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Die Briefma

Die Briefmarkcnsammlungsmanie hat einen den bis-
herigen psychologischen Begriffen vollständig entgegengesetzten
Weg eingeschlagen. Während man früher gewohnt war,
die Handlungen Erwachsener von den Kindern nachgeahmt
zu sehen, ist mit der Briefmarkensucht der umgedrehte Fall
eingetreten. Anfangs hatten die sonderbaren Papierstückchen
nur für die Kinder einen Reiz, doch bald ergriff diese
Sammelwuth auch die großen Leute und man gab sich
ihr mit einer Leidenschaftlichkeit hin, die oft gar keine Grenzen
kannte.

Der Leidenschaftlichste aller Sammler aber war der
reiche Drehfelder. Für ihn hatten nur noch Briefmarken
Werth und Bedeutung auf der Welt; alles klebrige hatte
für ihn den Reiz verloren. Sogar seine einzige Tochter war
seit jener Zeit in Drehfeldcrs Herzen in den Hintergrund
getreten und, was noch grausamer war, das schöne Mädchen
ward von ihrem Vater ausersehen, gleichsam als Preis für
die Erfüllung eines noch unbefriedigten Bricfmarkenwunsches
dienen zu sollen.

Die Blätter in Drehfeldcrs Album waren mit den
Marken aller Länder bedeckt, nur das letzte Blatt war leer.
Als Ueberschrift prangte darauf in goldenen Lettern das Wort
China, aber es war eben nichts Anderes als jenes Wort
auf dem Blatte zu sehen. Drehfclder hatte noch keine
chinesischen Briefmarken und das war es, was wie ein
giftiger Wurm verzehrend an seinem Dasein nagte.

Was ihm seine Nachforschungen, die gebotenen großen
Summen nicht hatten verschaffen können, das wollte er nun
durch die Liebe erreichen, das heißt durch die Liebe Anderer
zu seiner Tochter. Sobald sich ein Bewerber um die Hand
Adelgundens meldete, gab er stets ohne große Umschweife
sein Jawort, knüpfte jedoch die einzige Bedingung au dasselbe,
daß der Bewerber erst durch die Lieferung eines Sortiments
chinesischer Briefmarken das volle Anrecht auf die Hand
Adelgundens erhalten würde.

Frohen Herzens stürmten stets die feurigen Liebhaber
fort, um diese anscheinend so leichte Bedingung so rasch als
möglich zu erfüllen; nach einiger Zeit aber kehrten sie immer
betrübten Herzens zu Drehfelder mit der Meldung zurück,
daß nirgends chinesische Briefmarken aufzutreiben wären und
daß es überhaupt keine gäbe.

Aber dann schüttelte Drehfelder stets bitter lächelnd
sein Haupt und sagte: „Lächerlich! Die Chinesen gehören
zu den gebildetsten Völkern der Erde, viele Erfindungen haben
sie längst vor den Europäern gemacht und in den Brief-
marken allein sollten sie uns nachstehend Unmöglich! Die
Chinesen haben ganz gewiß längst Briefmarken für ihren
Postverkchr erfunden. Die Sucht alles geheim zu halten,
wird jedoch Schuld daran sein, daß man von dort aus
durchaus keine solchen Marken in das Ausland gelangen
läßt. Wenn ich aber keine chinesischen Briefmarken erhalten
kann, bin ich der unglücklichste Mensch auf der Welt und
meine Tochter — bleibt ledig!"

rkensammler.

Das waren die Donnerworte, die Hunderte von Be-
werbern in Verzweiflung brachten und Adelgunde — welkte
an dem unheilbaren chinesischen Briefmarkenübel sichtbar
dahin.

Zweites Kapitel.

In dieser Zeit erschien plötzlich in X. ein junger reicher
Cavalier Namens August von Wolfszahn, der ebenfalls in
der Welt keine erhabenere Beschäftigung kannte, als das
Briefmarkensammeln. Auch er führte in einem dicken Bande
seine kostbare Sammlung stets bei sich. In ihr schwelgten
des Tages über seine entzückten Augen und während der
Nacht ruhte auf ihr sein müdes Haupt.

Bald genug hörte August von der kostbaren unschätzbaren
Briefmarkensammlung des Rentier Drchfelder und sogleich
beschloß er, in Begleitung seines eigenen Schatzes dem Kunst-
gcnossen einen Ehrenbesuch zu machen. Er fuhr ans der
Stelle zu Drehfelder und wurde hier in Abwesenheit des
Vaters von der reizenden Tochter empfangen.

Oh August! Hättest Du die Liebliche nie gesehen, es
wäre für Euch Beide besser gewesen!

Adelgunden sehen und sie lieben, war bei August von
Wolfszahn das Werk eines Augenblickes. Sein Mund stammelte
zwar nur unzusammenhängende Redensarten, aber seine Augen
sprachen einstweilen desto deutlicher die Gefühle seines Herzens
aus. Noch ehe eine Viertelstunde verging, lag er dem
holden Mädchen zu Füßen.

„Adelgunde, himmlisches Geschöpf," rief August, „ich
bitte Sie um Alles was Ihnen theuer ist! Du mußt die
Meine werden! Willst Du?"

„Mein Herr — diese Ueberraschung," lispelte erschrocken
Adelgunde. „Ich weiß nicht, was ich Ihnen antworten soll,
aber — ich bitte Dich, August, frage meinen Vater!"

In diesem Augenblicke trat Herr Drehfclder in eigener
Person in das Zimmer.

„Schon wieder Einer?" flüsterte er betrübt vor sich
hin. „Was nützt das mir und Adelgunden, wenn er keine
Chinesen zur Stelle schafft."

„Mein Herr," stotterte August verlegen, sich rasch er-
hebend, „verzeihen Sie, daß Sie mich hier in dieser Stellung
überrascht haben. Ich bin ein leidenschaftlicher Briefmarken-
sammler und kam, um mir die Erlaubnis zur Besichtigung
Ihrer weltberühmten Sammlung zu erbitten. Ehe ich mir
jetzt jedoch Ihre Schätze besichtige, möchte ich eine andere
Bitte wagen. Ich kam, sah und liebte Ihre reizende Tochter;
Adelgunde ist auch mir geneigt; wollen Sie mich, den Baron
August von Wolfszahn, als Ihren Schwiegersohn anerkennen
und ausnehmend"

„Lassen Sie uns später von dieser Kleinigkeit sprechen,"
rief Drehfelder. „Ich höre, daß auch Sie ein Markcn-
sammler sind und deshalb umarme ich Sic zuerst als Kunst-
genossen. Nun aber kommen Sic mit mir in mein
Kabinct und lassen Sie uns unsere gegenseitigen Schätze
bewundern."
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