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Der alte Nr
da regen sich alte Erinnerungen, freudige und schmerzliche; — I
vergessene Geschichten, längst begrabene Gedanken werden >
laut und lebendig, und der alte Kautz in seinem morschen
Lehnsessel wird mit einem Male wieder jung, — so jung!
Heute vorzüglich führt das roth - kattunene Regendach
einen gar lebhaften Sabbaths - Tanz auf, als wären seine
Gebeine, — die wallsisch'nen nämlich, — noch kein Dutzend
Sommer alt und doch zählt er deren mindestens 50. Er
feiert wohl unseren Verlobungslag, denn heute ist ja der
! 18. Dezember!
Der 18. Dezember! an diesem Tage— vor 40 Jahren —
stand ich, ein wohlgesetzter Dreißiger, des Morgens vor dem
Spiegel und musterte mein schneeblüthchcnweißes Jabot und
die glänzende Busennadel; dann strich ich einen spiegelnden
Seidcnkastor am Aerinel meines schwarzen Staatsrockes glatt
und verließ mit einem tiefgeseufzten: „In Gottes Namen!"
meine Stube. Ich befand mich damals in einer argen
Seufzerperiode: ich stand nämlich auf Freiersfüßen! Zwar
hatte ich noch nirgends angebissen, sondern streckte nur erst
meine Fühlhörner, nach allen Richtungen hin recognoscirend,
aus; allein eben deßhalb entlockte mir der Anblick jedes hei-
! rathssähigen weiblichen Geschöpfes einen halb Wonne- halb
Schmerzens-Seufzer!
Um nun als Mann von Vorsicht die zu diesem wichtigen
Schritte nothwendigen Papiere im entscheidenden Augenblicke
in Ordnung zu haben, galt mein heutiger Gang dem Herrn
Pfarrer, der mir meinen durch oftmaliges Einreichen bei Sup-
pliken, Ernennungen u. dgl. schon arg abgegriffenen Tauf-
schein — natürlich nur in der äußeren Form — verjüngen
sollte. Ich trat in's Gebäude des Pfarramtes und stieg in's
erste Stockwerk hinauf, wo mir ein Sakristan die Thüre wies
— nämlich die des Herrn Pfarrers. Aus dem Zimmer
schallten Tritte und lautes Gespräch; auch stand ein unge-
heurer, rother Regenschirm außen an den Thürstock gelehnt,
was mich belehrte, daß unser Seelenhirt anderwärts in An-
spruch genommen sei, ich daher erst das Fortgehen des un-
sichtbaren, jedoch nicht wegzuleugnenden Regenschirmbesitzcrs
abwarten müsse, was ich denn auch endlich in ergebener Ge-
duld durch zehn Minuten that. Schon wollt' ich jedoch meine
Anwesenheit durch schüchternes Anklopfen verrathen, als ich
vom Stiegenhause her leises Trippeln vernahm; im selben
Augenblicke erschien auf dem Flur, welcher das etwas luftige
und den Zugwinden leider sehr ansgesetzte Vorzimmer des
Pfarrers bildete, eine kleine, nette Frauengestalt, deren Alter
ich mit dem merkwürdig raschen Instinkt eines auf Freiers-
füßen Stehenden in der Schnelligkeit zwischen 20 und 30
tarirte. Da sie ihre Blicke schüchtern fragend umhersandte,
glaubte ich ihr Begehren errathen zu können und wies mit
den Worten: „Bitte hier, mein Fräulein!" (denn was sollte
sie anderes sein?) nach der bewußten Stube, nicht ohne sie
zugleich auf den verhängnißvollen Regenschirm, diesen stummen
und doch so sprechenden Cerberus, aufmerksam zu machen.
Damit war unser Gespräch auf einige Zeit unterbrochen. Im
Zimmer dauerten inzwischen Gespräch und Schritte fort.
e g e n s ch i r m.
Endlich knüpfte ich den Diseurs wieder an, indem ich
I aus dem eigenthümlichen Aeußern des Parapluies allerlei un-
geheuer witzige Conjecturen auf den muthmaßlichen Eigcnthümer
desselben zu ziehen versuchte, der mit dem Seelsorger so an-
gelegentlich zu verhandeln zu haben schien.
Das regenschirmende Instrument war nämlich von sehr
kräftigem Körperbau, äußerst voluminös, aus rothem Kattun
und der Griff des Stockes mit einem holzgeschnitzten Kopfe
mit ungeheuerlicher Nase geschmückt. Die von mir ausge-
sprochene Behauptung nun: dieser edle griechische Kopf könne
etwa gar das Conterfei des Eigenthümers sein, rief bei ineiner
Unbekannten ein dermaßen Helles Gelächter hervor, daß ich
selbst unwillkürlich mit einstimmen mußte, wodurch die heilige
Ruhe des Ortes gar gröblich gestört wurde, so daß wir schon
fürchteten, der gestrenge Herr Pfarrer werde seine Klause
verlassen, um uns zur Ordnung zu rufen; doch — Gott
sei Dank! — kam er nicht, sondern conversirte und trappte
in einem Tempo fort. Da nun aber nichts fremde Personen
einander leichter näher bringt, als eben diese erguickliche Gottes-
gabe: das Lachen! so kam unser im Flüsterton fortgesetztes
Gespräch bald in lebhaftesten Gang. Sie theilte mir mit,
daß sie eine Abschrift ihres Impfscheins zu erbitten komme,
da sie um die Stelle einer Verweserin in einer neu errichteten
Krankenanstalt zu competiren gedenke, wogegen ich — nicht
ohne innere Erregung — ihr die Geschichte meines zu ver-
jüngenden Taufscheines sammt Zweck und möglichen Folgen
vorzutragen begann, als wir rasche Schritte über die Treppe
heraufpoltern hörten, und zugleich ein kleines Männchen in
größter Hast herein — und auf den großen rothen Regen-
schirm losstürzte. Ein freudiges Lächeln durchstrahlte seine
Züge, deren bedauernswerthe Aehnlichkeit mit dem hölzernen
Conterfei uns jetzt deutlich auffiel (meine Ahnung hatte mich
somit nicht getäuscht); zärtlich preßte er den rosigen Gefährten
stürmischer und regnerischer Lebenstage unter den Arm und:
„Sie entschuldigen, ich hatte meinen Regenschirm vergessen,"
sprach's und verschwand. Zugleich öffnete sich die Thüre des
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Der alte Nr
da regen sich alte Erinnerungen, freudige und schmerzliche; — I
vergessene Geschichten, längst begrabene Gedanken werden >
laut und lebendig, und der alte Kautz in seinem morschen
Lehnsessel wird mit einem Male wieder jung, — so jung!
Heute vorzüglich führt das roth - kattunene Regendach
einen gar lebhaften Sabbaths - Tanz auf, als wären seine
Gebeine, — die wallsisch'nen nämlich, — noch kein Dutzend
Sommer alt und doch zählt er deren mindestens 50. Er
feiert wohl unseren Verlobungslag, denn heute ist ja der
! 18. Dezember!
Der 18. Dezember! an diesem Tage— vor 40 Jahren —
stand ich, ein wohlgesetzter Dreißiger, des Morgens vor dem
Spiegel und musterte mein schneeblüthchcnweißes Jabot und
die glänzende Busennadel; dann strich ich einen spiegelnden
Seidcnkastor am Aerinel meines schwarzen Staatsrockes glatt
und verließ mit einem tiefgeseufzten: „In Gottes Namen!"
meine Stube. Ich befand mich damals in einer argen
Seufzerperiode: ich stand nämlich auf Freiersfüßen! Zwar
hatte ich noch nirgends angebissen, sondern streckte nur erst
meine Fühlhörner, nach allen Richtungen hin recognoscirend,
aus; allein eben deßhalb entlockte mir der Anblick jedes hei-
! rathssähigen weiblichen Geschöpfes einen halb Wonne- halb
Schmerzens-Seufzer!
Um nun als Mann von Vorsicht die zu diesem wichtigen
Schritte nothwendigen Papiere im entscheidenden Augenblicke
in Ordnung zu haben, galt mein heutiger Gang dem Herrn
Pfarrer, der mir meinen durch oftmaliges Einreichen bei Sup-
pliken, Ernennungen u. dgl. schon arg abgegriffenen Tauf-
schein — natürlich nur in der äußeren Form — verjüngen
sollte. Ich trat in's Gebäude des Pfarramtes und stieg in's
erste Stockwerk hinauf, wo mir ein Sakristan die Thüre wies
— nämlich die des Herrn Pfarrers. Aus dem Zimmer
schallten Tritte und lautes Gespräch; auch stand ein unge-
heurer, rother Regenschirm außen an den Thürstock gelehnt,
was mich belehrte, daß unser Seelenhirt anderwärts in An-
spruch genommen sei, ich daher erst das Fortgehen des un-
sichtbaren, jedoch nicht wegzuleugnenden Regenschirmbesitzcrs
abwarten müsse, was ich denn auch endlich in ergebener Ge-
duld durch zehn Minuten that. Schon wollt' ich jedoch meine
Anwesenheit durch schüchternes Anklopfen verrathen, als ich
vom Stiegenhause her leises Trippeln vernahm; im selben
Augenblicke erschien auf dem Flur, welcher das etwas luftige
und den Zugwinden leider sehr ansgesetzte Vorzimmer des
Pfarrers bildete, eine kleine, nette Frauengestalt, deren Alter
ich mit dem merkwürdig raschen Instinkt eines auf Freiers-
füßen Stehenden in der Schnelligkeit zwischen 20 und 30
tarirte. Da sie ihre Blicke schüchtern fragend umhersandte,
glaubte ich ihr Begehren errathen zu können und wies mit
den Worten: „Bitte hier, mein Fräulein!" (denn was sollte
sie anderes sein?) nach der bewußten Stube, nicht ohne sie
zugleich auf den verhängnißvollen Regenschirm, diesen stummen
und doch so sprechenden Cerberus, aufmerksam zu machen.
Damit war unser Gespräch auf einige Zeit unterbrochen. Im
Zimmer dauerten inzwischen Gespräch und Schritte fort.
e g e n s ch i r m.
Endlich knüpfte ich den Diseurs wieder an, indem ich
I aus dem eigenthümlichen Aeußern des Parapluies allerlei un-
geheuer witzige Conjecturen auf den muthmaßlichen Eigcnthümer
desselben zu ziehen versuchte, der mit dem Seelsorger so an-
gelegentlich zu verhandeln zu haben schien.
Das regenschirmende Instrument war nämlich von sehr
kräftigem Körperbau, äußerst voluminös, aus rothem Kattun
und der Griff des Stockes mit einem holzgeschnitzten Kopfe
mit ungeheuerlicher Nase geschmückt. Die von mir ausge-
sprochene Behauptung nun: dieser edle griechische Kopf könne
etwa gar das Conterfei des Eigenthümers sein, rief bei ineiner
Unbekannten ein dermaßen Helles Gelächter hervor, daß ich
selbst unwillkürlich mit einstimmen mußte, wodurch die heilige
Ruhe des Ortes gar gröblich gestört wurde, so daß wir schon
fürchteten, der gestrenge Herr Pfarrer werde seine Klause
verlassen, um uns zur Ordnung zu rufen; doch — Gott
sei Dank! — kam er nicht, sondern conversirte und trappte
in einem Tempo fort. Da nun aber nichts fremde Personen
einander leichter näher bringt, als eben diese erguickliche Gottes-
gabe: das Lachen! so kam unser im Flüsterton fortgesetztes
Gespräch bald in lebhaftesten Gang. Sie theilte mir mit,
daß sie eine Abschrift ihres Impfscheins zu erbitten komme,
da sie um die Stelle einer Verweserin in einer neu errichteten
Krankenanstalt zu competiren gedenke, wogegen ich — nicht
ohne innere Erregung — ihr die Geschichte meines zu ver-
jüngenden Taufscheines sammt Zweck und möglichen Folgen
vorzutragen begann, als wir rasche Schritte über die Treppe
heraufpoltern hörten, und zugleich ein kleines Männchen in
größter Hast herein — und auf den großen rothen Regen-
schirm losstürzte. Ein freudiges Lächeln durchstrahlte seine
Züge, deren bedauernswerthe Aehnlichkeit mit dem hölzernen
Conterfei uns jetzt deutlich auffiel (meine Ahnung hatte mich
somit nicht getäuscht); zärtlich preßte er den rosigen Gefährten
stürmischer und regnerischer Lebenstage unter den Arm und:
„Sie entschuldigen, ich hatte meinen Regenschirm vergessen,"
sprach's und verschwand. Zugleich öffnete sich die Thüre des
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der alte Regenschirm"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 51.1869, Nr. 1275, S. 195
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Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg