106
Die Ochsen- Bärbel.
ans seiner Reise zmn fernen Rhein den Weg nimmt — gar
freundlich eingerahmt ist. Lange bevor die Lokomotive das
, Thal dnrchbrauste, zogen die liebliche Lage des Dorfes, eine
wohlgepflegte, ebene Straße, die köstlichen Weine, Erzeugnisse
jener grünen Berge nicht zn vergessen — die benachbarten
Städter schaarenweise dahin. Als aber „Bergen" — so hieß
das Dorf — gar zn einer Eisenbahnstation erhoben ward,
da faßten die schattenreichen Räume des Ochsengartcns oft
kaum die Menge der Gäste, während das Lamm, obschon
solches nenvergoldet aus dem frischbemalten Schilde herab-
koqncttirte, fast übersehen Ivnrde und sich mit dem begnügen
mußte, ivas im rothen Ochsen kein Unterkommen mehr fand.
Jenes besaß keinen Garten, es hielt keine so unverfälschten
Weine, es hatte endlich keine Bärbel, die es wie unsere
Ochsen-Bärbel verstand, den anfwartenden Dirnen Füße zn
machen und einen Kaffee zn brauen, wie ihn —- ja wie ihn
^ eben nur die Bärbel im rothen Ochsen zn brauen verstand.
Zn dieser Zeit nun, im Höhepunkt des Glanzes, der seine
Strahlen sonnig über das zufriedene Angesicht unserer Barbara
ergoß, siel es dem Ochsenwirth plötzlich ein, die Wirthschaft
schließen zu wollen. Die betroffene Alte machte Vorstellungen,
sie sprach von der Ehre, dem Ruhme des Hauses, sie brunimte
und keifte— alles umsonst! Der Schild wurde abgenommen
und das goldene Lamm, welches all' der angerühmten Sanft-
heit seines Geschlechtes entgegen den Ochsen längst zum Kuckuck,
Ivo nicht in noch weit schlimmere Gesellschaft gewünscht hatte,
j das goldene Lamm triumphirte!
Nur ein Trost war Bärbel nach diesem harten Schlage
gebliebene Seit Jahren hatte der rothe Ochse während der
Sommermonate eine Anzahl Gäste beherbergt, welche der
Genuß reiner Landlnft oder der Gebrauch kalter Bäder in
dem unmittelbar vor dem Dorf hinfließenden Neckar hieher-
i gelockt. Zumeist waren es Frauen mit ihren Kindern vom
schul- und strickstnndpflichtigen Alter bis zum schmächtigen
Wickelkinde herab, oder der Stärkung bedürftige Jungfrauen j
von ungewissen Jahren. Dann und wann auch ein stadt-
müder Pensionär oder, was aber zu den selteneren Fällen
zählte, ein flügellahmer Jüngling, dem Natur und Einsam-
keit zn neuem Aufschwung verhelfen sollten. Zum Empfang
dieser Gäste standen im ersten und zweiten Stocke einfach
aber bequem ausgestattete Zimmer bereit, ein kleiner Saal
aber bo hinreichenden Raum, Groß und Klein znm frugalen,
doch gut und kräftig bereiteten Mittagsmahle zn vereinen. Da
! die Verpflegung dieser Sommervögel einzig seiner Alten
und dem ihrem Commando untergeordneten Dienstpersonale
oblag, und ihn in seiner trüben Ruhe wenig störte, so will-
fahrte der lebensmüde Greis nach einigen schwachen Einiven-
dnngen der Bitte Jener, wenigstens diese Einrichtung auch
ferner beizubehalten, damit sie, wie sie sich ansdrückte, nicht
Faullenzerbrod essen müsse, was sicherlich ihren baldigen Tod
zur Folge haben würde.
Das Thal prangte längst im Frühlingsschmucke und
vom Saume des Flusses herüber blinkten die weißbedachten
Badehänschen. Im rothen Ochsen ist alles, was Hände und
Füße hat, in reger Thätigkeit. Jeder Tag bringt neue
Gäste; wer aber zieht wohl unter der Thüre ein, die Bär-
bels alte Hände heute mit einem Kranze schmückten?
* * *
„Nein, ich muß noch 'mal sagen: was Sie groß ge- j
worden sind, ein ganzes Frauenzimmer!" so ließ sich unsere
Alte gegen ein junges, hochaufgeschossenes Mädchen verlauten,
das mit einem Strauß bunter Nelken in der Hand ans der
obersten Treppe stand.
„Findet Sie das, Bärbel?" entgegnete das hübsche Kind
mit einem Lächeln, das großes Wohlgefallen an dem Com- !
plimente verrieth. „Nun, ich bin auch ein ganzes Jahr
älter geworden, seit wir Abschied nahmen und jetzt volle
Fünfzehn alt."
„Der Tausend, schon Fünfzehn! Das ist ein schönes
Alter, und Manche hat da schon an's Freien gedacht."
„Dazu hat's bei mir noch Zeit," meinte das junge j
Mädchen, indem eine feine Röthe ihr Gesichtchen überflog, '
welche merken ließ, daß Bärbels Andeutung wenigstens nicht
außer dem Bereiche ihrer Fassungskraft lag.
„Sie sieht auch recht gut ans, Bärbel, und ist gar nicht
älter geworden in dieser langen Zeit!"
Jungfer Barbara fand sich durch diese, der ihrigen ganz !
entgegengesetzte Bemerkung sichtlich geschmeichelt, sagte aber
„Das kann Fräulein Bella gar nicht ernst sein; mit mir
gcht's so allgemach hinunter, ich spür's an meinen Beinen,
die nimmer so recht fortwollen. Im klebrigen thnt's schon
noch ein Weilchen gut, wenn nur mein Herr, der Ochsen- >
wirth, auch —"
„Ach ja, der ist recht znsammengefallen! fiel Jsabella j
der Alten ins Wort. „Aber ich muß jetzt meine Nelken in's
Wasser stellen und Mama helfen auspacken! Weiß Sie auch
noch Geschichten, Bärbel? unten am Küchentische ivar's doch
immer gar zn schon, nicht, Bärbelchen?"
„Gott segne Sie, liebes Kind, daß Sie noch daran
denken," entgegnete diese gerührt. „Der Tisch steht noch an
seinem alten Plätzchen, und zum Erzählen, schätz' ich, ist auch
noch Vorrath da. Stellen Sic aber jetzt Ihre Blümlein
in's Glas, ich muß nach der Stine sehen, die ohne mich
alles verkehrt thut."
Sie kniff Bella zärtlich die rosige Wange und stieg die
Treppe hinab, das junge Mädchen aber eilte der bekränzten
Thüre zu.
Die Forsträthin Lindner, eine im Hohenloh'scheu woh-
nende, sehr «ermögliche Wittwe, hatte das stille Bergen schon
znm zweiten Male hauptsächlich deßhalb znm Sommeranf-
enthalt gewählt, um die Nähe einer langentbehrten Schwester,
die vor wenigen Jahren erst nach dem nur eine Stunde von :
Bergen entfernten Ellingcn — einem ehemaligen Reichsstädt-
lein — gezogen war, genießen zn können. Auch diesmal
hatten sie ihre beiden Kinder begleitet: die uns schon bekannte
Jsabella und ein jüngerer Knabe, welchen sie nach Beendig-
ung der Badekur in einer gleichfalls ganz in der Nähe ge-
legenen Erziehungsanstalt unterzubringen beabsichtigte. Die
Die Ochsen- Bärbel.
ans seiner Reise zmn fernen Rhein den Weg nimmt — gar
freundlich eingerahmt ist. Lange bevor die Lokomotive das
, Thal dnrchbrauste, zogen die liebliche Lage des Dorfes, eine
wohlgepflegte, ebene Straße, die köstlichen Weine, Erzeugnisse
jener grünen Berge nicht zn vergessen — die benachbarten
Städter schaarenweise dahin. Als aber „Bergen" — so hieß
das Dorf — gar zn einer Eisenbahnstation erhoben ward,
da faßten die schattenreichen Räume des Ochsengartcns oft
kaum die Menge der Gäste, während das Lamm, obschon
solches nenvergoldet aus dem frischbemalten Schilde herab-
koqncttirte, fast übersehen Ivnrde und sich mit dem begnügen
mußte, ivas im rothen Ochsen kein Unterkommen mehr fand.
Jenes besaß keinen Garten, es hielt keine so unverfälschten
Weine, es hatte endlich keine Bärbel, die es wie unsere
Ochsen-Bärbel verstand, den anfwartenden Dirnen Füße zn
machen und einen Kaffee zn brauen, wie ihn —- ja wie ihn
^ eben nur die Bärbel im rothen Ochsen zn brauen verstand.
Zn dieser Zeit nun, im Höhepunkt des Glanzes, der seine
Strahlen sonnig über das zufriedene Angesicht unserer Barbara
ergoß, siel es dem Ochsenwirth plötzlich ein, die Wirthschaft
schließen zu wollen. Die betroffene Alte machte Vorstellungen,
sie sprach von der Ehre, dem Ruhme des Hauses, sie brunimte
und keifte— alles umsonst! Der Schild wurde abgenommen
und das goldene Lamm, welches all' der angerühmten Sanft-
heit seines Geschlechtes entgegen den Ochsen längst zum Kuckuck,
Ivo nicht in noch weit schlimmere Gesellschaft gewünscht hatte,
j das goldene Lamm triumphirte!
