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Leiden und Freuden einer Vermietherin.

(Fortsetzung.)

Ich war glückselig. Nur Eines schmerzte mich — zu sehen,
daß meine liebevollen Arrangements so wenig gewürdigt wurden,
denn — es ist unglaublich, aber wahr — das Erste, was die
Damen thaten. war. daß sie die schönen Gardinen abnehmen
ließen. die geschmackvollen Farbdruckbilder von der Wand
nahmen und an deren Stelle uneingerahmte Bilder und Bildchen
mit gelben Nägeln, aufsteckten, was höchst unelegant aussah.

Sogar die kleinen Vorhänge confiscirten sie und stellten
einen mit Stoff überspannten Rahmen an das Fenster, was
mir eine große Ucberspanntheit schien, welche ich indeß schweigend
duldete, denn die Damen hatten nun einmal gemiethet, waren
also Herren der Zimmer. Sie sagten, sie brauchen Oberlicht
— wieder eine Beleuchtungsart. welche mir neu war.

In den so gemüthlich eingerichteten Ateliers sah es aber
nun äußerst nnwohnlich aus. Ordnungssinn fehlte den Damen
offenbar, und ich. die ich leider damit behaftet bin. entsetzte
mich ordentlich, als ich eines Tages in das Atelier meiner
Norddeutschen trat. Welch ein Zustand!

Der Tisch, welcher vor dem Kanapee gestanden, war in
die Mitte des Ateliers gerückt, die geblümte Decke halb herab-
gezogen. Die Dame hatte vermuthlich etwas genossen, denn
ein halb mit Bier gefüllter Glaskrug, in dem eine Wespe
schwamm, stand neben einem umgestürzten Glase. Das Licht
war gänzlich herabgebrannt und hatte ein Stück der Zeitung
geschwärzt, welche ans der durchnäßten Tischplatte lag; daneben
stand ein Teller, auf welchem sich ein Stück Brod. eine halbe
Wurst und der Skalp der vermuthlich verzehrten anderen Hälfte
befand, kurz — abscheulich. Ich hatte zu thun. den neuen
Tisch sauber zu bekommen. Alles an seinen Platz zu stellen
und war eben im Begriff, die Tischdecke wieder zurecht zu
legen, als die Malerin eintrat.

„Um Gotteswillen!" schrie sic so heftig, daß die Decke
meinen Händen entfiel, „was haben Sie gemacht, was ist aus
meinem Stillleben geworden?"

„Ich stand sprachlos, denn ich hatte weder gesungen, noch
sonst ein Geräusch gemacht, also doch gewiß ihr Stillleben nicht
gestört. Bevor ich indeß Zeit zu einer Frage fand, fuhr die
Künstlerin erregt fort:

„Wo ist die Wurst, das Bier?"

Ah so. dachte ich. Wurst und Bier heißt bei den Künstlern
Stillleben. Wie genial diese Leute sind, wie sic selbst der
Prosa ein poetisches Gewand verleihen!

„Das Bier habe ich ausgeschüttet; Sie hätten es doch nicht
mehr trinken können", antwortete ich entschuldigend, „denn es
war eine Wespe darin."

„Und die Wespe, die Wespe?" keuchte die Dame.

„Die Wespe habe ich zertreten, obgleich sie halb tobt war",
antwortete ich. über die allzu große Aengstlichkeit lächelnd; „die
Zeitung habe ich verbrannt und Ihnen dafür die heutige „Süd-
deutsche Presse" hingelegt, die ich mir hier sofort zugelegt!"

Man kann wohl kaum aufmerksamer sein. Die Künstlerin
aber, statt dies anzuerkennen, geberdete sich wie toll.

„Mein Stillleben, mein Stillleben!" wiederholteste
verzweifelt.

„Ach. Du lieber Gott!" sagte ich endlich ärgerlich, „ich
lasse Ihnen ja mit Vergnügen Wurst und Bier holen, so viel
Sie wollen und —"

„Auch eine Wespe?" unterbrach sic mich weinerlich.

„Nein, eine Wespe kann ich Ihnen nicht versprechen!" ant-
wortete ich jetzt beinahe lachend, denn das war doch eine zu
komische Frage.

„Sehen Sic wohl, Fräulein!" schrie die Malerin jetzt in
voller Wuth, „das können Sic nicht! Können Sie mir
vielleicht Alles wieder so hinlege», wie cs lag?"

Jetzt riß mir die Geduld. „Nein!" rief ich zornig, „das
kann ich nicht, und wenn ich es könnte, ich thät' es nicht,
denn eine solche Unordnung, eine solche Unsauberkeit könnte I ch
nicht ertragen!"

„Unordnung — Unsauberkeit nennen Sie dies?" brüllte
die Künstlerin crescendo, mich bei'm Handgelenk fassend und
vor die Staffelei stellend.

Wer malt mein Erstaunen bei dem Gemälde, das sich
meinen Blicken bot! Da stand der Tisch, den ich eben ab-
geräumt. in täuschender Aehnlichkeit vor mir — naß. schmutzig.
Im Krug schwamm die Wespe, deren Tod die Malerin so sehr
betrübt; Zeitung. Wurst. Licht. Alles stand dort, und ich stand
da — ergriffen, denn ich mußte hingrciscn. um zu begreifen,
daß die Nässe auf dem Tische gemalt und nicht gcschinicrt war.

„O. welche Kunst, das Häßliche so schön wicdcrgcben zu
können!" rief ich hingerissen. Meine sichtliche Begeisterung be-
sänftigte die Künstlerin, und da ich ihr aus freien Stücken
versprach, in ihrem Atelier so lvcnig aufzuräumen, als sic selbst
es that, schien sic plötzlich aufgeräumt.

„Je nun", sagte sic. sich an die Staffelei setzend, „cs geht
am Ende auch so; das Bild ist nahezu fertig — ich muß nur
noch einige Lichter auffetzen!"

„Das habe ich bereits gethan. Fräulein!" rief ich dienst-
fertig. nach der frisch aufgestcckten Kerze im gesäuberten Leuchter
zeigend. Auch jetzt kein Dank. Die Malerin hatte mich wohl
nicht gehört, denn sie war ganz in ihre Arbeit versenkt; ich
aber sah. hinter dem Stuhle stehend, mit Interesse der emsig
Schaffenden zu. Jetzt tauchte sic den Pinsel tief in ein Flacon
und warf dann — wie Maurer zu thun pflegen — ein paar
dicke Brocken Heller Farbe auf die Leinwand.

„Wie schade", rief ich unwillkürlich, „die abscheulichen
Kleckse!" Ein erstaunter Blick der Norddeutschen fiel ans mich.

„Ach so!" sagte sic lächelnd. „Sic stehen so nahe. Bitte,
treten Sie etwas weiter zurück, und Sic werden sehen, daß
dies keine Kleckse, sondern Lichter sind!"

„Schon wieder etwas gelernt!" jubelte cs in meiner Seele.
„Was dem gewöhnlichen Menschen Kleckse scheinen, das sind
dem Künstlerauge Lichter. Wie bildend ist der Umgang mit
Malerinnen." lind auch darin hatte die Norddeutsche Recht;
je weiter man sich von dem Bilde entfernte, desto schöner war cs.
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