immer wieder ein Bischen fetter wurde, so oft ich ihm Ein-
laß bei mir gönnte. Sei er vermaledeit in alle Ewigkeit.
Alles ging nun besser: Arbeiten, Schlafen, Denken,
Essen, Trinken und noch viel mehr, das ich nur in Rücksicht
Deines Anstandsgefühls nicht hierhersetze, aber eine große
Rolle im menschlichen Leben spielt.
Mein Makrobiotiker hat Wort gehalten; er ging über
die Grenze. Im Jahr 1855 wollt' er sich wahrscheinlich
unter die englischen Truppen nach Sebastopol anwerben lassen;
denn als ich damals in Helgoland war, sah ich dort ein
solch verkommenes Subjekt einherschleichen, das aber Reiß-
aus vor mir nahm; war' cr's gewesen und ich hält' ihn er-
wischt, ich hält' ihn wahrlich über die Felswand hinabge-
schleudert, daß ihn der nächste Haifisch mit Knochen und
Knorpel verschlungen. Was hält' er auf großbrittanischem
Boden zu schaffen gehabt, wenn ich da bin. — Seitdem
kam ich nicht mehr über die deutsche Grenze; denn Schles-
wig-Holstein und Schweiz wollen nicht viel heißen. Jetzt
aber war ich im Königreich Sardinien und ich hatte mich
schon auf dem Montanvert und Chapeau auf eine leise Be-
gegnung meines alten Freundes und auf seine theilnehmende
Frage gefaßt gemacht: „Wie befinden Sic sich?" — Ich hätt'
ihm natürlich mit der nächsten Gletscherspalte geantwortet.
Jetzt aber kommt's. Sein tragisches Verhängniß sollte
ihn ereilen. Zieh' nur Dein Taschentuch heraus und laß
den Thräncn freien Lauf. Denn einige Thränen hatt' er
wirklich verdient, seiner Lieb' und Treue wegen an sein an-
gestammtes Herrscherhaus — will heißen: welches Cr be-
herrschte.
Seh' ich ihn da von den Aiguillcs rouges hcrunter-
hinken. Er kommt bei mir an. „Ach, gnädiger Herr, Ihr
Befinden?" — Im höchsten Zorne schrei' ich laut auf: „Du
kontraktbrüchiger Teufel! Zahl' ich Dir dafür Deine volle
Pension, daß Du mir hier die Montblancluft mit Arznei-
gcruch schwängerst! Soll ich hier etwa eine Schnee-, Gletscher-
oder Alpenrosenkur nehmen! Warte, Dein Lebensflämmchen
soll gleich ausgeflackert haben!" — Und damit nahm ich einen
Granitblock, größer, als der Berg von Pillen, Pulvern, Lat-
wergen, Revalenta, Katarrh-Pastillen, Rettig-Bonbons, La-
kritz, Jodcigarren — Donner und Doria — den ich hinab-
zuschlucken würdig befunden wurde, warf besagten Granit-
block meinem gespenstischen Henkersknecht an den Kopf —
ich hörte Knochengcrappel — er fiel um, stand aber wieder
auf — ein sicherer Beweis seiner unverwüstlichen Lebens-
zähigkeit.
Durch den Wurf hatte die Erde so gebebt, daß mein
preußischer Major aus dem Wirthshans herausgesprungen kam.
„Ach, lieber Herr Generalfeldmarschall, der Kerl da will
mich morden; helfen Sic mir! Ich will ja auch Ihre Tha-
tcn besingen in einem Epos, das dauerhafter sein soll, als
die Ilias und Odyssee! Halten Sie mir den Vagabunden
fest, und wenn er sich wehrt — stechen Sie ihm Ihren Säbel
in die Milz, wenn Sic auch keinen bei sich haben!"
Der Major hielt ihn also am Kragen. Aber denke
Lroix lls l'Hypocondre. 27
Dir nur: macht der perfide Satan dem guten Major An-
träge, ihm zu folgen in die Mark Brandenburg, nach Pom-
mern und nach Posen, wohin es eben ginge; dort gäb's ja
wohl auch Apotheken und Bibliotheken, mit welchen beiden
er in sehr naher Vertrautheit stehe; auch lieb' er flache, san-
dige Gegenden sehr; beim Bergsteigen aber bekäm' er „Alp-
drücken."
Der gute Major sagte, er hätt' schon einen wohlgc-
zogenen Stubenburschen; ich aber rief laut: „Warte, Ka-
naille, dich soll schon die „Alp — drücken!" — Und ich
riß nun das große Kreuz, gleich Herwegh, aus der Erden,
grub eine Grube an selbigem Orte, die wenigstens noch
255,0 pariser Fuß unter die Meereshöhe der deutschen Bnn-
destagsstadt Frankfurt am Main hinabrcicht, und rief: „Nun
herbei mit dem Welttyrannen, der die edelsten Kräfte des
Menschen vergeudet, grausam und zwecklos! Herbei mit dem
Wütherich, der die mit geistigen und körperlichen Plagen schon
genug gepeinigten Erdensöhne den grassesten Egoismus lehrt
und sie im Selbsterhaltungswahnsinne sich selbst martern und
zerfleischen läßt! Herbei mit dem kannibalischen Despoten,
der seinen gutmüthigen Unterthanen die schmählichsten Scla-
vensesseln anlegt, an Geist, Gemüth und Körper! Herbei und
hinunter mit ihm in den tiefsten.Abgrund der Hölle!" —
Dies war meine Grabrede. Ich hoffe, daß Du sie
schön findest und daß die Verdienste des zum Tode Vcrur-
theiltcn in würdiger Weise darin hervorgehoben sind. Der
arme Sünder bebte wie ein Espenlaub, wollte noch ein
Wörtlein reden; aber der Major gab ihm einen Stoß und
ich einen kräftigen Tritt - und so purzelte er in die Grube
laß bei mir gönnte. Sei er vermaledeit in alle Ewigkeit.
Alles ging nun besser: Arbeiten, Schlafen, Denken,
Essen, Trinken und noch viel mehr, das ich nur in Rücksicht
Deines Anstandsgefühls nicht hierhersetze, aber eine große
Rolle im menschlichen Leben spielt.
Mein Makrobiotiker hat Wort gehalten; er ging über
die Grenze. Im Jahr 1855 wollt' er sich wahrscheinlich
unter die englischen Truppen nach Sebastopol anwerben lassen;
denn als ich damals in Helgoland war, sah ich dort ein
solch verkommenes Subjekt einherschleichen, das aber Reiß-
aus vor mir nahm; war' cr's gewesen und ich hält' ihn er-
wischt, ich hält' ihn wahrlich über die Felswand hinabge-
schleudert, daß ihn der nächste Haifisch mit Knochen und
Knorpel verschlungen. Was hält' er auf großbrittanischem
Boden zu schaffen gehabt, wenn ich da bin. — Seitdem
kam ich nicht mehr über die deutsche Grenze; denn Schles-
wig-Holstein und Schweiz wollen nicht viel heißen. Jetzt
aber war ich im Königreich Sardinien und ich hatte mich
schon auf dem Montanvert und Chapeau auf eine leise Be-
gegnung meines alten Freundes und auf seine theilnehmende
Frage gefaßt gemacht: „Wie befinden Sic sich?" — Ich hätt'
ihm natürlich mit der nächsten Gletscherspalte geantwortet.
Jetzt aber kommt's. Sein tragisches Verhängniß sollte
ihn ereilen. Zieh' nur Dein Taschentuch heraus und laß
den Thräncn freien Lauf. Denn einige Thränen hatt' er
wirklich verdient, seiner Lieb' und Treue wegen an sein an-
gestammtes Herrscherhaus — will heißen: welches Cr be-
herrschte.
Seh' ich ihn da von den Aiguillcs rouges hcrunter-
hinken. Er kommt bei mir an. „Ach, gnädiger Herr, Ihr
Befinden?" — Im höchsten Zorne schrei' ich laut auf: „Du
kontraktbrüchiger Teufel! Zahl' ich Dir dafür Deine volle
Pension, daß Du mir hier die Montblancluft mit Arznei-
gcruch schwängerst! Soll ich hier etwa eine Schnee-, Gletscher-
oder Alpenrosenkur nehmen! Warte, Dein Lebensflämmchen
soll gleich ausgeflackert haben!" — Und damit nahm ich einen
Granitblock, größer, als der Berg von Pillen, Pulvern, Lat-
wergen, Revalenta, Katarrh-Pastillen, Rettig-Bonbons, La-
kritz, Jodcigarren — Donner und Doria — den ich hinab-
zuschlucken würdig befunden wurde, warf besagten Granit-
block meinem gespenstischen Henkersknecht an den Kopf —
ich hörte Knochengcrappel — er fiel um, stand aber wieder
auf — ein sicherer Beweis seiner unverwüstlichen Lebens-
zähigkeit.
Durch den Wurf hatte die Erde so gebebt, daß mein
preußischer Major aus dem Wirthshans herausgesprungen kam.
„Ach, lieber Herr Generalfeldmarschall, der Kerl da will
mich morden; helfen Sic mir! Ich will ja auch Ihre Tha-
tcn besingen in einem Epos, das dauerhafter sein soll, als
die Ilias und Odyssee! Halten Sie mir den Vagabunden
fest, und wenn er sich wehrt — stechen Sie ihm Ihren Säbel
in die Milz, wenn Sic auch keinen bei sich haben!"
Der Major hielt ihn also am Kragen. Aber denke
Lroix lls l'Hypocondre. 27
Dir nur: macht der perfide Satan dem guten Major An-
träge, ihm zu folgen in die Mark Brandenburg, nach Pom-
mern und nach Posen, wohin es eben ginge; dort gäb's ja
wohl auch Apotheken und Bibliotheken, mit welchen beiden
er in sehr naher Vertrautheit stehe; auch lieb' er flache, san-
dige Gegenden sehr; beim Bergsteigen aber bekäm' er „Alp-
drücken."
Der gute Major sagte, er hätt' schon einen wohlgc-
zogenen Stubenburschen; ich aber rief laut: „Warte, Ka-
naille, dich soll schon die „Alp — drücken!" — Und ich
riß nun das große Kreuz, gleich Herwegh, aus der Erden,
grub eine Grube an selbigem Orte, die wenigstens noch
255,0 pariser Fuß unter die Meereshöhe der deutschen Bnn-
destagsstadt Frankfurt am Main hinabrcicht, und rief: „Nun
herbei mit dem Welttyrannen, der die edelsten Kräfte des
Menschen vergeudet, grausam und zwecklos! Herbei mit dem
Wütherich, der die mit geistigen und körperlichen Plagen schon
genug gepeinigten Erdensöhne den grassesten Egoismus lehrt
und sie im Selbsterhaltungswahnsinne sich selbst martern und
zerfleischen läßt! Herbei mit dem kannibalischen Despoten,
der seinen gutmüthigen Unterthanen die schmählichsten Scla-
vensesseln anlegt, an Geist, Gemüth und Körper! Herbei und
hinunter mit ihm in den tiefsten.Abgrund der Hölle!" —
Dies war meine Grabrede. Ich hoffe, daß Du sie
schön findest und daß die Verdienste des zum Tode Vcrur-
theiltcn in würdiger Weise darin hervorgehoben sind. Der
arme Sünder bebte wie ein Espenlaub, wollte noch ein
Wörtlein reden; aber der Major gab ihm einen Stoß und
ich einen kräftigen Tritt - und so purzelte er in die Grube
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Croix de l'Hypocondre"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 38.1863, Nr. 916, S. 27
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg