Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
135

Ein Proletarier.

an Ort und Stelle, der Reif war nicht befestigt — ich nahm
zitternd zwei Scheite, wankte fort, und — meine Geschichte
ist aus!" —

So endigte der Arme, und saß mir nun stille, mit
niedergesenkten Blicken gegenüber.

Endlich brach ich das Stillschweigen.

„Hoffen Sie," sagte ich, „in Ihrer Vaterstadt, in
Ihrem Vaterlande, je eine bessre Zukunft?"

„Nie, nie mehr," entgegnete er rasch, „ich werde wieder
elend sein, wie zuvor, ja elender als zuvor, — wer wird
dem überwiesenen Diebe trauen, wird nicht Alles seine Ge-
sellschaft fliehen, und er allein dastehen, verachtet, mit den
unschuldigen Seinen?"

„Nun denn so hören Sie," fuhr ich fort, „und überlegen
Sie meinen Vorschlag wohl; mein Sohn, den Sie gerettet,
hat tief in Nordamerika eine Colonie von braven Deutschen
gegründet, fleißige Hände sind dort willkommen, mit Ihrem
Geschäft als Drechsler können Sie viel zum Nutzen, zur Be-
quemlichkeit der Bewohner beitragen, Sie treten ein als ein
völlig Unbekannter, und jeder sieht dort in Ihnen nur den
arbeiffamen Mitbürger; selbst mein Sohn weiß nicht, daß Sie
es waren, den er in jener Nacht angehalten; er soll es nie
erfahren, darauf mein Wort, er wird im Ankömmlinge nur
den Retter seines Lebens sehen, und diesen mit offnen Armen
empfangen; die Kosten der Ueberfahrt trage ich, und —"

„Herr," rief er aufspringend und leidenschaftlich meine
Hände drückend, „Sie geben mich mir selber wieder, Sie sind
mein guter Engel, ja hinaus aus diesem Jammerthale zu
jenem freien Himmel, ich fühl' cs, ich werde wieder frei zu
ihm hinauf schauen können!" —

Mit diesen Worten stürzte er fort.

Freudig ergriff auch seine Frau den Vorschlag; mit dem
nothwendigen Geräthe und dem erforderlichen Handwerkszeug
versehen, ging er zu Schiffe, und in dem Briese, welchen ich
nach etwa einem halben Jahre von meinem Sohne erhielt,
dankte mir dieser für den fleißigen Arbeiter, den ich ihm ge-
sandt, der bereits allen durch seine Kunst nützlich, und durch
seinen Charakter Werth geworden wäre, und in dem Brief,
der in jenem eingeschlossen war, erzählte er selbst die Ge-
schichte seiner Ueberfahrt, seine Ankunft und Aufnahme und die
Zufriedenheit mit seiner jetzigen Lebensweise. „Herr," so schloß
er, „Sie haben vier gute Menschen unaussprechlich glücklich
gemacht, möge Sie der Ewige dafür lohnen, Sie haben nicht
nur den Leib, Sie haben auch die Seele gerettet, denn meine
Hoffnung ist nicht zu Schanden worden, frei schaut mein
Auge wieder empor zum blauen Himmel!" —

So schloß mein alter Freund seine Geschichte, und nachden-
kend und verwundert über das Gehörte, saß ich ihm gegenüber.

„Wissen Sie nun," fuhr er nach einer Pause fort, welche
Erbärmlichkeiten der Gesellschaft ich meine? Hier haben Sie

eine davon; schmutzige, gewiffenlose Gewinnsucht auf der ei-
nen, Elend und Gedrücktheit auf der andern Seite; wäre es
nicht an der Zeit, einmal das scharfe Messer anzusetzen und
ihn herauszuschneiden diesen Krebsschaden?"

„Allerdings," antwortete ich, „aber wie? hier kann leider
die Behörde nicht einschreiten, und eben so wenig strafen, als bei
einem Geizhals, der einem Armen das Almosen verweigert."

„Reißt jene armen Teufel aus den Händen ihrer Blut-
sauger," erwiderte er heftig, „gebt ihnen eine gewisse Selbst-
ständigkeit, errichtet Magazine, in welche der Arbeiter um ordent-
lichen Preis seine Maare abliefern kann, wenn ihn sein Ab-
nehmer drücken will, damit dieser selbst kommen, und dort zu
kaufen gezwungen ist, was er ja haben muß, und das er oft
recht gut theurer bezahlen könnte, wenn er den Arbeiter nicht
ganz in seinen Händen hätte; gebt ihnen kleine Vorschüsse,
liefert ihnen um billigen Preis ihr Material, ihr Holz, ihre
Kohlen, damit sie nicht dies alles aus den Händen schmutziger
Zwischenhändler beziehen müssen; bildet ihren Verstand in
guten Schulen, die sie auch in reifern Jahren noch besuchen
müssen, damit sie nicht bei jedem Steine, der auf ihrem Wege
liegt, rathlos und mit offnem Maule stehen, wie die Beweg-
ung der Neuzeit nur zu deutlich gezeigt, daß sie nicht dem
nächsten besten, der pfiffig genug ist, ihre Schwäche zu be-
nützen, in die Hände fallen, und sich leiten lassen, wie es
jener für seine selbstsüchtigen Zwecke für gut findet; thut dies
alles und ihr habt wenigstens zum großen Theil geholfen;
nennt jene Herren öffentlich, die sich solches Verfahrens nicht
schämen, und wenn ihre Stirn eisern genug ist, in euren
Gesellschaften sich zu zeigen, duldet sie nicht, haltet ein mo-
ralisches Gericht, wenn die Juristen mit ihrem Krims Krams
euch doch nicht helfen können."

„Was Sie hier erwähnt haben," antwortete ich, „geschieht
auch zum Theil, es ist ja die Aufgabe unserer Gewerbsvereinc,
und ist es noch nicht in vollkommener Ausdehnung geschehen,
so ist nur der leidige Mangel an Geld daran schuld."

„Nun, da haben wir ja schon wieder eine neue Jämmer-
lichkeit," entgegnete er, „zu dergleichen darf es nicht an Geld
fehlen, so wenig als z. B. zu Eisenbahnen, deren Nothwendig-
keit von keinem auch nur im Entferntesten bezweifelt werden
darf, will er nicht für einen Narren gehalten werden, und
dennoch meinte einer, als die unsrige erröffnet wurde: „das ist
wahr, vortreffliche Dinge bauen sie uns, das Reisen angenehm
und bequem zu machen, aber wenn sie einmal fertig sind,
werden wir kein Geld zum Reisen haben." — Aber lieber
Freund, der Regen hat nachgelassen, es ist spät geworden,
und dort sehe ich drei, die zu ihrer gewöhnlichen Kegelparthie
kommen, ein andermal mehr, leben Sie wohl."

Er ergriff Hut und Stock und verließ mit langen Schritten
den Garten. X
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen