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Das Seefräulein.

3

Peut-ätre l’avenir me gardait-il encore
Un retour de bonheur donl l’espoir est perdu —
Peut-etre dans la foule une äme que j'ignore
Aurait compris mon äme et m'aurait repoodu.

Lamartine.

I.

Vas Wendroth stand über dem Gebirge und die Alpen-
hörner ragten mit strahlender Klarheit gegen Himmel. Zerfallene
Burgtrümmer trauerten aus einer Thalhöhe und über die öden
Zinnm schien der Mond bis in den See. Aus dem dunkeln
Wasser webtm fich leichte Schleier; da und dort zuckte auch
der Spiegel, aber wer weiß, was ihn bewegte. Weit drüben
am andern Gestade dämmerte in der stillen Wiese ein einsames
Gehöfte; die Luft war ruhig und warm— die Berge lauschten
schweigend und die Wälder lispelten kaum. Kein Laut weder
nah noch fern, als je nach langer Zeit der verhallende Ruf
eines Hirten, der von der Alm herabtönte, oder der entlegene
Gesang eines Mädchens, das ihm antwortete.

Um solche Zeit kam ein junger Wanderer zum ersten Male
in die Gegend. Als er des Sees und der rosenrothen Hömer
und des dunkelndm Thales anstchtig wurde, fteute er fich des
lieblichen Schauers, den ihm die abendliche Feierlichkeit des
Bildes gewährte. Er verließ den Heerweg, um am Gestade
hinzuschlmdern, kam bald in einen lichten Laubwald und nach
etlichen hundert Schritten an eine Stelle, die ihm besonders an-
muthig dünkte. Ein alter Ahorn breitete riefige Aeste über eine
kleine Bucht — viel frisches Gebüsche umgrünte die Bai; Binsen
wie Schilftohr standen flüsternd im Wasser und zwischen den
dünnen Stengeln schwammen etliche Seerosen. Auch ein kleiner
Nachen war an dem stillen Ufer angelegt. Unter dem alten
Ahorn fand er eine Ruhebank mit der Aussicht auf den See,
aut das dunkelnde Bauernhaus fern über der Tiefe und aus
die schimmernden Trümmer des alten Schlosses. Da ließ er
fich gerne nieder und betrachtete aufmerksam das Gebirge und
das Gewässer, in dem der Mond jetzt einen langen silbernen
Strahl zog bis zu den wirklichen Füßen des Fremden. Diesem
schien das Alles sehr gut zu gefallen, und endlich begann er
sogar zu sprechen, ganz allein für fich, lauter Reden, welche
Niemand hören sollte.

„Das ist ja in der That wie Osfian in Italien! der Himmel
so rein und die Luft so warm wie zu Neapel, und doch ist der
Bergwald gar nicht ohne Schauer, und wenn er recht feierlich
zu rauschm anfinge, könnte es einen anheimeln wie ein alter
Jugendschrecken. Selbst die Ruine dort oben ist nicht zu ver-
achten, auf der fich jetzt der liebe Mond so breft macht. Und
das ist auch eine herrliche Heimlichkeit, diese Ahornlaube, höchst
geeignet zu schwatzen, zu kosen und die Welt zu vergessen. Da
fehlt ja gar nichts als ein Freund und dieser Freund sollte eigent-
lich eine Freundin sein. Ja, du lieber Mond, nur einmal eine
Liebe, die mit einem Wort verräth, daß fie weiter gehen will,
als die elende Plauderei des Cotillons — nur einmal ein
Blick, der durch die Seele ginge, nur einmal etwas Geheimniß-
volles, etwas Hinreißendes, Begeisterndes! Wärst du dann auch

schön dazu, mein Abgott, und hättest schwarze, blitzende Augen
und schwarze hohe Bogen darüber und einen schlanken Leib und
dies und jenes — ach Lirum Larum! — Und doch weiß ich
ganz gewiß, du bist auf der Welt, und lebst und liegst jetzt
vielleicht in Italien am offenen Fenster und schaust über blühende
Orangenbäume in die Steme und denkst dir — oder vielleicht
stehst du auf einem Balcon zu Venedig und flehst wehmüthig,
wie das Mondlicht an den alten, bleichen Palästen niederfließt,
oder du singst in einem Sommerhaus am Bodensee — brauchst
aber deßwegen keine Schwäbin zu sein — oder du fährst auf
einsamem Nachen im Rheine, und denkst dir, den muß es auch
noch geben auf der grünen Erde, dem ich meine liebsten Sachen
sagen kann und meine innersten Gedanken und meine ältesten
Träume und meine allerneuesten Einfälle — und wenn der
nicht da wäre, wäre ich auch nicht da, denn das darf man dem
lieben Gott schon zutrauen, daß er — Ei was! der hat sich
noch um andre Dinge zu kümmern und heute finde ich sie doch
nicht mehr, und wenn ich gleich in diesem Nachen hinaussegelte
in die weite See und an allen Ländern der Menschen anlanden
würde. Uebrigens dieses werthe Fahrzeug wird man heute kaum
noch suchen und so steure ich jetzt gerade wieder ans andre Ufer,
wo mir der Himmel allmählich eine gute Herberge bescheeren
wird. Und ihr, ihr fteundlichen Elsen dieser Gewässer, ihr seid
eingeladen, meine Fahrt zu geleiten, und wenn sich ein Seefräu-
lein zu mir setzen will, dem soll es keineswegs verdacht sein!"

So stand der Pilger auf und trat in das Schifflein und
bückte sich, um das Ruder zu suchen, das aber im Finstern
nicht zu finden war. Etwas unwirsch erhob er fich und da
stand auf dem Spiegel des Kahnes ganz unvermuthet eine weiße
Gestalt. Sie streckte den Arm aus und aus dem Schleier
machte fich ein weißer, geisterhafter Finger los und gebot ihm
sich niederzulaffen. Der Pilger wußte vor Erstaunen nicht, wie
ihm geschah und setzte fich schweigend. Die Gestalt senkte ein
Ruder in den stillen See und mit leiser Bewegung kamen fie
aus dem Schatten des Ahorns hinaus in den Hellen Mondschein.

Der Jüngling aber, wenn wir ihn so nennen dürfen, da er
schon ausgelernt und ein Maler war, der Jüngling rührte sich
anfangs gar nicht, sondern betrachtete mit dem tiefinnigsten
Fleiße die wunderliche Erscheinung, welche ein langes, weißes
Gewand trug und auf dem Haupte einen Schleier, der zu beiden
Seiten der dunkeln Haare herabfiel. Aus dem Schleier lag ein
Kranz von Seerosen. Die Gestalt schien dem Jüngling so sein
und schlank, jungftäulich und minniglich, daß er meinte, ihres
Gleichen nicht leicht gesehen zu habm. Aber in ihrem Gefichte
wollten fich seine Augen, sonst so scharf und zuverlässig, ganz
verlieren, ohne ein Ende zu finden und einen Anfang. Nur
duftende Linien, verschwimmende Andeutungen wunderschöner
Züge glaubte er zu gewahren, und in dem bleichen Runde fun-
kelten immer gleich milde und gleich lieblich zwei große leuchtende
Augen mit hohen dunkeln Bogen darüber. In lauterm An-
schaum schien es ihm zuletzt, als wäre nichts mehr um ihn,
als ein schwarzer stiller Ocean und darinnm schwebte die weiße,
mondbeglänzte Gestalt, welche ihn immer ruhig anblickte und
mit halblautem schwachem Ruderschlage dm Nachm lmkte.
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