Nur ein Trost war Bärbel nach diesem harten Schlage
gebliebene Seit Jahren hatte der rothe Ochse während der
Sommermonate eine Anzahl Gäste beherbergt, welche der
Genuß reiner Landlnft oder der Gebrauch kalter Bäder in
dem unmittelbar vor dem Dorf hinfließenden Neckar hieher-
i gelockt. Zumeist waren es Frauen mit ihren Kindern vom
schul- und strickstnndpflichtigen Alter bis zum schmächtigen
Wickelkinde herab, oder der Stärkung bedürftige Jungfrauen j
von ungewissen Jahren. Dann und wann auch ein stadt-
müder Pensionär oder, was aber zu den selteneren Fällen
zählte, ein flügellahmer Jüngling, dem Natur und Einsam-
keit zn neuem Aufschwung verhelfen sollten. Zum Empfang
dieser Gäste standen im ersten und zweiten Stocke einfach
aber bequem ausgestattete Zimmer bereit, ein kleiner Saal
aber bo hinreichenden Raum, Groß und Klein znm frugalen,
doch gut und kräftig bereiteten Mittagsmahle zn vereinen. Da
! die Verpflegung dieser Sommervögel einzig seiner Alten
und dem ihrem Commando untergeordneten Dienstpersonale
oblag, und ihn in seiner trüben Ruhe wenig störte, so will-
fahrte der lebensmüde Greis nach einigen schwachen Einiven-
dnngen der Bitte Jener, wenigstens diese Einrichtung auch
ferner beizubehalten, damit sie, wie sie sich ansdrückte, nicht
Faullenzerbrod essen müsse, was sicherlich ihren baldigen Tod
zur Folge haben würde.
Das Thal prangte längst im Frühlingsschmucke und
vom Saume des Flusses herüber blinkten die weißbedachten
Badehänschen. Im rothen Ochsen ist alles, was Hände und
Füße hat, in reger Thätigkeit. Jeder Tag bringt neue
Gäste; wer aber zieht wohl unter der Thüre ein, die Bär-
bels alte Hände heute mit einem Kranze schmückten?
* * *
„Nein, ich muß noch 'mal sagen: was Sie groß ge- j
worden sind, ein ganzes Frauenzimmer!" so ließ sich unsere
Alte gegen ein junges, hochaufgeschossenes Mädchen verlauten,
das mit einem Strauß bunter Nelken in der Hand ans der
obersten Treppe stand.
„Findet Sie das, Bärbel?" entgegnete das hübsche Kind
mit einem Lächeln, das großes Wohlgefallen an dem Com- !
plimente verrieth. „Nun, ich bin auch ein ganzes Jahr
älter geworden, seit wir Abschied nahmen und jetzt volle
Fünfzehn alt."
„Der Tausend, schon Fünfzehn! Das ist ein schönes
Alter, und Manche hat da schon an's Freien gedacht."
„Dazu hat's bei mir noch Zeit," meinte das junge j
Mädchen, indem eine feine Röthe ihr Gesichtchen überflog, '
welche merken ließ, daß Bärbels Andeutung wenigstens nicht
außer dem Bereiche ihrer Fassungskraft lag.
„Sie sieht auch recht gut ans, Bärbel, und ist gar nicht
älter geworden in dieser langen Zeit!"
Jungfer Barbara fand sich durch diese, der ihrigen ganz !
entgegengesetzte Bemerkung sichtlich geschmeichelt, sagte aber
„Das kann Fräulein Bella gar nicht ernst sein; mit mir
gcht's so allgemach hinunter, ich spür's an meinen Beinen,
die nimmer so recht fortwollen. Im klebrigen thnt's schon
noch ein Weilchen gut, wenn nur mein Herr, der Ochsen- >
wirth, auch —"
„Ach ja, der ist recht znsammengefallen! fiel Jsabella j
der Alten ins Wort. „Aber ich muß jetzt meine Nelken in's
Wasser stellen und Mama helfen auspacken! Weiß Sie auch
noch Geschichten, Bärbel? unten am Küchentische ivar's doch
immer gar zn schon, nicht, Bärbelchen?"
„Gott segne Sie, liebes Kind, daß Sie noch daran
denken," entgegnete diese gerührt. „Der Tisch steht noch an
seinem alten Plätzchen, und zum Erzählen, schätz' ich, ist auch
noch Vorrath da. Stellen Sic aber jetzt Ihre Blümlein
in's Glas, ich muß nach der Stine sehen, die ohne mich
alles verkehrt thut."
Sie kniff Bella zärtlich die rosige Wange und stieg die
Treppe hinab, das junge Mädchen aber eilte der bekränzten
Thüre zu.
Die Forsträthin Lindner, eine im Hohenloh'scheu woh-
nende, sehr «ermögliche Wittwe, hatte das stille Bergen schon
znm zweiten Male hauptsächlich deßhalb znm Sommeranf-
enthalt gewählt, um die Nähe einer langentbehrten Schwester,
die vor wenigen Jahren erst nach dem nur eine Stunde von :
Bergen entfernten Ellingcn — einem ehemaligen Reichsstädt-
lein — gezogen war, genießen zn können. Auch diesmal
hatten sie ihre beiden Kinder begleitet: die uns schon bekannte
Jsabella und ein jüngerer Knabe, welchen sie nach Beendig-
ung der Badekur in einer gleichfalls ganz in der Nähe ge-
legenen Erziehungsanstalt unterzubringen beabsichtigte. Die