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Bälle und ihre Folgen.
So verschieden, wie diese drei Annoncen, so ver-
schieden waren auch deren Folgen.
Folge der ersten war, daß das Reiter'sche und Hagen'sche
Haus alle Brautschafts- und Visiten-Aufregungen durchwachen
mußte, und daß Malwine Schellack von jetzt an nur noch
»Lieder dcö verlassenen Mägdleins" am Clavier sang, gegen
die Familie Reiter aber die gesammtcn Schellacks den Ton
der Gönnerschast noch um einige Noten höher anschlugen.
Folge der zweiten Annonce >var ein Besuch der Frau
Geheimen Oberrechnungsrath im Hause des Metzgcrmeisters.
„Kann ich nicht Meister Balthasar sprechen?" fragte
die Dame so herablassend als möglich, „was sie schöne
Bratwürste haben, und ganz allerliebste Jungen, sind das
Ihre Kinder, meine liebe Balthasar?" fragte sie die erstaunte
Metzgerin, welche nicht wußte, ob sie auf ihren Mann, die
Bratwürste oder die Buben zu antworten habe?
Der Meister war nicht weniger erstaunt, als die immense
Crinolinc der Dame sich um den Ladentisch herum in das
Hintcrstübchcn schob, wo er eben sein warmes Frühstück,
Schweinerippchen, zu verzehren im Begriff stand.
„Besten Appetit, lieber Meister," sagte die Dame,
„wenn man schon streng gearbeitet hat, kann man der-
artiges wohl vertragen. Als wir noch Equipage hielten,
meinte der Geheime Oberrechnungsrath immer: darnach die
Arbeit, darnach das Futter. Ich bin die Geheime Ober-
rcchnungsrath Schellack, bester Mann, nicht von Schellack,
daö setzen die Leute immer so hinzu. Gnädige Frau sagte
mir noch ohnlängst der Friseur Süßmilch, gnädige Frau
dürfen mir das nicht verübeln, da Sic aber immer nur mit
Adel verkehren — — — bester Süßmilch, sagt ich ihm,
wir wollen nicht mehr gelten, als wir sind, und d'rum,
lieber Meister, sagt' ich Ihnen auch, nicht von Schellack."
Der Meister, welcher mitten im friedlichen Essen war
gestört worden, würgte während dieser herablassend, huld-
vollen Vorstellung mit unendlicher Mühe ein Stück Brod
hinunter und da ihm von Allem nur Einzelnes verständlich
geworden, so sagte er zwar noch würgroth im Gesicht, aber
so verbindlich als möglich: „cs sei ihm sehr leid, daß die
Frau von Süßmilch nicht Schellack heiße, und mit was
sonst er ihr dienen könne? in Pfcrdefutter habe er keine
! Erfahrung, er sei Schwcinemetzger, wenn die Frau Geheime
Obcrfriscurrath darin seinen Rath wolle" — — — —
Es stack ihm noch immer ein Bissen im Halse und an dem
j würgt' er, daß ihm die Thräncn in die Augen traten.
„O," sagte die Geheime und lehnte mit einer huld-
vollen Handbewegung den Rath des Schwcinmctzgers ab,
»mein braver Süßmilch hat mir von Ihrem guten Herzen
erzählt. Gnädige Frau, sagt' er heute früh beim Frisircn,
gnädige Frau, können diese Familie nicht allein ernähren,
denken Sic, ein« verschämte Familie von vierzehn Kindern!"
„Vierzehn Kinder?!" ruft die Meisterin, welche Nand-
chen die Kunden überlassen und neugierig, was die große,
vornehm auSschcndc Dame von ihrem Mann wolle, in's
Zimmer getreten ist.
„Ja, vierzehn Kinder," sagt die Geheime mit bebendem
Mitleid in der Stimme, „und die Frau contract, der Mann
lungenleidend, und noch eine blinde Base im Haus. Sic
können sich denken, was ich an dieser Familie schon ge-
than habe."
Die Meisterin kann cs sich denken, man müßte ja ein
Barbar sein.
„Vierzehn Kinder und eine blinde Base, das ist viel,"
sagt der Meister, welchem jetzt die Thränen über die Backen
rollen.
„Und eine nervöse Schwiegermutter," fügt die Ge-
heime hinzu.
„Hm, hm," meint der Meister.
„Von der Frau Seite?" fragt die Meisterin.
„Von des Mannes Seite," sagt die Geheime.
„Ja, das muß arg sein!" seufzt die Meisterin, „meine
Schwiegermutter, Gott Hab' sie selig, war eine kreuzbrave
Frau und ihrer Lebtage nicht nervös — aber — — ich
Hab' doch auch mein Kreuz mit ihr gehabt."
„Es ist halt wie der Doctor in seinem Gedicht gesagt
hat, das Leben ist bitter," sagt in poetische Reminisccnzen !
versenkt der Meister.
„Nun, um zur Sache zu kommen," sagt die Geheime, ;
welcher es zu weitschweifig zu werden droht, „wie mir mein j
guter Süßmilch sagte, gnädige Frau geben sich vollkommen j
aus für diese Familie, gnädige Frau unterstützen nebenbei
noch so Viele —-daS ist wohl wahr, mein Guter,
sagt ich, aber waS läßt sich da thun?-Wenn gnädige
Frau wollten, sagt Süßmilch, und steckt mir den Chignon !
auf — — — da ist der Meister Kaspar — a hem —
Balthasar — er hat eine Kasse für verschämte Arme —
da kommt immer so allerhand Volk — und man kann es
nur danken, wenn man die rechten Leute zugewiescn
bekommt."
„Ja, das ist wahr," sagt die Meisterin, „es kommt
gar zu oft an Leute, wo es schlecht angewendet ist."
„Den Namen darf ich Ihnen nicht sagen, cs sind ver-
schämte Arme," sagt die Dame, „schreiben Sie nur in Ihre
Liste: durch Vermittlung der Frau Geheimen Obcrrcchnungs-
rath Schellack. Ich versichere Sie, Ihre Gaben sind hier
wohl angcwendet. Vierzehn Kinder, eine contracte Mutter,
ein lungensüchtiger Vater, eine blinde Base . . . ."
„Und eine nervöse Schwiegermutter," ergänzt die
Meisterin, welche auf diesen Umstand ein Hauptgewicht zu
legen scheint.
„Ja, cs ist arg," sagt der Meister, und die Folgen
dieser Unterredung sind, daß zu dem Dukaten des Jung-
gesellen und dem preußischen Thaler, welcher ihn deckte, der
Meister aus eigenem Beutel noch einen sehr namhaften
Beitrag hinzufügt.
„Das scheint eine sehr wohlthätige Frau zu sein,"
meint die Meisterin, alö die Geheime sich entfernt und alle
Segenswünsche der vierzehn Kinder und der Schwiegermutter
auf die Häupter der Meistersleute herabgerufcn hatte.
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Bälle und ihre Folgen.
So verschieden, wie diese drei Annoncen, so ver-
schieden waren auch deren Folgen.
Folge der ersten war, daß das Reiter'sche und Hagen'sche
Haus alle Brautschafts- und Visiten-Aufregungen durchwachen
mußte, und daß Malwine Schellack von jetzt an nur noch
»Lieder dcö verlassenen Mägdleins" am Clavier sang, gegen
die Familie Reiter aber die gesammtcn Schellacks den Ton
der Gönnerschast noch um einige Noten höher anschlugen.
Folge der zweiten Annonce >var ein Besuch der Frau
Geheimen Oberrechnungsrath im Hause des Metzgcrmeisters.
„Kann ich nicht Meister Balthasar sprechen?" fragte
die Dame so herablassend als möglich, „was sie schöne
Bratwürste haben, und ganz allerliebste Jungen, sind das
Ihre Kinder, meine liebe Balthasar?" fragte sie die erstaunte
Metzgerin, welche nicht wußte, ob sie auf ihren Mann, die
Bratwürste oder die Buben zu antworten habe?
Der Meister war nicht weniger erstaunt, als die immense
Crinolinc der Dame sich um den Ladentisch herum in das
Hintcrstübchcn schob, wo er eben sein warmes Frühstück,
Schweinerippchen, zu verzehren im Begriff stand.
„Besten Appetit, lieber Meister," sagte die Dame,
„wenn man schon streng gearbeitet hat, kann man der-
artiges wohl vertragen. Als wir noch Equipage hielten,
meinte der Geheime Oberrechnungsrath immer: darnach die
Arbeit, darnach das Futter. Ich bin die Geheime Ober-
rcchnungsrath Schellack, bester Mann, nicht von Schellack,
daö setzen die Leute immer so hinzu. Gnädige Frau sagte
mir noch ohnlängst der Friseur Süßmilch, gnädige Frau
dürfen mir das nicht verübeln, da Sic aber immer nur mit
Adel verkehren — — — bester Süßmilch, sagt ich ihm,
wir wollen nicht mehr gelten, als wir sind, und d'rum,
lieber Meister, sagt' ich Ihnen auch, nicht von Schellack."
Der Meister, welcher mitten im friedlichen Essen war
gestört worden, würgte während dieser herablassend, huld-
vollen Vorstellung mit unendlicher Mühe ein Stück Brod
hinunter und da ihm von Allem nur Einzelnes verständlich
geworden, so sagte er zwar noch würgroth im Gesicht, aber
so verbindlich als möglich: „cs sei ihm sehr leid, daß die
Frau von Süßmilch nicht Schellack heiße, und mit was
sonst er ihr dienen könne? in Pfcrdefutter habe er keine
! Erfahrung, er sei Schwcinemetzger, wenn die Frau Geheime
Obcrfriscurrath darin seinen Rath wolle" — — — —
Es stack ihm noch immer ein Bissen im Halse und an dem
j würgt' er, daß ihm die Thräncn in die Augen traten.
„O," sagte die Geheime und lehnte mit einer huld-
vollen Handbewegung den Rath des Schwcinmctzgers ab,
»mein braver Süßmilch hat mir von Ihrem guten Herzen
erzählt. Gnädige Frau, sagt' er heute früh beim Frisircn,
gnädige Frau, können diese Familie nicht allein ernähren,
denken Sic, ein« verschämte Familie von vierzehn Kindern!"
„Vierzehn Kinder?!" ruft die Meisterin, welche Nand-
chen die Kunden überlassen und neugierig, was die große,
vornehm auSschcndc Dame von ihrem Mann wolle, in's
Zimmer getreten ist.
„Ja, vierzehn Kinder," sagt die Geheime mit bebendem
Mitleid in der Stimme, „und die Frau contract, der Mann
lungenleidend, und noch eine blinde Base im Haus. Sic
können sich denken, was ich an dieser Familie schon ge-
than habe."
Die Meisterin kann cs sich denken, man müßte ja ein
Barbar sein.
„Vierzehn Kinder und eine blinde Base, das ist viel,"
sagt der Meister, welchem jetzt die Thränen über die Backen
rollen.
„Und eine nervöse Schwiegermutter," fügt die Ge-
heime hinzu.
„Hm, hm," meint der Meister.
„Von der Frau Seite?" fragt die Meisterin.
„Von des Mannes Seite," sagt die Geheime.
„Ja, das muß arg sein!" seufzt die Meisterin, „meine
Schwiegermutter, Gott Hab' sie selig, war eine kreuzbrave
Frau und ihrer Lebtage nicht nervös — aber — — ich
Hab' doch auch mein Kreuz mit ihr gehabt."
„Es ist halt wie der Doctor in seinem Gedicht gesagt
hat, das Leben ist bitter," sagt in poetische Reminisccnzen !
versenkt der Meister.
„Nun, um zur Sache zu kommen," sagt die Geheime, ;
welcher es zu weitschweifig zu werden droht, „wie mir mein j
guter Süßmilch sagte, gnädige Frau geben sich vollkommen j
aus für diese Familie, gnädige Frau unterstützen nebenbei
noch so Viele —-daS ist wohl wahr, mein Guter,
sagt ich, aber waS läßt sich da thun?-Wenn gnädige
Frau wollten, sagt Süßmilch, und steckt mir den Chignon !
auf — — — da ist der Meister Kaspar — a hem —
Balthasar — er hat eine Kasse für verschämte Arme —
da kommt immer so allerhand Volk — und man kann es
nur danken, wenn man die rechten Leute zugewiescn
bekommt."
„Ja, das ist wahr," sagt die Meisterin, „es kommt
gar zu oft an Leute, wo es schlecht angewendet ist."
„Den Namen darf ich Ihnen nicht sagen, cs sind ver-
schämte Arme," sagt die Dame, „schreiben Sie nur in Ihre
Liste: durch Vermittlung der Frau Geheimen Obcrrcchnungs-
rath Schellack. Ich versichere Sie, Ihre Gaben sind hier
wohl angcwendet. Vierzehn Kinder, eine contracte Mutter,
ein lungensüchtiger Vater, eine blinde Base . . . ."
„Und eine nervöse Schwiegermutter," ergänzt die
Meisterin, welche auf diesen Umstand ein Hauptgewicht zu
legen scheint.
„Ja, cs ist arg," sagt der Meister, und die Folgen
dieser Unterredung sind, daß zu dem Dukaten des Jung-
gesellen und dem preußischen Thaler, welcher ihn deckte, der
Meister aus eigenem Beutel noch einen sehr namhaften
Beitrag hinzufügt.
„Das scheint eine sehr wohlthätige Frau zu sein,"
meint die Meisterin, alö die Geheime sich entfernt und alle
Segenswünsche der vierzehn Kinder und der Schwiegermutter
auf die Häupter der Meistersleute herabgerufcn hatte.
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