Neisegeschicke eines
Fünftcr Brief.
Laura Gruber, geb. Fischer an Leonie Mayer.
Karlsruhe, Datum unbekannt.
Meine Leonie!
Wir wandelten einige Stündchen in der Reichshaupt-
stadt von Baden umher. Die Stadt liegt höchst malerisch
zu den Füßen eines Gartens und spreizt sich ü In Fächer
nach dreierlei Richtungen hin aus. Holdes Weibchen! Es
muß ein wahrhaft königliches, hier zu Lande aber großhcr-
zoglichcs Gefühl sein, so eine Reichshauptstadt plötzlich aus
purem Nichts empor zu zaubern. Ein Peter der Große gründete
zum Trotze moskowitischer Wildheit auf ödem Moorgrunde
sein civilisirendes Petersburg; Alexander der Große zauberte
an den Gestaden des Abukir das welthaupthandelsstädtische
Alexandria hervor; der mir gänzlich unbekannte Beherrscher
der Badenser schuf dem blühenden Reiche trotz dem Gemeindc-
rath von Durlach das majestätische Karlsruhe. Doch, o
Freundin meines Busens! — Er vergaß die stolze Stadt zu
populicren.
„Lautlos schweigen Markt und Strassen,
^Niemand wimmelt in den Gassen
„Und das Herz, erfüllt von Kummer,
„Wird in solcher Stille — stummer."
In Karlsruhe fühle ich jeden Schmerz doppelt. Der
Schmerz aber, von meinem engelguten Gatten mißverstanden
zu werden, alii! dieses Weh wühlt dreifach im Kern meines
Daseins. Stelle Dir vor, was ich heute aus seinem Rosen-
munde vernehmen mußte! Als ich des Morgens mich vom
Pfühle erhob, fühlte ich eine gesteigerte Elasticität in meinen
seelischen und irdischen Bestandtheilen. Ich schwebte ans
Fenster und blickte mit dem vollsten Ausdrücke kindlicher
Raivetät auf die Straße hinunter. Ach, es war ein so
süßer Augenblick! Meine Weiblickkcit schmolz in sanfter Be-
geisterung hin, und ich setzte mich wie hingegossen auf ein
Tabouret. Den rechten Arm hob ich über mein lockiges
Häuptchen empor, den linken ließ ich zur Erde sinken. Es
fehlte nur eine Mandoline zu meinen Füßen, um das Bild
jungen Ehepaares. 23
wahrhaft künstlerisch zu gestalten. In der Fülle meiner Ro-
mantik lispelte ich kaum hörbar: „Mein Wilibald! Erkorner
meiner Seele? Liegst Du noch von süßen Träumen befangen?"
Der Mann, der mir den Namen Gruber hinauf octroyirt
hat, erhob sich und räusperte sich so lange, bis meine Phan-
tasie gleichsam zu Tode gehetzt war, dann fragte er:
„Du, Frau, weißt Du nicht mehr, wie viel die Taxe für die
Droschken hier beträgt? Sei so gut und schlage im Bädekcr
nach!" Entrüstung schwellte meinen Busen hoch empor. Eine
zürnende Medea schüttelte ich mein ganzes Innere; mein
Exterieur mußte roth geworden sein, denn mein Mann er-
hob sich schmunzelnd und sagte: „Schau, schau, jetzt trinkt
mir die Gattin meinen Slibowitz aus, den ich mir vor der
Reise aus Belgrad habe schicken lassen. Dort hängt die um-
gestürzte Strohslasche und die Gattin brennt wie Zinnober.
Schau, Alte, trinke geschwind ein Glas Wasser, Du könntest
sonst einen rechten Affen bekommen!" —Meine Indignation
flammte gräßlich aus, und ich verließ das Gemach. Ich
frühstückte en earriere, und floh mit einem vor dem Haus-
thore harrenden Cicerone. Ich betrachtete aus Aerger ganz
Karlsruhe mit Aufopferung meiner physischen Kraft. Erschöpft
kehrte ich in das Hotel zurück. Mein Gatte saß im Bäde-
ker lesend vor dem Thore und begrüßte mich, nachdem er
einen Satz bis zum Punkte ausgelesen hatte, mit sichtlicher
Freude. Mein Gemüth beschwichtigte sich geschwinde und
ich beugte mich dem Fatum! O Leonie meines Daseins!
Wäre mein Gatte ein Barbar! Dann hätte ich wenigstens
Grund, mich ganz elende vor Welt und Menschheit zu er-
klären. Ich könnte auf interessante Weise trauern. Aber
mein Genre von Trauer ist und bleibt der thörichten Welt
unverständlich, weil mein Gatte eigentlich so gar nichts thut,
was andere Leute empört. It jz only my own soul, that
is quite overwhelmed! Morgen reisen wir nach Heidelberg
ab. Wie neugierig bin ich diese malerischen ruino8 du chä-
teau d’Hei'delberg zu sehen! 0'est man Lins germanique,
qui brulera demäin! Adieu!
Deine Laura Gruber, Weibchen.
Euphemismus.
„Also, Profession Austernhändler?"
„Entschuldigen Sie, mein Vater ist kein Austern-
händler, sondern er hat den Pacht einer sehr bedeutenden
Austernbank."
„Setzen wir also statt Austernhändler Austernbanquier."
Handel und Wandel.
Fremder (in einem Einspänner unter dem Thore):
„Können Sic mir nicht sagen, Herr Thorschreiber, wo finde
ich hier wohl ein gutes Wirthshaus zum Ucbernachten?"
Thorschreiber: „Fahren's nur gleich die erste Gasse
da links 'nunter in'n rothen Ochsen, mit dem sin's g'wiß
z'frieden, es is mei Sohn!"
Fünftcr Brief.
Laura Gruber, geb. Fischer an Leonie Mayer.
Karlsruhe, Datum unbekannt.
Meine Leonie!
Wir wandelten einige Stündchen in der Reichshaupt-
stadt von Baden umher. Die Stadt liegt höchst malerisch
zu den Füßen eines Gartens und spreizt sich ü In Fächer
nach dreierlei Richtungen hin aus. Holdes Weibchen! Es
muß ein wahrhaft königliches, hier zu Lande aber großhcr-
zoglichcs Gefühl sein, so eine Reichshauptstadt plötzlich aus
purem Nichts empor zu zaubern. Ein Peter der Große gründete
zum Trotze moskowitischer Wildheit auf ödem Moorgrunde
sein civilisirendes Petersburg; Alexander der Große zauberte
an den Gestaden des Abukir das welthaupthandelsstädtische
Alexandria hervor; der mir gänzlich unbekannte Beherrscher
der Badenser schuf dem blühenden Reiche trotz dem Gemeindc-
rath von Durlach das majestätische Karlsruhe. Doch, o
Freundin meines Busens! — Er vergaß die stolze Stadt zu
populicren.
„Lautlos schweigen Markt und Strassen,
^Niemand wimmelt in den Gassen
„Und das Herz, erfüllt von Kummer,
„Wird in solcher Stille — stummer."
In Karlsruhe fühle ich jeden Schmerz doppelt. Der
Schmerz aber, von meinem engelguten Gatten mißverstanden
zu werden, alii! dieses Weh wühlt dreifach im Kern meines
Daseins. Stelle Dir vor, was ich heute aus seinem Rosen-
munde vernehmen mußte! Als ich des Morgens mich vom
Pfühle erhob, fühlte ich eine gesteigerte Elasticität in meinen
seelischen und irdischen Bestandtheilen. Ich schwebte ans
Fenster und blickte mit dem vollsten Ausdrücke kindlicher
Raivetät auf die Straße hinunter. Ach, es war ein so
süßer Augenblick! Meine Weiblickkcit schmolz in sanfter Be-
geisterung hin, und ich setzte mich wie hingegossen auf ein
Tabouret. Den rechten Arm hob ich über mein lockiges
Häuptchen empor, den linken ließ ich zur Erde sinken. Es
fehlte nur eine Mandoline zu meinen Füßen, um das Bild
jungen Ehepaares. 23
wahrhaft künstlerisch zu gestalten. In der Fülle meiner Ro-
mantik lispelte ich kaum hörbar: „Mein Wilibald! Erkorner
meiner Seele? Liegst Du noch von süßen Träumen befangen?"
Der Mann, der mir den Namen Gruber hinauf octroyirt
hat, erhob sich und räusperte sich so lange, bis meine Phan-
tasie gleichsam zu Tode gehetzt war, dann fragte er:
„Du, Frau, weißt Du nicht mehr, wie viel die Taxe für die
Droschken hier beträgt? Sei so gut und schlage im Bädekcr
nach!" Entrüstung schwellte meinen Busen hoch empor. Eine
zürnende Medea schüttelte ich mein ganzes Innere; mein
Exterieur mußte roth geworden sein, denn mein Mann er-
hob sich schmunzelnd und sagte: „Schau, schau, jetzt trinkt
mir die Gattin meinen Slibowitz aus, den ich mir vor der
Reise aus Belgrad habe schicken lassen. Dort hängt die um-
gestürzte Strohslasche und die Gattin brennt wie Zinnober.
Schau, Alte, trinke geschwind ein Glas Wasser, Du könntest
sonst einen rechten Affen bekommen!" —Meine Indignation
flammte gräßlich aus, und ich verließ das Gemach. Ich
frühstückte en earriere, und floh mit einem vor dem Haus-
thore harrenden Cicerone. Ich betrachtete aus Aerger ganz
Karlsruhe mit Aufopferung meiner physischen Kraft. Erschöpft
kehrte ich in das Hotel zurück. Mein Gatte saß im Bäde-
ker lesend vor dem Thore und begrüßte mich, nachdem er
einen Satz bis zum Punkte ausgelesen hatte, mit sichtlicher
Freude. Mein Gemüth beschwichtigte sich geschwinde und
ich beugte mich dem Fatum! O Leonie meines Daseins!
Wäre mein Gatte ein Barbar! Dann hätte ich wenigstens
Grund, mich ganz elende vor Welt und Menschheit zu er-
klären. Ich könnte auf interessante Weise trauern. Aber
mein Genre von Trauer ist und bleibt der thörichten Welt
unverständlich, weil mein Gatte eigentlich so gar nichts thut,
was andere Leute empört. It jz only my own soul, that
is quite overwhelmed! Morgen reisen wir nach Heidelberg
ab. Wie neugierig bin ich diese malerischen ruino8 du chä-
teau d’Hei'delberg zu sehen! 0'est man Lins germanique,
qui brulera demäin! Adieu!
Deine Laura Gruber, Weibchen.
Euphemismus.
„Also, Profession Austernhändler?"
„Entschuldigen Sie, mein Vater ist kein Austern-
händler, sondern er hat den Pacht einer sehr bedeutenden
Austernbank."
„Setzen wir also statt Austernhändler Austernbanquier."
Handel und Wandel.
Fremder (in einem Einspänner unter dem Thore):
„Können Sic mir nicht sagen, Herr Thorschreiber, wo finde
ich hier wohl ein gutes Wirthshaus zum Ucbernachten?"
Thorschreiber: „Fahren's nur gleich die erste Gasse
da links 'nunter in'n rothen Ochsen, mit dem sin's g'wiß
z'frieden, es is mei Sohn!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Reisegeschicke eines jungen Ehepaares"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 38.1863, Nr. 915, S. 23
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg