Amerikanische Briefe.
186
Dritter Vrirf.
Lieber Herr Vetter und Kollege!
Gottlob, daß Sie nun doch endlich fest entschlossen find,
zu uns zu kommen und hierzu bereits ernstliche Anstalten zu
Ihrer Abreise tteffen. Ich hätte mir auch bei derartigen Aus-
fichten ersparen können, Ihnen nochmals zu schreiben, wenn
ich Sie nicht noch mit einigen kleinen Aufträgen belästigen
müßte, und wenn ich nicht vor Allem daS Bedürfniß fühlte,
in kurzen Zwischenräumen mein bürgermeisterliches Herz in
das Herz eines andern Bürgermeisters auszuschülten. Gottlob!
Ach, in der Art haben es die Bürgermeister in Europa doch
besser; fie können. Gottlob! jede Stunde mit ihresgleichen
verkehren, während ich hier wohl aus viele hundert Meilen in
der Runde keinen einzigen Standesgenossen habe! Eine solche
Jsolirung mitten unter den wilden Bestien ist aber in meiner
jetzigen Stellung um so fühlbarer, als der freundnachbarliche
Umgang mit den Bewohnern der nahen Wälder, von dem ich
Ihnen in meinem letzten Schreiben ausführlich sprach, ausge-
hört hat, und außerdem, der unrer den Kolonisten um fich
greifende Geist für einen Bürgermeister nicht der beruhigendste ist.
Der schönste Theil meiner Hoffnungen, den ich aus den
Leipziger Kinderfreund gesetzt hatte, ist dahin! Die Orangutangs
sind am Ende doch nicht so kulturfähig, als ich Anfangs
meinte, und die deutschen Naturforscher haben doch vielleicht
in ihrem Urtheile über fie nicht ganz Unrecht; denn denken
Sie fich, lieber Herr Vetter *), meine Freunde im Walde
blökten und grinsten mich an, als ich fie zum ersten Mal aus
den gediegenen Inhalt des Leipziger Kinderfreundes aufmerksam
machte, und bei einem zweiten Versuch ergriffen diese Wald-
menschen sammt und sonders die Flucht, und keiner hat fich seit-
dem wieder unter uns sehen lassen, ja bis tief in die Wälder
hinein soll unter deren unrafirten, wadenlvsen Bewohnern ein
panischer Schrecken ausgebrochen sein. Einem Bürgermeister
ist doch. Gottlob! sonst Alles begreiflich, aber dieser durch die
Leipzigerin hervorgerufene Schrecken gehört zu den Ereignissen,
die ich nicht begreife. Können Sie, lieber Herr Vetter und
Kollege, mir dieses Räthsel lösen? Wenn Sie hier ankommen,
so werde ich, mit Ihnen vereint, die Lösung versuchen; da nun
aber indessen von Seile der Bewohner der Wälder her, jede
Ausficht auf Vergrößerung meiner Kolonie verschwunden ist,
so bitte ich Sie um so mehr, mit Ihrer Abreise zu eilen, so
wie auch Ihren guten Freunden recht angelegentlich die Auswan-
derung an die User des Rio grande zu empfehlen, damit ich
wenigstens aus die eine oder andere Weise für den Verlust
meiner unrafirten und wadenlosen Freunde aus den Wäldern
entschädigt werde. Gottlob!
Denn sehen Sie, lieber Herr Vetter und Kollege, —
Gottlob! — unter den mit mir Herübergekommenen fieht es,
wie ich schon oben sagte, nun einmal nicht ganz sauber auS,
so daß ich die Nothwendigkeit fühle, meinen Gensvarmen um
einen Mann zu verstärken. Es wäre dies der öffentlichen
•) und Kollege,
Ordnung wegen, und dann auch, um dem Hetze! einen Kollegen
zu geben. Sagen Sie selbst, lieber Herr Vetter und Kollege,
hat nicht dermalen jeder Esel einen Kollegen? Und liegt über-
haupt nicht ein erhebendes Gefühl darin, wenn einer zum
andern »Herr Kollege* sagt? Und um dem Hetze! dies erhebende
Gefühl beizubringen, will ich ihm nun einen Kollegen ver-
schaffen, mir nebenbei vorbehaltend, sobald als möglich auch
noch einen zweiten Nachtwächter auszukapern. Bin ich aber
einmal auf diese Art ausgerüstet, so erwarte ich getrosten
Muthes die Stürme, die etwa Hereinbrechen möchten. Ja,
lieber Herr Vetter und Kollege, ich ahne Stürme, entsetzliche
Stürme, denn der Würstle niest immer noch, der Muckeberg
hat sich immer noch nicht ausgelöst, und der Picker und Knaspe
bleiben, so oft fie einander begegnen, immer noch stehen und
sehen sich an. Ja, ich ahne Stürme, entsetzliche Stürme, aber
ich habe auch Mukh, entsetzlichen Mulh, — und werde, wenn
es sein muß, der civilistrten Welt zu zeigen wissen, wie ein
Bürgermeister an den Ufern des Rio grande zu sterben ver-
steht! Gottlob, ja Gottlob!
