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146

Dcr Tottel.

„Wie viel Dienste hast Du gehabt. Constans?" fragte die
Grafentochter.

„Zehn!" erwiderte der Gefragte ziemlich rasch, und setzte
hinzu: „Ich hätte nicht so genau gezählt; aber gestern hat
mich der Teichbauer fortgejngt; der hat mir gesagt: das wäre
nun mein zehnter Dienst; nun sollte ich mich weiter tragen;
hier wagte es wohl Niemand mehr mit mir."

„Warum hat er Dich fortgejagt?" fragte die Grafentochtcr.

„Er hat mir gesagt", entgegnetc der Tottel. „wir wollten
kegeln zusammen, und wie Viel ich ihm in drei Spielen ab-
gewünne. das sollte mein Jahreslohn sein. Ich war's zufrieden,
weil ich niemals hatte kegeln können, und hatte cs immer gerne
gewollt. Da hat er mir im ersten Spiele fünfzehn Batzen
abgewonnen, und ich ihm im zweiten dreißig und im dritten
sechzig; und ich habe zwei Kegel entzweigeschoben; so habe
ich hineiugewettert! Na. da war's ihm nicht recht, und erst
hatte er's doch selber gewollt."

„Was war Dein erster Dienst, Constans?" fragte wieder
die Grafentochtcr.

„Bei der Zicgen-Sarah!" sprach der Tottel. „Sic ist
eine Muhme von mir. Die nahm mich meiner Mutter ab,
weil die klagte, sie könnte mich nicht mehr satt füttern."

„Wie ging's da. Constans?" fragte das Grafenkind.

„Noch am längsten!" entgegnetc kleinlaut der Gefragte.
„Aber nicht besonders. Ich mußte stricken lernen, daß ich
doch etwas Mehr thäte für das große Stück Brot alle Tage,
als zwei Ziegen hüten. Aber wenn ich hütete, lief ich der
einen Ziege nach, und da verlief sich die andre; und wenn
ich strickte, verlor ich die Maschen von den Nadeln und die
Ziegen aus den Augen. Da wurde es der Muhme zu bunt,
und sie sagte zu meiner Mutter: Ich kann ihn doch gar nicht
brauchen! Der ist nicht zum Ziegenhüten und Strümpfe-
stricken gut."

Die Grafentochtcr lächelte, sah den Tottel sehr freundlich
an und sprach: „Zwei Dinge thun. hüten und stricken, eine
Ziege hüten und die andre Ziege hüten, das ist nicht für
Dich, Constans! Du thnst Eins, und das recht. Wer Dir
eine Taube gäbe oder einen Falken, ich glaube, sie wären Beide
in guter Hand; aber entweder die Taube oder der Falke müßte
cs sein; oder, wenn es einen Vogel gäbe, der Beides wäre."

Der Tottel sah sic groß an; er fühlte, daß sie Mehr
meinte, als er verstand.

Die Grafentochtcr wurde roth von seinem fragenden Blicke,
und sic sagte: „Wie ging's Dir denn weiter, Tottel? Constans
wollt' ich sagen! Nimm's nicht übel! Es war nicht böse gemeint."

Der Tottel streckte ihr treuherzig die Hand hin zum Zeichen,
daß er ihr nicht grolle, und dann nahm er so wieder das
Wort: „Der ist gut zum Bäumefällen! hat meine Muhme
gesagt."

„Da hat sie eigentlich Recht gehabt, Constans!" sprach
die Grafentochtcr, und lächelte wieder.

„Freilich!" stimmte der Tottel eifrig ein. „Ich hab's
auch eingesehn und bin zum Eichenbauer gegangen, und habe
gelernt, starke Seile hoch an die Eichen zu binden und sic

dann anzuhauen und umzureißen. Das hätte können am besten
gehn; aber cs ist doch nicht gegangen!"

„Was hast Du da für Unglück gehabt, Constans?" fragte
die Grafentochtcr.

„Ich sollte eine große Eiche fällen!" antwortete der Tottel-
„Sie war verkauft und bezahlt und sollte weit weg gefahren
werden von Fuhrleuten, und es eilte sehr. Da ich aber das
Seil anband, fand ich oben ein Finkennest; und das gcst"
mir so; und die Alten und die Kleinen dauerten mich, D"
lief ich nach Hause und wollte den Bauer fragen, ob wir den
Baum nicht stehen lassen könnten, bis die Jungen flügge wären-
Er war aber über Land, und da er am Nachmittage hcimkw"
und den Baum noch heil und gesund und mich oben im 3B4’fcl
sah und ich wegen der Finken fragte: da nahm er in der Wutd
einen großen Stein und traf mich so an den Kopf, daß gleich
das Blut herunterlief. Da rief ich: „Ihr habt mir ein große-
Loch in den Kopf geworfen, und es thut sehr weh; aber ich
will's euch vergeben; denn ich Hab' euch nicht nach Wunsch
gethan." Aber er warf noch einen zweiten Stein; der traf
grade in's Nest, daß die kleinen Thierchcn zu Brei zerquetsch'
wurden. Da wurde aber ich auch wüthend und schrie: „Hollah-
Bauer, jetzt komme ich hinunter! Da sollt ihr die Knödel, die
ihr auftragt, auch kosten, ob sie euch schmecken werden!" Da
lief er davon, und ich Hab' ihm kein Loch in den Kopf werfen
können; aber dienen macht' ich dem Kerl doch nicht mehr, und
meinen Lohn Hab' ich auch nicht bekommen!"

„Hast Du nicht auch bei des Lindenbauers Tochter gedient,
die den Hof geerbt hat?" fragte, etwas zögernd, die Grafen"
tochter. „Davon war allerlei hämisches Gerede im Thale!

„Freilich Hab' ich!" entgegnetc der Tottel, ganz frisch und
unbefangen. „Sie hat mich auch gut genug gefuttert und
gekleidet dazu, und mir immer gar keine rechte Arbeit auf"
gegeben. Nur wecken Hab' ich sie sollen, ganz früh im Morgen"
grauen, vor den Andren Allen, daß sic recht könne auf Alle«
Acht haben. Und so hat sie mir den Schlüssel zu ihrer Kammer ge°
geben, und gesagt, ich müßte recht rütteln, sie schliefe wie ein Klotz-

„Nun, willst Du nicht gern weiter erzählen, Tottel?" sagte
die Grafentochter. Sie war wieder hochroth geworden, und
vergaß sogar, wegen des „Tottcls", der ihr entschlüpft war,
um Verzeihung zu bitten.

„Warum sollt' ich nicht?" antwortete der Tottel wohlgemuth-
„Sie schlief freilich wie ein Klotz, das dumme Weibsbild!
Aber das Rütteln verdroß mich. und ich holte einen Eimer
Wasser vom Brunnen und goß' ihn über sic. Da war sie
schnell genug aus dem Schlafe; aber mir hat sie keine schönen
Namen gegeben, und ist zum Richter gelaufen, daß er mich
cinspcrren sollte bei Wasser und Brot. Der aber hat gesagt'
Das ließe sich da nicht thun; die Sache wäre verwickelt."

Die Grafentochtcr athmete förmlich ans; so theilnehmend
hatte sie zugehört! Dann sah sie den Tottel hell und freundlich
an und sprach: „Du bist breitschultrig, wie ein Riese, Constans,
und unerfahren, wie ein Kind. Weißt Du denn, was sie gewollt
hat? Dich zum Manne! Ich kann natürlich besser, als Du,
versteh'«, was ein Mädchen meint mit dem, was sie sagt und
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