102
Herrn Graf's aus Pirna Briefe über das Leipziger Turnfest.
(Fortsetzung.)
Aber sehr sondcrbarlicht ist es, wie sich gleich die
Sbekilatzion auf das Turnfest verworfen hat, so daß man
Alles mögliche von Kobf bis zu Fuse kann mit die Turner-
bezeichnung haben. Da gicbt es zum Beisbiele einen Marin,
der hundertausend Turnerhüte anzcigen thut mit alle meg-
lichen Landesfarben, als Hutbender, Turnerstiefeln, Turner-
hawits, Turnerseife mit die vaterländische Farbe und den
Turnervater Jahn sein Brustbildnis dadrauf, welches letztere
aber doch auch eine gans sonderbare Einrichtung ist. Denn
es ist doch eine Schande, wenn man sich wollte mit schwarz-
roth-goldene Seife seine beschmutzigten Hände abwaschen, also
hicrdazu war dieses gar nicht zu brauchen und aber so ein
erbermlichtes Stickchen Seife kann man doch auch nicht als
Fahne zu dem Fenster hinausstecken. Wozu dient also blos
dieses als zu einer Lächerlichkeit? Ich denke Mir immer, daß
dieser schwarz-roth-goldne Seifensieder ist ein verkabter
Franzose gewesen, welcher damit hat blos wollen diese Far-
ben herunter wirdigen. Dann gab es auch sogenannten
Turnerlikehr angczeigt, welches auch ein Unsinn ist, weil in
das Turnvcreinsgesetze die erste Regel ist, daß sie nicht dirfen
geistliche Sbirutiosums trinken. Dieses ist also akuhrad das-
selbe, als wie wenn Einer wollte einen neugebornen
Kiuderschnabs auzeigen.
Von solche lächerlichte Gegenstenden gab es noch an die
vielen Tausende, welche Wir uns aber gar nicht ansehn
thateu, weil Man seine Zeit hier viel besser benutzen mußte,
da cs an alle Ecken und Enden so viel zu besehen gab.
Da ich nun aber die Stadt Leibzig aus meinen frühe-
ren Anwesenheiden schon kennen that, so war es meine
hauptsächlichte Absicht, sogleich den Sonntag Nachmittag den
Festblatz zu genieseu zu wollen. Fritze hatte mich so lange
gekwehlt, bis ich ihn auch eine Turnerklciduug gekauft hatte,
welches ich sogar bei diese schaudcrhaftige Hitze selbst gerne
auch für Mich gethan hätte, aber ich wollte mich nicht mit
fremde Federn schmicken, weil ich doch nicht dazu gehören that.
Kohle hatte keine Lust nicht, schon jetzt den Turnfest-
blatz zu besuchen, weil er sagte, daß er wollte diesen Nach-
mittag ärgedeckziönische Studiums au die Heiser der Stadt
begehen. Ich aber nebst Fritzen wir machten uns ans die
Strimbfe, oder vielmehr wir stellten uns an die nächste
Straßenecke, damit daß wir eine Droschkenfahrangelegenheit
erhielten, weil cs in diese Hitze für die Gesundheit nicht
rathsam war, zu Fuse zu gehen zu wollen. Diese selbigte
Lebcnsansicht hatten aber hingegen die Herren Turners auch,
und sobald als wie sich nur eine Droschke noch auf fünfzig
Schritte Entfernung zeigen that, so sbrangen sie schon von
weiten dahinein. Endlich bogen wir uns in eine andere
Gasse hinein, wo wir so glücklich waren, daß wir einen
Droschkenpferdc gerade in die Ziegel sielen. Der Kutscher
hielt sich, auch sogleich an und wir stiegen hinein, aber nun
verlangte dieser unverschämte Kerl anstatt sechs Groschen für
uns zwei Beide einen ganscn Dhalcr. Dieses entböhrte
Mich so sehr, daß ich anfing zu schimbfen und mit Ver-
klagung drohen that. Aber da lachte mich der Kutscher erst
recht aus und sagte: Bemühn Sie sich ja nicht, denn unsere
ganse wohlleblichte Bolizei hat während das Turnfest ihre
Ferichen und wenn Sie auf den Naschmarkt kommen, da
kennen Sie die Herren Bolizeiher mit die lange Feste sitzen
sehen und Dowak rauchen, aber hingegen Verklagungen nimmt
bei dieses Fest keiner keine nicht an, weil dieses die allgemein-
nitzlichte Freide stören thäte. Und wo sich Alles mit das
Turnfest freut, da brauchen wir Droschkenkutscher uns doch
nicht alleine auf die Traurigkeit zu verlegen. Wir wollen
aber auch unfern Sbas haben und deshalb nehmen wir blos
die vierfache Dackse als Fahrpreis und wenn Sie nicht
wollen, so finden sich schon noch andere anständigtere Leite,
die das zahlen.
Weil mich dieser infamigte Droschkenkutscher aber hier-
damit bei meine Barholdenehre angriff, so sagte ich weiter
nichts nicht, sondern zahlte den Thaler und stieg mit Fritzen
ein. Wie wir uns nun aber in Bewegung setzten, so dauerte
es gar nicht lange, bis daß auf einmal mitten im Galobf
ein Turner von diese Seite, dann wieder ein baar von die
andere Seite hcreinsbrangen und sich gans vergnigt mit zu
uns setzten. Nun, ich bin kein Sbaßverderber nicht und
lachte auch mit; bald darauf kamen aber auch noch dreie von
hinten herein mit gans gefährlichte Kabelburzelbcime ge-
sbrungcn und auf den Bock auch noch zweie, so wie zweie
hintendrauf zum Stehen. Der Kutscher fluchte zwar ab-
schcilicht, aber wir Andern waren schr frehlich. Pletzlich
zählte ich aber die Baßoschire in die einspännige Droschke
zusammen und da bemerkte ich mit Schrecken, daß wir zwels
Menschen und mit den groben Kutscher, was aber eichenllich
ein Unmensche war, gerade dreizehn Stick ansmachten, wo-
davon der alte Aberglaube ist, daß Einer sterben muß. Hier
hatte cs diesmal aber das Schicksal auf den Vierzehnten ab-
gesehen, welchen ich nicht mitgezehlt hatte. Dieses war näm-
lich das Droschkenbferd, welches auf einmal hinstürzte und
alle Zeichen von Leblosigkeit von sich gab. Nun grif aber
der grobe Kutscher nicht etwa zuerst nach sein Pferd, sondern
erst nahm er mich bei den Rockkragen und sagte, daß ich
ihn sein ächtcs arawichtes Thier bezahlen müßte, weil ich
zuerst in die Droschke gestiegen wäre. Die Herrn Turner
hatten aber schon den Pferde wieder auf die Beine verhelfen
und waren dann fortgegangen bis auf einen rechten dicken,
welcher in die Droschke sitzen geblieben war. Weil nun aber
unser Arawichcr gar nicht mehr von die Stelle wollte, so
schimbfte der Kutscher so lange, als wie bis ich und Fritze
aussticg, wo wir dann hinten an die Droschke geschoben
haben, bis wir das Pferd glücklich bis an den Ort unserer
Bestimmung gebracht hatten. Für einen Dhaler ist aber bei
eine Sbazierfahrt auf eine solche Weise doch nicht genug
Vergingen dabei und für gans umsonst hätte ich noch dazu
nicht einmal mit zu schieben brauchen, sondern konnte ruhig
zu Fuße gehen, wie ich Mir jetzt erst überlegen that. Doch
dieses war nun zu sbät und wir gingen deshalb ohne Auf-
Herrn Graf's aus Pirna Briefe über das Leipziger Turnfest.
(Fortsetzung.)
Aber sehr sondcrbarlicht ist es, wie sich gleich die
Sbekilatzion auf das Turnfest verworfen hat, so daß man
Alles mögliche von Kobf bis zu Fuse kann mit die Turner-
bezeichnung haben. Da gicbt es zum Beisbiele einen Marin,
der hundertausend Turnerhüte anzcigen thut mit alle meg-
lichen Landesfarben, als Hutbender, Turnerstiefeln, Turner-
hawits, Turnerseife mit die vaterländische Farbe und den
Turnervater Jahn sein Brustbildnis dadrauf, welches letztere
aber doch auch eine gans sonderbare Einrichtung ist. Denn
es ist doch eine Schande, wenn man sich wollte mit schwarz-
roth-goldene Seife seine beschmutzigten Hände abwaschen, also
hicrdazu war dieses gar nicht zu brauchen und aber so ein
erbermlichtes Stickchen Seife kann man doch auch nicht als
Fahne zu dem Fenster hinausstecken. Wozu dient also blos
dieses als zu einer Lächerlichkeit? Ich denke Mir immer, daß
dieser schwarz-roth-goldne Seifensieder ist ein verkabter
Franzose gewesen, welcher damit hat blos wollen diese Far-
ben herunter wirdigen. Dann gab es auch sogenannten
Turnerlikehr angczeigt, welches auch ein Unsinn ist, weil in
das Turnvcreinsgesetze die erste Regel ist, daß sie nicht dirfen
geistliche Sbirutiosums trinken. Dieses ist also akuhrad das-
selbe, als wie wenn Einer wollte einen neugebornen
Kiuderschnabs auzeigen.
Von solche lächerlichte Gegenstenden gab es noch an die
vielen Tausende, welche Wir uns aber gar nicht ansehn
thateu, weil Man seine Zeit hier viel besser benutzen mußte,
da cs an alle Ecken und Enden so viel zu besehen gab.
Da ich nun aber die Stadt Leibzig aus meinen frühe-
ren Anwesenheiden schon kennen that, so war es meine
hauptsächlichte Absicht, sogleich den Sonntag Nachmittag den
Festblatz zu genieseu zu wollen. Fritze hatte mich so lange
gekwehlt, bis ich ihn auch eine Turnerklciduug gekauft hatte,
welches ich sogar bei diese schaudcrhaftige Hitze selbst gerne
auch für Mich gethan hätte, aber ich wollte mich nicht mit
fremde Federn schmicken, weil ich doch nicht dazu gehören that.
Kohle hatte keine Lust nicht, schon jetzt den Turnfest-
blatz zu besuchen, weil er sagte, daß er wollte diesen Nach-
mittag ärgedeckziönische Studiums au die Heiser der Stadt
begehen. Ich aber nebst Fritzen wir machten uns ans die
Strimbfe, oder vielmehr wir stellten uns an die nächste
Straßenecke, damit daß wir eine Droschkenfahrangelegenheit
erhielten, weil cs in diese Hitze für die Gesundheit nicht
rathsam war, zu Fuse zu gehen zu wollen. Diese selbigte
Lebcnsansicht hatten aber hingegen die Herren Turners auch,
und sobald als wie sich nur eine Droschke noch auf fünfzig
Schritte Entfernung zeigen that, so sbrangen sie schon von
weiten dahinein. Endlich bogen wir uns in eine andere
Gasse hinein, wo wir so glücklich waren, daß wir einen
Droschkenpferdc gerade in die Ziegel sielen. Der Kutscher
hielt sich, auch sogleich an und wir stiegen hinein, aber nun
verlangte dieser unverschämte Kerl anstatt sechs Groschen für
uns zwei Beide einen ganscn Dhalcr. Dieses entböhrte
Mich so sehr, daß ich anfing zu schimbfen und mit Ver-
klagung drohen that. Aber da lachte mich der Kutscher erst
recht aus und sagte: Bemühn Sie sich ja nicht, denn unsere
ganse wohlleblichte Bolizei hat während das Turnfest ihre
Ferichen und wenn Sie auf den Naschmarkt kommen, da
kennen Sie die Herren Bolizeiher mit die lange Feste sitzen
sehen und Dowak rauchen, aber hingegen Verklagungen nimmt
bei dieses Fest keiner keine nicht an, weil dieses die allgemein-
nitzlichte Freide stören thäte. Und wo sich Alles mit das
Turnfest freut, da brauchen wir Droschkenkutscher uns doch
nicht alleine auf die Traurigkeit zu verlegen. Wir wollen
aber auch unfern Sbas haben und deshalb nehmen wir blos
die vierfache Dackse als Fahrpreis und wenn Sie nicht
wollen, so finden sich schon noch andere anständigtere Leite,
die das zahlen.
Weil mich dieser infamigte Droschkenkutscher aber hier-
damit bei meine Barholdenehre angriff, so sagte ich weiter
nichts nicht, sondern zahlte den Thaler und stieg mit Fritzen
ein. Wie wir uns nun aber in Bewegung setzten, so dauerte
es gar nicht lange, bis daß auf einmal mitten im Galobf
ein Turner von diese Seite, dann wieder ein baar von die
andere Seite hcreinsbrangen und sich gans vergnigt mit zu
uns setzten. Nun, ich bin kein Sbaßverderber nicht und
lachte auch mit; bald darauf kamen aber auch noch dreie von
hinten herein mit gans gefährlichte Kabelburzelbcime ge-
sbrungcn und auf den Bock auch noch zweie, so wie zweie
hintendrauf zum Stehen. Der Kutscher fluchte zwar ab-
schcilicht, aber wir Andern waren schr frehlich. Pletzlich
zählte ich aber die Baßoschire in die einspännige Droschke
zusammen und da bemerkte ich mit Schrecken, daß wir zwels
Menschen und mit den groben Kutscher, was aber eichenllich
ein Unmensche war, gerade dreizehn Stick ansmachten, wo-
davon der alte Aberglaube ist, daß Einer sterben muß. Hier
hatte cs diesmal aber das Schicksal auf den Vierzehnten ab-
gesehen, welchen ich nicht mitgezehlt hatte. Dieses war näm-
lich das Droschkenbferd, welches auf einmal hinstürzte und
alle Zeichen von Leblosigkeit von sich gab. Nun grif aber
der grobe Kutscher nicht etwa zuerst nach sein Pferd, sondern
erst nahm er mich bei den Rockkragen und sagte, daß ich
ihn sein ächtcs arawichtes Thier bezahlen müßte, weil ich
zuerst in die Droschke gestiegen wäre. Die Herrn Turner
hatten aber schon den Pferde wieder auf die Beine verhelfen
und waren dann fortgegangen bis auf einen rechten dicken,
welcher in die Droschke sitzen geblieben war. Weil nun aber
unser Arawichcr gar nicht mehr von die Stelle wollte, so
schimbfte der Kutscher so lange, als wie bis ich und Fritze
aussticg, wo wir dann hinten an die Droschke geschoben
haben, bis wir das Pferd glücklich bis an den Ort unserer
Bestimmung gebracht hatten. Für einen Dhaler ist aber bei
eine Sbazierfahrt auf eine solche Weise doch nicht genug
Vergingen dabei und für gans umsonst hätte ich noch dazu
nicht einmal mit zu schieben brauchen, sondern konnte ruhig
zu Fuße gehen, wie ich Mir jetzt erst überlegen that. Doch
dieses war nun zu sbät und wir gingen deshalb ohne Auf-