silberstück, worauf er harmlos zu lächeln
begann. Mein engelguter Gatte las einige Stunden, in tiefes,
antwortloses Schweigen versunken, jene Stellen ans Bä-
dcker, welche ich ihm während der Nacht vorgelesen hatte.
Die Gegend bestrebte sich schön zu werden. Ich über-
gehe das Weitere und erzähle Dir nur, Leonie meiner Seele,
daß wir die Burg Jarthauscu aufsuchtcu, woselbst sich Götz
von Bcrlichingen während seiner Heldenthaten aufhielt. Ich
besuchte alle jene unserer Nation so heiligen Stellen, wo
sich Götz von Bcrlichingen als Knabe im Bache gebadet, die
Furten, die er schon gekannt hatte, als er noch nicht wußte,
daß seine väterliche Burg Jarthausen an der Jart hieß und
alles andere mir so unaussprechlich Jnteresiante. Die Fahrt
von Jarthausen nach der Reichshauptstadt von Würtemberg
ist scharmant. In diesen reizenden Gefilden verschmilzt Geo-
graphie, Historie und Romantik in ein Ganzes und die Seele
entwickelt sich zusehends von einer Station zur andern. Die
Seherin von Prevorst, die Weiber von Weinsberg, das
Neckarthal, der' schwäbische Dialekt, — ach sie rücken nach
und nach vor, um unsere Seele mit dem ganzen Reiz des
lieben, traulichen, so wahrhaft poetischen Schwabeulandes zu
umgaukeln.
Hätte Walter Scott das Licht der Welt lieber in diesem
wundervollen Erdenwinkel erblickt, ach wie viele schlechte
Uebersetzungen wären uns erspart worden. Wie gerne würde
ich einen historischen Roman schreiben, aber ich fürchte —
td) habe dazu nicht das Talent eines Walter! In Schwaben
müßte er aber noIen8 voleus handeln. An einem goldenen
Juliabende fuhren wir in Stuttgart ein. Diese liebliche
Stadt verkörpert uns das Ideal des ganzen idyllen Schwa-
jungen Ehepaares. 15
beulandes. Das ächt Königliche der Residenz verschmilzt
mit dem Schwäbischländlichgemüthlichmalcrischen so ganz natur-
gemäß zusammen. „Wenn ich nicht lieber wo anders wäre, 1
könnte ich mit Alexander dem Großen sagen, „so würde ich
in Stuttgart bleiben." Hier wachsen einem die Weintrauben
in den Mund hinein. Liou ne cueillait ä Stoutgard le raisin,
la ville irait se noyer dans le vin. So sagt ein altdcutsckes
Sprichwort.
Von der Statue Schillers begreife und verstehe ich alles
Mögliche, nur nicht warum sie gerade im Augenblicke eines
Kompliments gegossen wurde. So sah mein Schiller gewiß
nicht aus, als er den „Wilhelm Tell" oder den „Don Car-
los" schrieb. Allenfalls während „der Braut von Messina,"
aber sonst gewiß nicht. Ich wurde dadurch ein klein wenig
indignirt. Bist Du es nicht auch, Busenfreundin meiner Seele,
o Du mein zweites, verschönertes Ich? — Wir fuhren hin
und her, so lange bis wir die ganze Umgebung von Stuttgart
aus betrachtet hatten. Dann reisten wir entzückt ab. Mein
Gatte durfte noch immer kein Bier trinken, daher wallte er
getreu an der Seite seiner liebenden Gattin. — Meine Reise-
bilder gleichen den dissolviug visvvs; — eines verdrängt das
andere, sanft in einander schmelzend, wie meine Seele dahin
schmilzt in lieblichen Erinnerungen. O Fräulein Leonie! Das
Entzücken steigert die Kraft meines konzentrirtcn Jchs; krampf-
geballt ergreift meine Rechte die Feder und sticht das Unwür-
dige, Unedle durch und durch. Das Entzücken läutert, über-
strömt unö mit einem Sturzbach aus Elysium's Höhen, wie
der Gasteiner Wasserfall die geheim wirkenden Kräfte, unsres
Daseins erfrischend zu ungeahnter Thatenlust steigert. O Gott!
Mein engclguter Gatte begreift nicht, was in meiner that-
beranschtcn Seele vorgeht! Er ist ein lieber Mann, aber o!
O Leonie meiner jugendlichen Schwungkraft! Ahnest Du,
was cs heißt, einen Gatten ohne Schwung zu haben? Abi!
Fleur de mon äme ! C’est pitoyable !
9t c i f e g c)’ du cf e eines
Karren über mir. Eine Fluth lauwarmen, schmutzigen Wassers
ergoß sich über mein Antlitz, erfüllte mir den zum Schrei
geöffneten Mund, rann mir über Nacken und Reisekostüm.
Ich beugte mich dem Fatum. Große Seelen wachsen in
Zuwiderkeiten. Ich versuchte sogar zu lächeln. Endlich wurde
der Wagen von mehreren harmlosen Landbewohnern empor
gehoben, und wir setzten uns, leider wenig anmuthigen Aus-
sehens, wieder ein und fuhren dem Ortschaftchen zu. Mein
Gatte hatte sich von seinem Sturze wieder erholt, ja, er
schien sogar jetzt leichter zu athmen, aber er mußte sich, in
das idyllische Dörfchen gekommen, gleich zu Bette begeben,
warme Umschläge auf die Vorderseite nehmen und heißen Thee
trinken. Ich legte mir um das tobende Haupt einen kalten
Umschlag, und über die Wange einen warmen auf, da es
mein Zahnleiden energisch forderte. Die Nacht brachten wir
schlaflos zu. Ich mußte meinem engelguten Gatten drei
Stunden lang aus dem Bädeker verlesen, da er sehr auf-
geregt war, und er darnach brannte, die Hotelpreise und die
üblichen Trinkgelder in Stuttgart, Karlsruhe, Heidelberg und
Frankfurt kennen zu lernen. Leider, meine Busensreundiu,
kann ich von unserer ersten historischen Fahrt nicht sagen, daß
sie sehr angenehm war, obwohl gerade derlei Abenteuer den
Reiz einer pittoresken Reise erhöhen. Am andern Morgen
fuhren wir ziemlich spät ab. Ich versöhnte den tiefbeleidigten
Kutscher mit einem Silberstück, worauf er harmlos zu lächeln
begann. Mein engelguter Gatte las einige Stunden, in tiefes,
antwortloses Schweigen versunken, jene Stellen ans Bä-
dcker, welche ich ihm während der Nacht vorgelesen hatte.
Die Gegend bestrebte sich schön zu werden. Ich über-
gehe das Weitere und erzähle Dir nur, Leonie meiner Seele,
daß wir die Burg Jarthauscu aufsuchtcu, woselbst sich Götz
von Bcrlichingen während seiner Heldenthaten aufhielt. Ich
besuchte alle jene unserer Nation so heiligen Stellen, wo
sich Götz von Bcrlichingen als Knabe im Bache gebadet, die
Furten, die er schon gekannt hatte, als er noch nicht wußte,
daß seine väterliche Burg Jarthausen an der Jart hieß und
alles andere mir so unaussprechlich Jnteresiante. Die Fahrt
von Jarthausen nach der Reichshauptstadt von Würtemberg
ist scharmant. In diesen reizenden Gefilden verschmilzt Geo-
graphie, Historie und Romantik in ein Ganzes und die Seele
entwickelt sich zusehends von einer Station zur andern. Die
Seherin von Prevorst, die Weiber von Weinsberg, das
Neckarthal, der' schwäbische Dialekt, — ach sie rücken nach
und nach vor, um unsere Seele mit dem ganzen Reiz des
lieben, traulichen, so wahrhaft poetischen Schwabeulandes zu
umgaukeln.
Hätte Walter Scott das Licht der Welt lieber in diesem
wundervollen Erdenwinkel erblickt, ach wie viele schlechte
Uebersetzungen wären uns erspart worden. Wie gerne würde
ich einen historischen Roman schreiben, aber ich fürchte —
td) habe dazu nicht das Talent eines Walter! In Schwaben
müßte er aber noIen8 voleus handeln. An einem goldenen
Juliabende fuhren wir in Stuttgart ein. Diese liebliche
Stadt verkörpert uns das Ideal des ganzen idyllen Schwa-
jungen Ehepaares. 15
beulandes. Das ächt Königliche der Residenz verschmilzt
mit dem Schwäbischländlichgemüthlichmalcrischen so ganz natur-
gemäß zusammen. „Wenn ich nicht lieber wo anders wäre, 1
könnte ich mit Alexander dem Großen sagen, „so würde ich
in Stuttgart bleiben." Hier wachsen einem die Weintrauben
in den Mund hinein. Liou ne cueillait ä Stoutgard le raisin,
la ville irait se noyer dans le vin. So sagt ein altdcutsckes
Sprichwort.
Von der Statue Schillers begreife und verstehe ich alles
Mögliche, nur nicht warum sie gerade im Augenblicke eines
Kompliments gegossen wurde. So sah mein Schiller gewiß
nicht aus, als er den „Wilhelm Tell" oder den „Don Car-
los" schrieb. Allenfalls während „der Braut von Messina,"
aber sonst gewiß nicht. Ich wurde dadurch ein klein wenig
indignirt. Bist Du es nicht auch, Busenfreundin meiner Seele,
o Du mein zweites, verschönertes Ich? — Wir fuhren hin
und her, so lange bis wir die ganze Umgebung von Stuttgart
aus betrachtet hatten. Dann reisten wir entzückt ab. Mein
Gatte durfte noch immer kein Bier trinken, daher wallte er
getreu an der Seite seiner liebenden Gattin. — Meine Reise-
bilder gleichen den dissolviug visvvs; — eines verdrängt das
andere, sanft in einander schmelzend, wie meine Seele dahin
schmilzt in lieblichen Erinnerungen. O Fräulein Leonie! Das
Entzücken steigert die Kraft meines konzentrirtcn Jchs; krampf-
geballt ergreift meine Rechte die Feder und sticht das Unwür-
dige, Unedle durch und durch. Das Entzücken läutert, über-
strömt unö mit einem Sturzbach aus Elysium's Höhen, wie
der Gasteiner Wasserfall die geheim wirkenden Kräfte, unsres
Daseins erfrischend zu ungeahnter Thatenlust steigert. O Gott!
Mein engclguter Gatte begreift nicht, was in meiner that-
beranschtcn Seele vorgeht! Er ist ein lieber Mann, aber o!
O Leonie meiner jugendlichen Schwungkraft! Ahnest Du,
was cs heißt, einen Gatten ohne Schwung zu haben? Abi!
Fleur de mon äme ! C’est pitoyable !
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Reisegeschicke eines jungen Ehepaares"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 38.1863, Nr. 914, S. 15
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg