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Eine Nacht auf der Lausche.
nebst mehreren Sorten Branntwein immer zu haben war und
es glücklich traf, wenn auch Eier und roher Schinken zu be-
kommen war. Als Nachtlager waren auf der Lausche zwar
eine Art bettenähnliche Lager zu bekommen, die in einem
langen, geräumigen unter der Decke des Gastzimmers ange-
brachten Brettverschlag sich befanden, welcher durch eine lose
zusammengefügte Scheidewand getrennt war, deren Ritze und
Spalten den Blick in das Innere des abgesperrten Raumes
ungehemmt gestatteten und durch Verschiebung des locker in
den Nägeln hängenden Lattenwerkes den Durchgang nicht be-
sonders erschwerte; aber von diesen hier aufgestellten Betten,
die hinsichtlich ihrer Reinlichkeit mehr abschreckten als an-
lockten, und deren Ueberzügc und Decken durch die Länge der
Zeit und vielseitiger Benutzung eine sehr zweifelhafte Färbung
erhalten hatten, machten die Reisenden nur ungern Gebrauch
und zogen denselben weit lieber eine frische Streu auf dem
Fußboden der Gaststube vor, die, wenn der Besuch auf der
Lausche ein zahlreicher war, auch dort stets bereitet wurde.
Was nun den Wirth dieses Gasthauses betraf, welcher
stundenweit entfernt von der nächsten menschlichen Wohnung
in dieser einsamen Wildniß wohnte, und sich zur Hilfsleistung
in seiner Wirthschaft ein oder zwei böhmische Mägde hielt,
so hatte derselbe ein so verwildertes und abschreckendes Aeuße-
res, daß gar Viele der Besucher bei dessen Anblick ein Ge-
fühl der Furcht nicht unterdrücken konnten, und froher und
leichter aufathmeten, wenn die kurze Nacht, die sie hier zuge-
bracht, vorüber war, wo denn der frische Morgen die ängst-
lichen Besorgnisse bald vertrieb, über die sie dann oft herzlich
lachen mußten. Mathes, so hieß der Lauschenwirth früherer
Zeit, war ein alter Junggeselle, der ein wildes ungebundenes
Leben geführt, und in dessen von Pockennarben zerfetztem
Gesicht nur ein Auge zu finden war, da das fehlende der
Besitzer desselben sich in einem heftigen Wuthausbruche eigen-
händig ausgerissen und von sich geworfen hatte. Durch den
Verlust desselben hatte nun das ohnehin häßliche Antlitz dieses
Mannes einen noch grauenhafteren Anblick erhalten, denn an
Stelle des fehlenden Auges zeigte sich eine bluthroth unter-
laufene Versenkung und da Mathes den Haarwuchs seines
Kopfes und Gesichtes seit langen Jahren mit einer Scheere
oder einem Barbiermesser in keine Berührung gebracht hatte,
so blickte aus dessen Antlitz außer jener Augenhöhle nur noch
das eine oft unheimlich und lauernd aufblitzende Auge und
eine Nase aus einem Walde starrer struppiger Haare hervor,
welche mit einem in schönster Reife befindlichen Maiskolben
eine täuschende Aehnlichkeit erlangt hatte, und deren in's
blaue und zinnoberrothc spielende Färbung eine Folge der
starken Dosis Alkohol war, die Mathes seit Jahren als Mittel
gegen die schädliche Einwirkung der rauhen Gebirgsluft zu
sich genommen hatte.
Was aber die Furcht vor diesem Lauschenwirth bei etwas
ängstlichen Leuten noch mehr erhöhte, waren die seltsamen Ge-
rüchte, die über das Leben und Treiben desselben als frühem
Pascher und Wildschütz unter den Bewohnern der ihm nahe
' gelegenen Dörfer in Umlauf waren und der Umstand, daß
Mathes selbst einige Jahre in einer Strafanstalt zugebracht
hatte, diese Haft aber nur einer sinnreichen Erfindung ver-
dankte, indem er im Verein mit einer Anzahl wissenschaftlicher
Forscher eine ganz eigenthümliche Telegraphenverbindung mit
Prag und der Lausche in's Leben gerufen hatte, um die
Zahlen, welche allmonatlich im Lotto dort als Terne, Qua-
terne oder Quinterne gezogen wurden, beim nächsten Lotto-
collecteur noch mit einigen Gulden besetzen zu können, ehe
noch bei der damals schwerfälligen und zeitraubenden Bekannt-
machung der Gewinne in den von Prag entferntliegenden
Ortschaften, diese Zahlen zur allgemeinen Kenntniß der Col-
lecteure gelangten; ob diese Art Telegraphie, bewirkt durch
eine Reihe auf weithin bemerkbaren Höhepunkten aufgesteckter
Zeichen, als Stangen, Fahnen, Kreuze und dergleichen, viel-
leicht dazu beigetrageu, diese Zeichensprache von Seiten der
Staatsregierungen zu vervollständigen, ist nicht in die Oeffent-
lichkeit gelangt, jedenfalls aber war man überzeugt, daß
Mathes und Genossen sich dadurch ein besonderes Verdienst
erworben und man hatte ihn deshalb in eine Anstalt unter-
gebracht, wo er ungestört über die weitere Ausbildung und
Verbesserung dieser Idee Nachdenken konnte. Aber trotzdem
sein verwildertes und abschreckendes Aeußere ganz dazu an-
gethan war, ihn zu allen möglichen gewaltthätigen Hand-
lungen fähig zu halten, war doch nie, so lange Mathes auf
der Lausche die Wirthschaft geführt, etwas vorgekommen,
wodurch dieser Verdacht sich bestätigt hätte, und keiner seiner
Gäste konnte ihm nachsagcn, daß er sich gegen dieselben
böswillig gezeigt, auch war keiner der vielen tausend Besucher
da oben bei Tag oder Nacht wegen Leben oder Eigenthum
einer Gefahr ausgesetzt gewesen, und diejenigen Bewohner
von Waltersdorf und Johnsdorf, mit denen Mathes am
häufigsten verkehrte, sowie die Geschäftstreibenden, mit denen
er in Verbindung stand, sprachen ihm sogar eine gewisse
Guthmüthigkeit nicht ab; Alle aber hüteten sich, mit ihm in
irgend einen Streit zu gerathen, da sein Jähzorn bei übler
Eine Nacht auf der Lausche.
nebst mehreren Sorten Branntwein immer zu haben war und
es glücklich traf, wenn auch Eier und roher Schinken zu be-
kommen war. Als Nachtlager waren auf der Lausche zwar
eine Art bettenähnliche Lager zu bekommen, die in einem
langen, geräumigen unter der Decke des Gastzimmers ange-
brachten Brettverschlag sich befanden, welcher durch eine lose
zusammengefügte Scheidewand getrennt war, deren Ritze und
Spalten den Blick in das Innere des abgesperrten Raumes
ungehemmt gestatteten und durch Verschiebung des locker in
den Nägeln hängenden Lattenwerkes den Durchgang nicht be-
sonders erschwerte; aber von diesen hier aufgestellten Betten,
die hinsichtlich ihrer Reinlichkeit mehr abschreckten als an-
lockten, und deren Ueberzügc und Decken durch die Länge der
Zeit und vielseitiger Benutzung eine sehr zweifelhafte Färbung
erhalten hatten, machten die Reisenden nur ungern Gebrauch
und zogen denselben weit lieber eine frische Streu auf dem
Fußboden der Gaststube vor, die, wenn der Besuch auf der
Lausche ein zahlreicher war, auch dort stets bereitet wurde.
Was nun den Wirth dieses Gasthauses betraf, welcher
stundenweit entfernt von der nächsten menschlichen Wohnung
in dieser einsamen Wildniß wohnte, und sich zur Hilfsleistung
in seiner Wirthschaft ein oder zwei böhmische Mägde hielt,
so hatte derselbe ein so verwildertes und abschreckendes Aeuße-
res, daß gar Viele der Besucher bei dessen Anblick ein Ge-
fühl der Furcht nicht unterdrücken konnten, und froher und
leichter aufathmeten, wenn die kurze Nacht, die sie hier zuge-
bracht, vorüber war, wo denn der frische Morgen die ängst-
lichen Besorgnisse bald vertrieb, über die sie dann oft herzlich
lachen mußten. Mathes, so hieß der Lauschenwirth früherer
Zeit, war ein alter Junggeselle, der ein wildes ungebundenes
Leben geführt, und in dessen von Pockennarben zerfetztem
Gesicht nur ein Auge zu finden war, da das fehlende der
Besitzer desselben sich in einem heftigen Wuthausbruche eigen-
händig ausgerissen und von sich geworfen hatte. Durch den
Verlust desselben hatte nun das ohnehin häßliche Antlitz dieses
Mannes einen noch grauenhafteren Anblick erhalten, denn an
Stelle des fehlenden Auges zeigte sich eine bluthroth unter-
laufene Versenkung und da Mathes den Haarwuchs seines
Kopfes und Gesichtes seit langen Jahren mit einer Scheere
oder einem Barbiermesser in keine Berührung gebracht hatte,
so blickte aus dessen Antlitz außer jener Augenhöhle nur noch
das eine oft unheimlich und lauernd aufblitzende Auge und
eine Nase aus einem Walde starrer struppiger Haare hervor,
welche mit einem in schönster Reife befindlichen Maiskolben
eine täuschende Aehnlichkeit erlangt hatte, und deren in's
blaue und zinnoberrothc spielende Färbung eine Folge der
starken Dosis Alkohol war, die Mathes seit Jahren als Mittel
gegen die schädliche Einwirkung der rauhen Gebirgsluft zu
sich genommen hatte.
Was aber die Furcht vor diesem Lauschenwirth bei etwas
ängstlichen Leuten noch mehr erhöhte, waren die seltsamen Ge-
rüchte, die über das Leben und Treiben desselben als frühem
Pascher und Wildschütz unter den Bewohnern der ihm nahe
' gelegenen Dörfer in Umlauf waren und der Umstand, daß
Mathes selbst einige Jahre in einer Strafanstalt zugebracht
hatte, diese Haft aber nur einer sinnreichen Erfindung ver-
dankte, indem er im Verein mit einer Anzahl wissenschaftlicher
Forscher eine ganz eigenthümliche Telegraphenverbindung mit
Prag und der Lausche in's Leben gerufen hatte, um die
Zahlen, welche allmonatlich im Lotto dort als Terne, Qua-
terne oder Quinterne gezogen wurden, beim nächsten Lotto-
collecteur noch mit einigen Gulden besetzen zu können, ehe
noch bei der damals schwerfälligen und zeitraubenden Bekannt-
machung der Gewinne in den von Prag entferntliegenden
Ortschaften, diese Zahlen zur allgemeinen Kenntniß der Col-
lecteure gelangten; ob diese Art Telegraphie, bewirkt durch
eine Reihe auf weithin bemerkbaren Höhepunkten aufgesteckter
Zeichen, als Stangen, Fahnen, Kreuze und dergleichen, viel-
leicht dazu beigetrageu, diese Zeichensprache von Seiten der
Staatsregierungen zu vervollständigen, ist nicht in die Oeffent-
lichkeit gelangt, jedenfalls aber war man überzeugt, daß
Mathes und Genossen sich dadurch ein besonderes Verdienst
erworben und man hatte ihn deshalb in eine Anstalt unter-
gebracht, wo er ungestört über die weitere Ausbildung und
Verbesserung dieser Idee Nachdenken konnte. Aber trotzdem
sein verwildertes und abschreckendes Aeußere ganz dazu an-
gethan war, ihn zu allen möglichen gewaltthätigen Hand-
lungen fähig zu halten, war doch nie, so lange Mathes auf
der Lausche die Wirthschaft geführt, etwas vorgekommen,
wodurch dieser Verdacht sich bestätigt hätte, und keiner seiner
Gäste konnte ihm nachsagcn, daß er sich gegen dieselben
böswillig gezeigt, auch war keiner der vielen tausend Besucher
da oben bei Tag oder Nacht wegen Leben oder Eigenthum
einer Gefahr ausgesetzt gewesen, und diejenigen Bewohner
von Waltersdorf und Johnsdorf, mit denen Mathes am
häufigsten verkehrte, sowie die Geschäftstreibenden, mit denen
er in Verbindung stand, sprachen ihm sogar eine gewisse
Guthmüthigkeit nicht ab; Alle aber hüteten sich, mit ihm in
irgend einen Streit zu gerathen, da sein Jähzorn bei übler
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Eine Nacht auf der Lausche"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 51.1869, Nr. 1255, S. 34
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg