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Der verschlafene Hans.

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gelt Veit!, es ist nicht wahr, daß ich oben im Rosengartl
dreißig Jahr geschlafen Hab', wie mir die Leut alleweil Nach-
reden, sag's selber, Veitl, bin ich nit no a kreuzlustiger Bue!"
Der alte Bauer drehte fich mit einem wehmüthigen Gesicht
ab, der verschlafene HanS aber setzte fich hinter den Tisch in
die Ecke, stützte seinen Kops aus beide Hände, und versank in
tiefes Hinbrüten, während fich Niemand weiter um den son-
derbaren Menschen bekümmerte.

Bis tief in die Nacht hinein jubelten und sprangen die
erhitzten Hochzeitgäste, und die Lust wollte kein Ende nehmen;
endlich ermahnte der alte Seeberger, daß es Zeit sei, die
Brautleute in die Kammer zu geleiten, und Alle setzten fich in
Bewegung, dem Zuge zu folgen; der Hochzeitreimer sagte noch
| seinen Spruch her, die Brautmutter nahm der Braut den Kranz
ab, ertheilte dem Paare den elterlichen Segen, und endlich führte
man die Beiden bei Kerzenschein und Geigenschall in die fest-
lich geschmückte Kemenate ein.

Als der Zug in die Stube zurück kehrte, war da Alles
still und düster — nur der verschlafene Hans saß noch in der
vorigen Stellung hinter'm Tische, kein Glied bewegend; das
Licht vor ihm war ganz hinab gebrannt, und warf einen falben
Schein auf sein zerrauft herabflatterndes Haar, und das volle
Branntweinglas stand unberührt vor ihm. — Die rückkehrenden
Gäste betrachteten mit scheuen Blicken die unheimliche Erschein-
ung, der alte Seeberger aber, in seinem Innersten vergnügt,
ermahnte, noch ein Stündchen beim Glase zu verplaudern, weil
so ein Abend denn doch nicht alle Tage käme, und bald saß
man wieder fröhlich beisammen, und der feuerige Rebensaft
behauptete sein altes Recht.— „Seit!" sagte Einer unter den
Zechern, „du bist der Aelteste in der ganzen Gemeinde, du
mußt uns heut erzählen, was dem Hans begegnet ist, als er
hinaufstieg nach dem Wolfsanger, um mit des Bösen Hilfe
den Schatz zu heben, der schon seit undenklichen Zeiten da
droben vergraben liegen soll."

„Ja, ja, erzähl' uns!" stimmten die Andern ein, „du
mußt's ja haarklein wissen."

Veit schüttelte aber melancholisch mit dem Kopse, leerte be-
dächtig sein Glas, und sagte: „Laßt's mich aus, Bueben, das
ist kein Hochzeitsspaß, es ist eine traurige, lange Geschichte,
und besser wär's, wenn fie mit mir zu Grabe ginge. —

I__

Schaut's Euch den Leider nur an, dort fitzt er, betrachtet's
sein Geficht, es kann fich ein Jeder seinen Theil herausklauben!"

„Geh' Veit!" rief da der Hochzeitsvater selbst, indem er
ihm das leere Glas voll schenkte, „geh', sei den jungen Leuten
zu Willen, ich bin am Ende selbst neugierig zu hören, was
eigentlich an der Sache ist."

„3a, ja, spreitz' dich nicht länger!" drängten Alle, und Veit,
von allen Seiten eingeschloffen und bestürmt, mußte sich wohl
oder übel entschließen, mit seiner Erzählung ins Feld zu rücken.—

„Es find jetzt wohl fünfzig Jahre" (begann er, indem er
sein Pfeifchen gestopft und angezündet hatte), „daß ich ein
munterer und flinker Kühbub war, und da oben über'm Wolss-
anger mein Vieh auftrieb; zu jener Zeit war der verschlafene
Hans weit und breit der verwegenste Gemsjäger, der beste
Schütz, und dabei der schönste, stattlichste Bursche, wie nur je
Einer aufgewachsen war in unfern freien, lustigen Bergen.—
Ihr hättet sehen sollen, wie das Weibsvolk gaffte, wenn der
Jägerhaus (so hieß man ihn damals) mit seinem Büchserl
durch's Dorf schritt, wie die Fenster klapperten, und wie sie
die Köpfe heraussteckten, und ihm nachluegten, bis er ihnen
aus den Augen war.

Der Hans scherte fich aber wenig oder nichts um die Dirnen,
ging Tag für Tag mit seinem Birschstutzen aus die Jagd,
und ließ sich oft manche Woche gar nicht im Dorfe sehen. —
Wie aber das Schicksal gar wunderbar mit den Menschen
spielt, so traf fich's auch, daß sich der Jägerhaus, dem an
jedem Finger, wenn er wollte, ein paar Bräute hingen, auf
dem Kirchweihtanz in die schöne Leni vom Schellenhos verliebte,
und in kurzer Zeit so in fie verschossen war, daß jeder frohe
Muth von ihm wich, und die Gemsen wohl Ruh bekamen vor
dem trutzigen Jäger! — Die Leni war aber eine spaßige
Dime, aus der keine Seele recht klug werden konnte; bald
war der Hans ihr lieber, herziger, goldener Bue, bald sagte
fie ihm wieder, er möchte ihr mit seinem langweiligen Wesen
aus den Augen gehen, sie hätte Wichtigeres zu thun, als mit
ihm zu plauschen und zu scherzen.

Bei solchen schlimmen Launen schlich dann der Hans ganz
betrübt heim, und ließ fich wohl oft tageweis vor Niemanden
sehen, bis ihn die Sehnsucht wieder hinaustrieb zur schönen,
launischen Leni. — Neidige Dirnen machten sich wohl lustig
über den amien Jägerhaus, und sagten: die Leni habe recht,
daß sie den stolzen Menschen ein wenig an der Nase herum-
ziehe, im Herzen dachte aber eine Jede: „Ich nähme ihn doch,
wenn er zu mir käme!"

Wohlmeinende Leute hatten aber ihr herzliches Bedauern
mit dem guten Hans, und schalten die Leni ein boshaftes,
leichtfertiges Ding, so mit ihren albernen Launen den tüch-
tigsten Burschen dtr Gegend zu einem Müßiggeher und Kopf-
hänger mache. —

Eines Abends saß der Hans wieder wie gewöhnlich bei
der Leni droben im Schellenhos, und sein Geficht glänzte vor
Freude, denn die Dirne war heimlich und zutraulich, wie noch
nie, und ihr ganzes Wesen schien ihm wie ausgewechselt. —
Draußen stürmte und heulte der kalte Novemberwind, und
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der verschlafene Hans"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Schmolze, Carl Hermann
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Mann <Motiv>
Gaststätte <Motiv>
Schlaf <Motiv>
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 6.1847, Nr. 125, S. 34
 
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