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Aus dem Leben ei

bemerkt worden, ganz versunken in die köstlichen Melodien,
die Meister Beethoven in dieser Schöpfung mit solcher Ver-
schwendung ausgestrcuet, auf dem weichen, schwellenden Tep-
pich des Zimmers still neben der Thür. Niemand, so weit
meine Augen es unterscheiden konnten, war außer der jungen
Dame, die am Clavier saß, im Saale anwesend; es konnte
mich also Niemand begrüßen. Denn der Spielerin, und
dieses mußte die Tochter des Hauses sein, war unter den
rauschenden Tönen des Instruments mein leises Eintreten
verborgen geblieben. Meine Situation, so wunderlich und
seltsam sie auch eigentlich war, gefiel mir eben ihrer Sonder-
barkeit wegen. Aber ich konnte sie noch verbessern; denn
nicht weit von mir stand an der Wand ein bequemer Lehn-
sessel, auf dessen Sitz von dunklem Grund von zarter Frauen-
hand eine weiße schlafende Katze, oder ein Hündchen, ich
konnte es mit meinen blöden Augen nicht unterscheiden, ge-
stickt war. Dahin konnte ich mich unbemerkt und ohne Stör-
ung schleichen und bequem Posto fassen. Denn selbst die
schönste Sonate verliert nichts an ihrem Genüsse und an
ihrem Werthe, wenn man sie sitzend anhört. Leise schleichend
erreiche ich den Lehnsessel, mache vorsichtig die Rockschöße aus-
einander und — da saß ich, um im nämlichen Augenblicke
pfeilschnell und von schrecklich zischenden, spuckenden Tönen ver-
folgt wieder auf und vor Schrecken halb starr mitten in das
Zimmer zu springen. Das junge Mädchen am Clavier
schrie vor Schrecken auf und rief: „Mein Gott! was ist
das!" sprang vom Stuhle auf und flüchtete hinter den Vor-
hang dex nahen Fensternische. Ich selbst war für den Augen-
blick außer Stande, eine Erklärung zu geben. Wußte ich
doch selbst nicht deutlich, was eigentlich geschehen und was
ich an gerichtet. Erst die mit Miauen an mir vorübersprin-
gcnde Katze klärte mir den Vorgang auf. Es blieb mir
kein Zweifel, ich hatte mich auf eine lebendige, schlafende
Hauskatze gesetzt, die eigentlich, wie ich nachher erfuhr, ein
Kater war. Eben wollte ich mich der jungen Dame erpli-
ciren, als ich sie hinter dem Vorhang hervorkommen und
rasch durch den Saal nach der Thür zu schlüpfen sah. Aber
ich hatte noch Zeit, ihr zuvorzukommcn und ihr zuzurufen:
„Fliehen Sie doch nicht, holde Nachbarin! ich bin's, der
Nachbar zur Linken, bin ja gekommen, um Ihnen und Ihrem
Herrn Vater für den freundlichen Antheil, den Sie an meinem
letzten, ach! leider schon nicht mehr letzten Unfall genommen
haben, von Herzen zu danken."

„O! Sie sind es, Herr Nachbar? wer konnte sich denn
das denken!" rief sie sich ermannend. „Gott! wie bin ich
eben erschrocken gewesen! und wie hatte ich mich gefürchtet!
Entschuldigen Sie nur mein wirklich albernes Benehmen."

„Ach! die Reihe um Entschuldigung zu bitten, ist an
mir!" rief ich, erfaßte ihre Hand und küßte sie. Bei dem
Dämmerlicht konnte sie nicht sehen, wie roth ich dabei wurde.

„Aber wie sind Sie nur hereingckommen?" fragte sie,
schon dreister werdend.

„Ei! durch diese Thür, durch die Sie eben ent-
schlüpfen wollten," erwiderte ich scherzend.

nes Kurzsichtigen.

„Aber ich habe Sie doch nicht eintreten hören?" fragte
sie weiter.

„Ja natürlich!" entgegnete ich ganz unbefangen, „ich
öffnete ganz leise, um Sie nicht zu stören und um durch
dieses Mittel den mir so seltenen und angenehmen Genuß,
eine Beethovensche Sonate mit Verständniß vortragen zu
hören, länger zu haben, warf mich dann in jenen Sessel
und kam dabei mit der darauf schlafenden Katze in eine
beiderseits höchst unerwünschte Collision."

Nun fing das junge Mädchen herzlich zu lachen an
und rief in komischer Angst: „Aber Sie werden mir doch
meinen armen Mutz nicht gequetscht haben! Er schrie ja
gar zu jämmerlich." Dann rief sie in den Saal hinein:
„Mutz! Mutz! wo bist Du!"

Aus der Ecke eines im fernsten Winkel stehenden Divans
ließ sich das antwortende Miauen des Katers hören. Sie

lief darauf zu, streichelte ihn und fand bald heraus, daß
Mutz ganz unbeschädigt und wohl auf war; und von dem
Schrecken, so plötzlich und etwas unsanft aus tiefem Schlummer
aufgestört zu werden, stirbt doch auch ein Kater nicht gleich.

„Aber wie konnten Sie sich auch nur so mir nichts
dir nichts auf unfern lieben alten Mutz setzen, Herr Nach-
bar?" fuhr sie zu scherzen fort.

„Ich glaubte ja," erwiderte ich durch das natürliche
und ungezicrte Wesen des jungen Mädchens aus aller meiner
sonst gewöhnlichen Befangenheit gerissen, „daß es eine Stickerei
sei von Ihrer schönen Hand gefertigt."

Nun aber lachte sie laut auf und rief: „O Gott! das
ist zum Sterben! Aber der gute Mutz hat sich nach Ihrem
jähen Sprunge mitten in's Zimmer zu schließen, nicht übel
gewehrt."

„Ei!" rief ich gleichfalls lachend, „er zischte und spru-
delte wie rasend um sich, und nur die eiligste Flucht konnte
mich seiner wohlverdienten Rache entziehen."

„Aber nun müssen Sie es ihm auch abbitten!" rief sie
ausgelassen vor Lust und Vergnügen, ergriff mich bei der
Hand und führte mich zu dem Kater.

„Gut! das soll geschehen!" rief ich vergnügt in den
Scherz eingehend, näherte mich dem Divan, machte dem Mntz,
der bei meiner Annäherung einen gewaltig krummen Buckel
machte, mein Compliment und sagte: „Lieber Mutz, du weißt
jetzt, daß ich eiu armes, kurzsichtiges Menschenkind bin, dem
seine blöden Augen schon ärgere Possen gespielt haben.
Sieh! es war von mir nicht bös gemeint; ich hielt dich
für etwas Besseres, als du warst, nämlich für eine Stickerei
von der zarten Hand deiner schönen Herrin."

„Gut gemacht, Herr Nachbar!" rief sie lachend, „nun
hat Mutz seine Genugthuung und wird nicht mehr böse
sein. Aber," fuhr sie ernster werdend fort, „nun auch genug
des ausgelassenen Kinderspiels, hätte ich beinah gesagt. Ich
will den Vater rufen lassen, der noch im Garten lustwandelt.
Ueber den Schrecken und — den Spaß Hab' ich alle meine
Pflichten vergessen."

„Ei!" rief ich und hielt sie an der Hand fest, „um
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