Unterdessen habe ich keinerlei Vorkehrungen versäumt und
mir unter Anderm eine kleine bewaffnete Armee geschaffen, zu
welcher außer meiner Frau, dem Gensvarmen, Nachtwächter,
deren beiden Weibern und unserm sämmtlichen Nachwuchs,
auch noch die beiden Kirkmeier gehören, denen ich noch halb
und halb vertrauen darf; Gottlob! Sie alle find mit Spießen
bewaffnet und unausgesetzt meines Winks gewärtig. Der
jüngere Kirkmeier ist ein verteufelt kouraschirter Kerl. Stellen
Sie fich vor, lieber Herr Vetter und Kollege, daß er fich sogar
eine Pistole verschafft
hat, welche er bestän-
dig im Sack trägt;
aus mein bürgermei-
sterliches Wort, eine
Pistole trägt er im
Sack. Obwohlernun
dies in meinem In-
teresse thut, so muß
ich doch sagen, daß
es mich, so oft er mir
vor die Augen tritt,
ganz eiskalt überläust.
Zwar ist die Pistole,
nicht geladen, allein
das ist so eine Sache,
und der Teufel weiß,
ob das Mordinstru-
mentdochnichteinmal
losgehen kann. Die
Haare stehen mir aber
zu Berge, wenn ich
nur an das Losgehen denke! Schrecklich, schrecklich, welcher Un-
zahl von Gefahren ein Bürgermeister an den Ufern des Rio
grande ausgesetzt ist, und daran ist im Grunde nichts Schuld,
als die Nieserei des Würstle, dies,S gottvergessnen Kerls. Von
186
Dritter Vrirf.
Lieber Herr Vetter und Kollege!
Gottlob, daß Sie nun doch endlich fest entschlossen find,
zu uns zu kommen und hierzu bereits ernstliche Anstalten zu
Ihrer Abreise tteffen. Ich hätte mir auch bei derartigen Aus-
fichten ersparen können, Ihnen nochmals zu schreiben, wenn
ich Sie nicht noch mit einigen kleinen Aufträgen belästigen
müßte, und wenn ich nicht vor Allem daS Bedürfniß fühlte,
in kurzen Zwischenräumen mein bürgermeisterliches Herz in
das Herz eines andern Bürgermeisters auszuschülten. Gottlob!
Ach, in der Art haben es die Bürgermeister in Europa doch
besser; fie können. Gottlob! jede Stunde mit ihresgleichen
verkehren, während ich hier wohl aus viele hundert Meilen in
der Runde keinen einzigen Standesgenossen habe! Eine solche
Jsolirung mitten unter den wilden Bestien ist aber in meiner
jetzigen Stellung um so fühlbarer, als der freundnachbarliche
Umgang mit den Bewohnern der nahen Wälder, von dem ich
Ihnen in meinem letzten Schreiben ausführlich sprach, ausge-
hört hat, und außerdem, der unrer den Kolonisten um fich
greifende Geist für einen Bürgermeister nicht der beruhigendste ist.
Der schönste Theil meiner Hoffnungen, den ich aus den
Leipziger Kinderfreund gesetzt hatte, ist dahin! Die Orangutangs
sind am Ende doch nicht so kulturfähig, als ich Anfangs
meinte, und die deutschen Naturforscher haben doch vielleicht
in ihrem Urtheile über fie nicht ganz Unrecht; denn denken
Sie fich, lieber Herr Vetter *), meine Freunde im Walde
blökten und grinsten mich an, als ich fie zum ersten Mal aus
den gediegenen Inhalt des Leipziger Kinderfreundes aufmerksam
machte, und bei einem zweiten Versuch ergriffen diese Wald-
menschen sammt und sonders die Flucht, und keiner hat fich seit-
dem wieder unter uns sehen lassen, ja bis tief in die Wälder
hinein soll unter deren unrafirten, wadenlvsen Bewohnern ein
panischer Schrecken ausgebrochen sein. Einem Bürgermeister
ist doch. Gottlob! sonst Alles begreiflich, aber dieser durch die
Leipzigerin hervorgerufene Schrecken gehört zu den Ereignissen,
die ich nicht begreife. Können Sie, lieber Herr Vetter und
Kollege, mir dieses Räthsel lösen? Wenn Sie hier ankommen,
so werde ich, mit Ihnen vereint, die Lösung versuchen; da nun
aber indessen von Seile der Bewohner der Wälder her, jede
Ausficht auf Vergrößerung meiner Kolonie verschwunden ist,
so bitte ich Sie um so mehr, mit Ihrer Abreise zu eilen, so
wie auch Ihren guten Freunden recht angelegentlich die Auswan-
derung an die User des Rio grande zu empfehlen, damit ich
wenigstens aus die eine oder andere Weise für den Verlust
meiner unrafirten und wadenlosen Freunde aus den Wäldern
entschädigt werde. Gottlob!
Denn sehen Sie, lieber Herr Vetter und Kollege, —
Gottlob! — unter den mit mir Herübergekommenen fieht es,
wie ich schon oben sagte, nun einmal nicht ganz sauber auS,
so daß ich die Nothwendigkeit fühle, meinen Gensvarmen um
einen Mann zu verstärken. Es wäre dies der öffentlichen
•) und Kollege,
Ordnung wegen, und dann auch, um dem Hetze! einen Kollegen
zu geben. Sagen Sie selbst, lieber Herr Vetter und Kollege,
hat nicht dermalen jeder Esel einen Kollegen? Und liegt über-
haupt nicht ein erhebendes Gefühl darin, wenn einer zum
andern »Herr Kollege* sagt? Und um dem Hetze! dies erhebende
Gefühl beizubringen, will ich ihm nun einen Kollegen ver-
schaffen, mir nebenbei vorbehaltend, sobald als möglich auch
noch einen zweiten Nachtwächter auszukapern. Bin ich aber
einmal auf diese Art ausgerüstet, so erwarte ich getrosten
Muthes die Stürme, die etwa Hereinbrechen möchten. Ja,
lieber Herr Vetter und Kollege, ich ahne Stürme, entsetzliche
Stürme, denn der Würstle niest immer noch, der Muckeberg
hat sich immer noch nicht ausgelöst, und der Picker und Knaspe
bleiben, so oft fie einander begegnen, immer noch stehen und
sehen sich an. Ja, ich ahne Stürme, entsetzliche Stürme, aber
ich habe auch Mukh, entsetzlichen Mulh, — und werde, wenn
es sein muß, der civilistrten Welt zu zeigen wissen, wie ein
Bürgermeister an den Ufern des Rio grande zu sterben ver-
steht! Gottlob, ja Gottlob!
Unterdessen habe ich keinerlei Vorkehrungen versäumt und
mir unter Anderm eine kleine bewaffnete Armee geschaffen, zu
welcher außer meiner Frau, dem Gensvarmen, Nachtwächter,
deren beiden Weibern und unserm sämmtlichen Nachwuchs,
auch noch die beiden Kirkmeier gehören, denen ich noch halb
und halb vertrauen darf; Gottlob! Sie alle find mit Spießen
bewaffnet und unausgesetzt meines Winks gewärtig. Der
jüngere Kirkmeier ist ein verteufelt kouraschirter Kerl. Stellen
Sie fich vor, lieber Herr Vetter und Kollege, daß er fich sogar
eine Pistole verschafft
hat, welche er bestän-
dig im Sack trägt;
aus mein bürgermei-
sterliches Wort, eine
Pistole trägt er im
Sack. Obwohlernun
dies in meinem In-
teresse thut, so muß
ich doch sagen, daß
es mich, so oft er mir
vor die Augen tritt,
ganz eiskalt überläust.
Zwar ist die Pistole,
nicht geladen, allein
das ist so eine Sache,
und der Teufel weiß,
ob das Mordinstru-
mentdochnichteinmal
losgehen kann. Die
Haare stehen mir aber
zu Berge, wenn ich
nur an das Losgehen denke! Schrecklich, schrecklich, welcher Un-
zahl von Gefahren ein Bürgermeister an den Ufern des Rio
grande ausgesetzt ist, und daran ist im Grunde nichts Schuld,
als die Nieserei des Würstle, dies,S gottvergessnen Kerls. Von
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Amerikanische Briefe"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Thema/Bildinhalt (normiert)
Bewaffnung <Motiv>
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 6.1847, Nr. 144, S. 186
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg