82 Gewitter.
Der Jüngling dabei — steht unversehrt.
Und ferne im kleinen, dürftigen Haus
Eine Mutter steht und starret hinaus,
Und betet still zu Gottes Thron,
Nicht wissend, daß es gilt dem Sohn:
«Hilf, Himmel! Jedem, der draußen weilt,
Und den der Sturm im Feld ereilt!" K. H.
Den Kopf zum Pfand.
Der alte Rektor Kinderlin hatte eine eigenthümliche Ge-
wohnheit. Der gute Mann konnte bei der geringsten Ver-
anlassung ganz außer sich gerathen, und wenn er dann in
seinem aufgeregten Zustande etwas behauptete, so geschah das
gar nie anders, als indem er seine Aussage mit den Worten
bekräftigte: „Ich setze meinen Kopf zum Pfand!"
Wie viele Köpfe hätte der alte Rektor haben müssen,
wenn er jedes Mal, so oft er dies sagte, wäre beim Wort
genommen worden? Einmal aber sollte die Sache denn doch
eine ernstliche Wendung nehmen. Einer seiner Schüler aus
. der obern Klasse — ein gewisser Jakob Stemmer — der
1 war, so lang er das Gymnasium besucht hatte, immer ein
^ schlechter Lateiner gewesen. Das war dem Rektor ein Gräuel
Den Kopf zum Pfand.
und als eines Tages der junge Mensch wieder seinen alten
Klassiker nicht gehörig studirt hatte, da fuhr ihn der Rektor
ganz gewaltig an. „Aus Ihnen wird nichts," schrie er voll
Zorn, „aus Ihnen kann nichts werden und wird in Ihrem
ganzen Leben nichts — ich setze meinen Kopf zum Pfand!"
Das war nun allerdings nichts gewesen, als die alt
gewohnte Redensart des Rektors. Der junge Mann aber
schien sich die Sache zu Herzen genommen zu haben; er er-
schien von jener Stunde an nicht mehr beim Unterrichte und
wie man später erfahren hatte, war er sogleich darauf in
seine Heimath gereist. Dem Rektor war die Geschichte un-
angenehm, weniger zwar wegen des Kopfes, den er zum
Pfand gesetzt hatte, als weil seinerseits die Sache doch —
wie er sagte — gar so ernst nicht gemeint gewesen war. Sie
sollte ihm indessen noch theuer zu stehen kommen.
Mehrere Jahre später saß er eines Tages in seinem
Studierzimmer, allein, wie gewöhnlich; er war vertieft in
eine uralte Schrift, da wurde an seiner Wohnung heftig an-
geläutet. Kaum war die Thüre geöffnet, so wurden laute
Schritte vernehmbar; Sporengeklirr und das Gerassel eines
Säbels hörte man nebenbei und sofort wurde dann mit Ent-
schiedenheit angeklopft. Der alte Rektor erhob sich, aufgeschreckt
von seinem Studium, und rief: „Herein!" — Ein großer,
stattlicher Mann in der Uniform eines österreichischen Majors
trat in das Zimmer. Verschiedene Orden schmückten seine Brust,
und das von der Sonne verbrannte Gesicht, sowie die Narbe
auf seiner Stirne sagten es deutlich, daß jene Ehrenzeichen
nicht bei Hofe, durch Kindtaufgratulationen und dergleichen er-
worben worden waren.
„Mein Name ist Stemmer," sagte der Major nach
kurzem Gruß.
„Ich habe die Ehre," lispelte der Rektor. „Womit
kann ich dienen?"
„Ihnen ist mein Name wohl noch bekannt?" fuhr der
Major fort. „Ich war einmal Ihr Schüler."
„Ach ja," entgegnete der Rektor, „ich erinnere mich."
„Sie setzten damals bei einer Gelegenheit, die Sie sich
wohl noch vergegenwärtigen können, Ihren Kopf zum Pfand."
„Ach, ja, das war so ernsthaft nicht gemeint."
„Ich bin gewohnt," sprach der Major, „die Worte
eines Mannes für heilig zu halten. Sie behaupteten damals,
es werde nichts aus mir."
„Ich kann," entgegnete voll Verlegenheit der Rektor,
„ich kann zu meinem Vergnügen offenbar zum Gcgentheil
gratuliren."
„Damit gestehen Sie also zu, daß Ihre Behauptung
eine unrichtige gewesen ist," sagte der Major. „Sie haben
aber dafür, daß sie richtig sei, Ihren Kopf zum Pfand ge-
setzt, und ich komme —"
„Um Gottes Willen!" unterbrach ihn der Rektor, „Sie
werden doch nicht meinen alten Kopf —“
„Ich werde nichts verlangen," sprach der Major und
hängte seinen Säbelhaken aus, „gar nichts, als was ich for-
dern kann auf Grund Ihres gegebenen Wortes."
Der Jüngling dabei — steht unversehrt.
Und ferne im kleinen, dürftigen Haus
Eine Mutter steht und starret hinaus,
Und betet still zu Gottes Thron,
Nicht wissend, daß es gilt dem Sohn:
«Hilf, Himmel! Jedem, der draußen weilt,
Und den der Sturm im Feld ereilt!" K. H.
Den Kopf zum Pfand.
Der alte Rektor Kinderlin hatte eine eigenthümliche Ge-
wohnheit. Der gute Mann konnte bei der geringsten Ver-
anlassung ganz außer sich gerathen, und wenn er dann in
seinem aufgeregten Zustande etwas behauptete, so geschah das
gar nie anders, als indem er seine Aussage mit den Worten
bekräftigte: „Ich setze meinen Kopf zum Pfand!"
Wie viele Köpfe hätte der alte Rektor haben müssen,
wenn er jedes Mal, so oft er dies sagte, wäre beim Wort
genommen worden? Einmal aber sollte die Sache denn doch
eine ernstliche Wendung nehmen. Einer seiner Schüler aus
. der obern Klasse — ein gewisser Jakob Stemmer — der
1 war, so lang er das Gymnasium besucht hatte, immer ein
^ schlechter Lateiner gewesen. Das war dem Rektor ein Gräuel
Den Kopf zum Pfand.
und als eines Tages der junge Mensch wieder seinen alten
Klassiker nicht gehörig studirt hatte, da fuhr ihn der Rektor
ganz gewaltig an. „Aus Ihnen wird nichts," schrie er voll
Zorn, „aus Ihnen kann nichts werden und wird in Ihrem
ganzen Leben nichts — ich setze meinen Kopf zum Pfand!"
Das war nun allerdings nichts gewesen, als die alt
gewohnte Redensart des Rektors. Der junge Mann aber
schien sich die Sache zu Herzen genommen zu haben; er er-
schien von jener Stunde an nicht mehr beim Unterrichte und
wie man später erfahren hatte, war er sogleich darauf in
seine Heimath gereist. Dem Rektor war die Geschichte un-
angenehm, weniger zwar wegen des Kopfes, den er zum
Pfand gesetzt hatte, als weil seinerseits die Sache doch —
wie er sagte — gar so ernst nicht gemeint gewesen war. Sie
sollte ihm indessen noch theuer zu stehen kommen.
Mehrere Jahre später saß er eines Tages in seinem
Studierzimmer, allein, wie gewöhnlich; er war vertieft in
eine uralte Schrift, da wurde an seiner Wohnung heftig an-
geläutet. Kaum war die Thüre geöffnet, so wurden laute
Schritte vernehmbar; Sporengeklirr und das Gerassel eines
Säbels hörte man nebenbei und sofort wurde dann mit Ent-
schiedenheit angeklopft. Der alte Rektor erhob sich, aufgeschreckt
von seinem Studium, und rief: „Herein!" — Ein großer,
stattlicher Mann in der Uniform eines österreichischen Majors
trat in das Zimmer. Verschiedene Orden schmückten seine Brust,
und das von der Sonne verbrannte Gesicht, sowie die Narbe
auf seiner Stirne sagten es deutlich, daß jene Ehrenzeichen
nicht bei Hofe, durch Kindtaufgratulationen und dergleichen er-
worben worden waren.
„Mein Name ist Stemmer," sagte der Major nach
kurzem Gruß.
„Ich habe die Ehre," lispelte der Rektor. „Womit
kann ich dienen?"
„Ihnen ist mein Name wohl noch bekannt?" fuhr der
Major fort. „Ich war einmal Ihr Schüler."
„Ach ja," entgegnete der Rektor, „ich erinnere mich."
„Sie setzten damals bei einer Gelegenheit, die Sie sich
wohl noch vergegenwärtigen können, Ihren Kopf zum Pfand."
„Ach, ja, das war so ernsthaft nicht gemeint."
„Ich bin gewohnt," sprach der Major, „die Worte
eines Mannes für heilig zu halten. Sie behaupteten damals,
es werde nichts aus mir."
„Ich kann," entgegnete voll Verlegenheit der Rektor,
„ich kann zu meinem Vergnügen offenbar zum Gcgentheil
gratuliren."
„Damit gestehen Sie also zu, daß Ihre Behauptung
eine unrichtige gewesen ist," sagte der Major. „Sie haben
aber dafür, daß sie richtig sei, Ihren Kopf zum Pfand ge-
setzt, und ich komme —"
„Um Gottes Willen!" unterbrach ihn der Rektor, „Sie
werden doch nicht meinen alten Kopf —“
„Ich werde nichts verlangen," sprach der Major und
hängte seinen Säbelhaken aus, „gar nichts, als was ich for-
dern kann auf Grund Ihres gegebenen Wortes."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Gewitter"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 51.1869, Nr. 1261, S. 82
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg