Reisegeschicke eines jung en Ehepaares.
110
terland. Tomhris, Themistokles, Ajax, Cleopatra, die Jungfrau
von Orleans, Wilhelm Tell, Andreas Hofer, geben uns die
rührendsten Beispiele patriotischer Schwunghaftigkeit. O Gott!
Wie gerne würde ich eine solche geschichtliche Person werden!
Vielleicht ließe mich dann mein ganzes Vaterland aushauen!
— Mein Gattchen blieb tut Gasthäuschen sitzen und leerte
auf das Wohl deö Vaterlandes ein Töpfchen Bier aus. Er
sagte mir, daß er lieber im Bädeker die Beschreibung des
Schlachtfeldes lese, als sich in der Kühle des Morgens und
im Staube des Mittags den Lüften anssetze. 0 n’a point
de nerve ce jeune homme-ci! — Nachmittags besah ich mir
einige Buchhandlungen. Zu meiner patriotischen Freude
erblickte und kaufte ich ein jüngst erschienenes, höchst interessan-
tes Epos in reizenden Versen: „Das belagerte Wien" be-
titelt, und versenkte mich ganz darin. 0 Leonie de ma
patrie! Dieses Werk erfüllt meine ganze Seele! Darin
werden die Kämpfe der alten Wiener wider die Türken und
Kara Mustapha ganz im homerischen Style geschildert. Der
kaiserliche Hof Leopolds des Ersten, der damalige Adel, das
Bürgerthum, die Geistlichkeit, Katholizismus und Protestantis-
mus, Muhamedanismus und Patriotismus treten in diesem
Werke plastisch vor die historisch bewegte Seele. — Die
übrigen Merkwürdigkeiten von Leipzig hatten von nun an
kein Interesse mehr für mich, und ich bat mein Gattchen,
allsogleich nach der alten deutschen Kaiserstadt abzureisen, um
mich dort in alle jene historischen Gegenstände zu vertiefen,
welche der unbekannte Dichter des „belagerten Wicn's" so
comme il faut beschrieben und vor meine clectrisirtc Seele
gerufen hat. — Wir reisen daher schnellst nach Dresden ab.
Prag, Anfang Augustens 1862.
Dresden ist der Reiz selbst! Hier verschmilzt der deutsche
Norden mit den: germanischen Süden zu einem harmonischen
Ganzen. Der Himmel fängt hier an plötzlich blau zu wer-
den. Die Wiesen beginnen hier in's erste Stadium des
Grün zu treten, die Bäume bekommen schlankere Blätter
und fächeln graziös im Abendwinde. Die Brühl'sche Terrasse
ist gleichsam ein Altan, von dem aus man, wie von den
Zinnen einer Burg, die gesammten Reize des Sachsenlandes
überblicken kann. Die Elbe schwimmt zu unseren betrach-
tenden Füßen vorbei, und die schmucke Reichshanptstadt breitet
sich funkelnd im Sommersonnenstrahle nach verschiedenen
Seiten aus. Dresden würde mich sehr an München erinnern,
wenn es nicht dennoch so verschieden davon wäre. — Der
Zwinger ist süperb, doch weiß ich nicht, was eigentlich in
demselben bezwungen wurde. — Bald fuhren wir durch die
sächsische Schweiz, deren abgestutzte Bergformationcn meinen
künstlerischen Geschmack beleidigen. Wir langten, müde
werdend, in der pittoresken Stadt Prag an, welche Göthe
den kostbarsten Stein in der Mauerkrone der Erde nennt.
O'est vrai! Es ist schön hier, besonders im Mondschein
oder bei Sonnenuntergang. Aber die Bevölkerung theilt
sich hier in zwei gänzlich verschiedene Extremitäten, die
deutsche und die tschechische, und dicß führt die sogenannten
Nationalstreitigkeiten herbei. Die tschechische Extremität be-
neidet in der fürchterlichsten Weise die deutsche. Seit dem
germanischen Schillerfeste sollen hier alle tschechischen Patrioten
Tag und Nacht nachstudiren, um große historische Dichter ihrer
Extremität ausfindig zu machen. So oft es einem von
ihnen gelingt, wird allsogleich ein großes Nationalfest gefeiert,
wo man mit Musik und Fahnen umherzieht, um den Pa-
triotismus in gleichgültigen Nationalgemüthern zu elektrisiren.
Heute wurde ein solches nationales Dichterfest mit großem
Pompe aufgeführt. Ich erkundigte mich bei dem nationalen
Töchterchen unsers Wirthes nach dem Namen des gefeierten
Dichters. Das dralle böhmische Mädchen wußte aber keine
Auskunft darüber zu geben. Ich fragte in einem Laden,
gleichfalls um den Namen des Unsterblichen. Der Krämer ver-
sicherte mich in gebrochenem Deutsch, daß es am Besten sei,
in der Redaktion der Narodni Listy, einer nationalen Zeit-
schrift, darüber Nachzufragen, da die Herren Schreiber desselben
dieß am sichersten wüßten. Erst Abends konnte ich darüber
an der tadle d'düte Auskunft erhalten. Des Dichters Name
geht auf .... sky aus, die ersten Sylben habe ich mir nicht
merken können. Er soll zu Anfang dieses Jahrhunderts gelebt
und gedichtet haben, in welcher Stadt Böhmens aber konnte
man mir nicht sagen.
Bei dem Zuge herrschte eine außerordentliche Begeister-
ung und ich bemerkte viele altslavische Trachten, deren Träger
einigemal in unserer Nähe die Namen „Schiller," „Göthe,"
„Herder," „Wieland" eteetera in deutscher Sprache lächerlich
zu machen suchten, worüber wir selbst herzlich lachen mußten.
Morgen, Leonie, werde ich wieder nibelungische, ur-
germanische, historische Suft einathmen, denn wir wollen nach
Oesterreich abfahren. Mein Busen schwillt jetzt schon empor
und meine Seele trillert in sanftem Entzücken auf. Süd-
lichere, mildere Lüfte werden mich umfächeln, Weintrauben
und Pfirsiche vor mir im Sonnenstrahlc erglänzen, und Men-
schcnströme unter meinen Fenstern auf und ab spazieren.
Adieu! Adieu! Deine
unvergeßliche Laurine Grub er,
geborne Fischer.
(Fortsetzung folgt.)
110
terland. Tomhris, Themistokles, Ajax, Cleopatra, die Jungfrau
von Orleans, Wilhelm Tell, Andreas Hofer, geben uns die
rührendsten Beispiele patriotischer Schwunghaftigkeit. O Gott!
Wie gerne würde ich eine solche geschichtliche Person werden!
Vielleicht ließe mich dann mein ganzes Vaterland aushauen!
— Mein Gattchen blieb tut Gasthäuschen sitzen und leerte
auf das Wohl deö Vaterlandes ein Töpfchen Bier aus. Er
sagte mir, daß er lieber im Bädeker die Beschreibung des
Schlachtfeldes lese, als sich in der Kühle des Morgens und
im Staube des Mittags den Lüften anssetze. 0 n’a point
de nerve ce jeune homme-ci! — Nachmittags besah ich mir
einige Buchhandlungen. Zu meiner patriotischen Freude
erblickte und kaufte ich ein jüngst erschienenes, höchst interessan-
tes Epos in reizenden Versen: „Das belagerte Wien" be-
titelt, und versenkte mich ganz darin. 0 Leonie de ma
patrie! Dieses Werk erfüllt meine ganze Seele! Darin
werden die Kämpfe der alten Wiener wider die Türken und
Kara Mustapha ganz im homerischen Style geschildert. Der
kaiserliche Hof Leopolds des Ersten, der damalige Adel, das
Bürgerthum, die Geistlichkeit, Katholizismus und Protestantis-
mus, Muhamedanismus und Patriotismus treten in diesem
Werke plastisch vor die historisch bewegte Seele. — Die
übrigen Merkwürdigkeiten von Leipzig hatten von nun an
kein Interesse mehr für mich, und ich bat mein Gattchen,
allsogleich nach der alten deutschen Kaiserstadt abzureisen, um
mich dort in alle jene historischen Gegenstände zu vertiefen,
welche der unbekannte Dichter des „belagerten Wicn's" so
comme il faut beschrieben und vor meine clectrisirtc Seele
gerufen hat. — Wir reisen daher schnellst nach Dresden ab.
Prag, Anfang Augustens 1862.
Dresden ist der Reiz selbst! Hier verschmilzt der deutsche
Norden mit den: germanischen Süden zu einem harmonischen
Ganzen. Der Himmel fängt hier an plötzlich blau zu wer-
den. Die Wiesen beginnen hier in's erste Stadium des
Grün zu treten, die Bäume bekommen schlankere Blätter
und fächeln graziös im Abendwinde. Die Brühl'sche Terrasse
ist gleichsam ein Altan, von dem aus man, wie von den
Zinnen einer Burg, die gesammten Reize des Sachsenlandes
überblicken kann. Die Elbe schwimmt zu unseren betrach-
tenden Füßen vorbei, und die schmucke Reichshanptstadt breitet
sich funkelnd im Sommersonnenstrahle nach verschiedenen
Seiten aus. Dresden würde mich sehr an München erinnern,
wenn es nicht dennoch so verschieden davon wäre. — Der
Zwinger ist süperb, doch weiß ich nicht, was eigentlich in
demselben bezwungen wurde. — Bald fuhren wir durch die
sächsische Schweiz, deren abgestutzte Bergformationcn meinen
künstlerischen Geschmack beleidigen. Wir langten, müde
werdend, in der pittoresken Stadt Prag an, welche Göthe
den kostbarsten Stein in der Mauerkrone der Erde nennt.
O'est vrai! Es ist schön hier, besonders im Mondschein
oder bei Sonnenuntergang. Aber die Bevölkerung theilt
sich hier in zwei gänzlich verschiedene Extremitäten, die
deutsche und die tschechische, und dicß führt die sogenannten
Nationalstreitigkeiten herbei. Die tschechische Extremität be-
neidet in der fürchterlichsten Weise die deutsche. Seit dem
germanischen Schillerfeste sollen hier alle tschechischen Patrioten
Tag und Nacht nachstudiren, um große historische Dichter ihrer
Extremität ausfindig zu machen. So oft es einem von
ihnen gelingt, wird allsogleich ein großes Nationalfest gefeiert,
wo man mit Musik und Fahnen umherzieht, um den Pa-
triotismus in gleichgültigen Nationalgemüthern zu elektrisiren.
Heute wurde ein solches nationales Dichterfest mit großem
Pompe aufgeführt. Ich erkundigte mich bei dem nationalen
Töchterchen unsers Wirthes nach dem Namen des gefeierten
Dichters. Das dralle böhmische Mädchen wußte aber keine
Auskunft darüber zu geben. Ich fragte in einem Laden,
gleichfalls um den Namen des Unsterblichen. Der Krämer ver-
sicherte mich in gebrochenem Deutsch, daß es am Besten sei,
in der Redaktion der Narodni Listy, einer nationalen Zeit-
schrift, darüber Nachzufragen, da die Herren Schreiber desselben
dieß am sichersten wüßten. Erst Abends konnte ich darüber
an der tadle d'düte Auskunft erhalten. Des Dichters Name
geht auf .... sky aus, die ersten Sylben habe ich mir nicht
merken können. Er soll zu Anfang dieses Jahrhunderts gelebt
und gedichtet haben, in welcher Stadt Böhmens aber konnte
man mir nicht sagen.
Bei dem Zuge herrschte eine außerordentliche Begeister-
ung und ich bemerkte viele altslavische Trachten, deren Träger
einigemal in unserer Nähe die Namen „Schiller," „Göthe,"
„Herder," „Wieland" eteetera in deutscher Sprache lächerlich
zu machen suchten, worüber wir selbst herzlich lachen mußten.
Morgen, Leonie, werde ich wieder nibelungische, ur-
germanische, historische Suft einathmen, denn wir wollen nach
Oesterreich abfahren. Mein Busen schwillt jetzt schon empor
und meine Seele trillert in sanftem Entzücken auf. Süd-
lichere, mildere Lüfte werden mich umfächeln, Weintrauben
und Pfirsiche vor mir im Sonnenstrahlc erglänzen, und Men-
schcnströme unter meinen Fenstern auf und ab spazieren.
Adieu! Adieu! Deine
unvergeßliche Laurine Grub er,
geborne Fischer.
(Fortsetzung folgt.)
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Reisegeschicke eines jungen Ehepaares"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 38.1863, Nr. 926, S. 110
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg