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130

Grützner';

am Morgen hereingekommen, daß die „ Emmy " von Ham-
burg mit 480 Passagieren auf der Rhede angekommen sei
und im Laufe des Tages in den Hafen bugsirt werden würde.
Auch ich saß, dem allgemeinen Drange nachgebend, mit
mehreren Bekannten um den großen runden Tisch des Par-
lours. Da war eben Freund Ziegler eingetreten mit einem
großen Packet Zeitungen unter dem Arm, die er lachend auf
den Tisch legte, indem er sagte:

„Da hat mir meine brüderliche Liebe unter Andern auch
einen Vierteljahrgang des Weinheimer Wochenblattes mitgeschickt.
Die will ich Euch Neugierigen zum allgemeinen Besten geben.
Ihr braucht nicht zu lachen und beim Anblick des Moniteurs
meiner löblichen Vaterstadt zu denken: was kann aus Naza-
reth Gutes kommen? Mein Weinheim ist mit nichten die
kleinste unter den sieben oder wieviel Städten des sächsischen
Landes. Mein Wochenblättchen repräsentirt so gut und viel-
leicht noch besser ein Stück deutsches Leben, als eure „Na-
tionale" und eure „Tante Vossen", euere „Kölnische" und
euere „AugSburgerin", wie euere „Leipziger Muhme."

Während dessen hatte sich Jeder von uns eine Nummer
des Blattes zngelegt und suchte eifrig nach Nachrichten, worin
sich jedoch die Ausbeute ziemlich spärlich erwies. Die wenigen
allgemeinen, aus dem nächsten besten größern Journal ohne
Auswahl abgeschriebeuen Nachrichten vertraten mehr den
bloßen politischen Klatsch, als daß sie die bedeutenden Ereig-
nisse jener Zeit erschöpfend behandelt hätten und beschränkten
sich auf den engsten Kreis. Der Inhalt war bei Weitem
rein örtlicher Natur und legte vielfach das echte philiströse
Kleinstädterleben zu Tage. Das hatte denn unter den Lesenden
schon manches Scherzwort hervorgerufen, als der Eine, welcher
sich besonders mit dem oft komischen Jnseratentheil amüstrte,
meinte, er möchte nur wissen, was das für eine Geschichte
mit einem gewissen verlorenen Setzstocke sein müßte; „dies
ist", sagte er, „schon die dritte Nummer, wo ich die Anfrage
lese, ob sich denn Grützner's Setzstock noch nicht gefunden habe?"

„Ich lese in meiner Nummer soeben das Gleiche," sagte sein
Nachbar darauf. „Ich auch," rief sogleich ein Dritter und, „ich
auch — ich auch I" fielen sofort ein paar Andere ein. Die
mehrfache Wiederholung hatte nunmehr die allgemeine Auf-
merksamkeit auf sich gezogen, man suchte weiter und fand noch
eine Menge Anfragen und ironische Bemerkungen über Grütz-
ner's Setzstock, ja in einer ganzen Reihe von Nummern die
stehende Notiz: Grützner's Setzstock hat sich noch immer nicht
gefunden, oder: Grützner's Setzstock will sich noch immer
nicht finden, oder: hat sich denn Grützner's Setzstock noch
nicht gefunden? und so weiter. Freund Ziegler, als geborner
Weinheimer, intercssirte sich vor Allem für die Sache, und
er war es auch, der in einer der ersten Nummern den
Schlüssel der Angelegenheit in einer Notiz fand, wo cs hieß:

„Nachdem das von der hiesigen Schützcngilde eingereichte
Gesuch, ihren Mitgliedern die bei Eröffnung des Belagerungs-
zustandes abgenommencn Scheibcngewchre behufs Abhaltung
und für die Dauer des alljährlichen Pfingstschießens hcrauö-
j zugeben, von einem Königlichen Ministerium beifällig be-

s S e tz st o ck.

schieden worden ist, sind dieselben gestern von der nach der
Hauptstadt an die Zeughausverwaltung entsandten Deputation
im besten Zustande in Empfang genommen und anher ge-
bracht worden, wobei nur der Setzstock der, dem ehrenwerthen
Mitglied Herrn Grützner gehörigen Standbüchse zu vermißen
gewesen und trotz eifrigen Suchens in den Lagerräumen nicht
hat aufgefunden werden können."

Und nun begann gleich in der nächsten Nummer das
Gespött über Grützner's Setzstock in allen möglichen Ton-
arten, bis sich ganz zuletzt auch noch ein mit dem Namen:
Gottlieb Grützner nnterzeichnetes Inserat fand, wo derselbe
seiner Indignation über dieses Treiben in nicht eben sehr ge-
wählten Worten Ausdruck gab und hinzufügte, er werde den
unberufenen Anfragern nach seinem Setzstock auf gerichtlichem
Wege Beruhigung zu Theil werden lassen.

„Nun," meinte Freund Ziegler, „ist mir die Sache klar.
Ich kenne diesen Grützner und meine Pappen- — wollte
sagen Weinheimer sehr wohl. Obwohl er sich zu den „Ho-
noratioren" zählt, Alles mitmachen und bei Allem vorne sein
will, ist er doch stets nur die Zielscheibe der Andern, und
das um so mehr, als er nicht die Gabe besitzt, einen Scherz
oder Spott zu erwidern oder zu ignoriren, sondern durch
Empfindlichkeit und komischen Ingrimm die Spötter nur im-
mer mehr reizt und herausfordert. So ist er von jeher, ja
schon in der Schule, wo ich das Vergnügen hatte, mit ihm
in einer Classe zu sitzen, der Narr und Sündenbock der An-
dern gewesen und ist es, wie wir sehen, noch. Nun muß
man meine guten, übermüthigen Weinheimer kennen mit ihrer
Scherzlust und Spottsucht, ihre ewige Weinlaune, wodurch sie
in der ganzen Umgegend berüchtigt sind. Wehe dem Armen,
der in ihre Klauen gerathen, nicht in der Lage ist, ihnen mit
gleicher Münze zu zahlen."

„Hört einmal", meinte jetzt ein Anderer," mir fällt da
etwas ein! Wie wäre es, wenn wir an die Redaktion des
Wochenblattes eine Zuschrift schickten, worin wir unsere Theil-
nahme für den die Weinheimer so nahe gehenden Verlust
von Grützner's Setzstock — "

„Ja, ja," rief Ziegler, „das wollen wir, das giebt in
Weinheim ein Haupthalloh und einen köstlichen Spaß. Heda,
Freund Wiener, Papier und Feder her, wir haben eine wich-
tige Correspondcnz vor! Die Redaktion des Wochenblattes
soll Augen machen, wenn ihr aus allen Welttheilen Correspon-
denzen zukommen und ich sehe im Geiste schon den Jubel
in Weinheim, wenn sie das lesen! Also frisch daran, wie
machen wir's? "

Unter allgemeiner Heiterkeit wurde an die Abfassung
des Briefes gegangen, wozu Jeder seine drei Heller beifügte.
In weniger als einer Viertelstunde war die Schrift fertig
und mit Unterschriften bedeckt. Sie lautete:

An die löbl. Redaktion des Weinheimer Wochen-
blattes.

Adelaide (Südaustralien) im Novbr. 1849.

Aus Ihrem geschätzten und auch hier, wenigstens
heute sehr gelesenen Blatte haben die Unterzeichneten das
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