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154 . Der Feu

unregelmäßigen Häusergruppen; bald drängten sich mehrere kleine
Wohnungen in einer Zickzackreihe an der Hauptstraße zusammen,
bald lag ein einzelner Bauernhof, umgeben von Gärten, Feldpar-
zellen und Wiesen abseits von den andern, in stolzer Einsamkeit.

Unter allen den letzteren erschien das sogenannte Hofgut am
anschiilichsten. Es liegt auf einer fast unmcrklichen Erhöhung
des Boden?, der stillgcstandencn Woge einstiger Anschwemmung,
umhegt von hohen Pappeln, umgeben von Gärten und Baum-
stücken. Ein kleiner Teich, oder vielmehr eine grüne Lache, nicht
weit von dem Hofe, speist die Wiesen, die sich in moorige
Brüche verlieren; dort nimmt ein ziemlich breiter, träges fließender
Bach das Rieselwasser auf. Das Hofgut besteht aus dem ein-
stöckigen Bauernhaus, der gesonderten Scheune, den Stallungen
und Schuppen: diese dreierlei Gebäude bilden die Seiten eines
unregelmäßigen Vierecks, sie sind sämmtlich mit Stroh gedeckt
und von Holz und Ziegeln erbaut. Der zwischen ihnen offene
Hof ist keineswegs sehr einladend und reinlich, da und dort
liegen Ackcrgeräthschaften, Wagen versperren die besten Passagen,
auf welchen man der Düngerinsel in der Mitte auswcichen kann,
überall schnattert und kratzt gemüthliches Federvieh, und ein
halbes Dutzend munterer Fohlen springt in den seltsamsten
Capriolen dahin und dorthin. Dennoch macht das Ganze den
Eindruck des größten bäuerlichen Wohlstandes. Und der Hof-
bauer ist auch der reichste Mann im Dorfe; seine Felder sind
die besten, sein Viehstand ist der zahlreichste und nie kehrt er
vom Markte heim, ohne zwei schwere Geldkatzen kreuzweise
über den Schultern zu tragen. Heute ist er nach dem Nach-
mittagsgottcsdicnst hinaus gegangen, um seinen Roggen wachsen
zu sehen. Er ist Wittwer, und da Knechte und Mägde am
Brunnen im Dorfe stehen oder vor der Schenke umherschlendern,
so ist Niemand zu Hause, als des Hofbaucrn Tochter und die
alte Anneliese, ein Erbstück der Faniilie. Diese sitzt vor der
Hausthüre und füttert die jungen Hühner mit Brodkrumen
und hat ihr Möglichstes zu thun, um dem naseweisen Spitz zu
wehren, der gar zu gerne auch hier sein Amt, das Federvieh
von den Pflanzenbcetcn zu treiben, verwaltet hätte.

Marie, des Hofbauern einziges Kind, war in den Garten
hinter den, Hause gegangen, der sich fast bis zu dem kleinen
Teich erstreckte. Er war mehr dem Nützlichen, als dem Schönen,
gewidmet; nur in der nächsten Nähe des Hauses blühte einiger
Sommerflor auf den Rabatten, und die geschäftigen Bewohner
des stattlichen Bienenhauses, das sich dicht an das Wohnge-
bäude schloß, summten darüber wählerisch hin und her. Marie
war ein Mädchen von einundzwanzig Jahren, groß und schlank,
wie die Pappeln, die ihr Haupt über des Vaters Dach im
Winde wiegten, dabei von einer Zartheit und Regelmäßigkeit
der Gesichtszüge, der Hände und Füße, welche sonst unter
Bauern selten gefunden wird. Besonders auffallend waren ihre
Augen, in deren tiefem Blau tausend süße Geheimnisse zu
schlummern schienen, und welche etwas weit von einander ab-
standen, so daß sie an die Rafacl'schen Madonnenaugen erin-
nerten. Auch der hübsche, kleine Mund, welchen sie übrigens
vortrefflich zu gebrauchen wußte, und das weiche, blonde Haar,
das sie ganz aus der Stirne strich, trugen nicht das Wenigste

erreiter.

bei zur Vollendung des Reizeö ihrer Erscheinung. Heute ging
Marie ungeduldig im Garten aus und ab, pflückte zuweilen
eine späte Rose oder rieb die Finger an den Rosmarinstauden,
lief aber noch öfter nach dem Zaun und schaute hinaus auf
den Weg, der hier vorüberführte nach entfernter liegenden Ge-
höften. Plötzlich schien sie das gesehen zu haben, nach welchem
sie schaute; sie eilte, glühend vor Freude, nach dem unteren
Theil des Gartens, einem schattigen Baumstück. In demselben
Augenblick sprang ein junger, etwas hagerer und langer Mann
über die Hecke, ihr entgegen, und küßte sie zum Gruß auf die
purpurrothe Wange. Dann setzten sich Beide in den Schatten
eines Apfelbaumes, dessen Zweige, von ihrer Last gebeugt, bis
auf den Boden nicdcrhingen, und so eine natürliche Laube
bildeten, auf ein Gott weiß wie lange schon dalicgendes Stück
Bauholz.

Der junge Mann war der Sohn des Amtmanns, gemein-
hin der Amtsfritze genannt, und natürlich der Schatz Mariens,
mit der er in die Schule gegangen war und zwei Kirchweihen
hintereinander ausschließlich getanzt hatte. Jedermann im Dorf
war dem braven, biederen Burschen gewogen, und er hatte sich
selbst die Liebe seiner Altersgenossen zu erhalten gewußt, trotz-
dem daß er ein Studirter war und städtische Kleidung trug.
Nur der alte Hofbauer brummte zuweilen, wenn Fritz von
Andern gelobt ward, unverständliche Worte in das Kinn; ein-
mal hatte eine der Dorffraubasen bei ihm psiffigerweise darauf
angespielt, daß wohl aus Marien und dem Amtsfritze ein Paar
werden würde — aber der hatte er schön heimgeleuchtet! Seit
dieser Zeit war den Liebenden der Muth sehr gesunken, und
nur verstohlen wagten sie Zusammenkünfte unter vier Augen.

Und sie liebten sich so sehr — so sehr, wie nur unverdor-
bene Naturen dies im Stand sind! Hand in Hand saßen sie
unter dem Apfelbaum, dessen Blätter rauschten, als wollten sie
daS Zwiegespräch unhörbar machen.

„Wie geht's, Marie?" fragte Fritz.

„Schlecht genug," antwortete das Mädchen und zupfte
am Schürzcnbändel. „Denk' nur, Fritze" — und sie stockte und
ward wieder purpurroth — „denk' nur, Fritze, der Vater hat
vom Heirathen geredet, und gesagt, es sei doch sonderbar, daß
noch kein Freier bei mir angesprochcn habe."

„Glaub's gern," lachte der Junge und klopfte dem Mädchen
auf die Hand; „er weiß freilich nicht, was alle Leute wissen
und daß kein Bursche im Dorfe mir es zu Leid thun würde,
um dich zu freien. Nein, Marie, davor sind wir sicher —
wenn nur kein Fremder kommt!"

„Aber einmal muß es der Vater doch erfahren," sagte das
Mädchen. „Mir wird immer so angst, wenn ich daran denke."

„Je nun, einerlei ist mir's auch nicht," entgegnete der
Amtsfritze. „Aber sieh', liebste Marie, ich habe jetzt einen
neuen Plan, und weil ich dir den mittheilen wollte, habe ich
dich heute durch des Küsters Lotte hierher bestellt. Sieh, ich
will ein neues Leben anfangen, das alte gefällt mir doch nicht
mehr. Das ist der beste Weg, um dich zu kriegen — es müßte doch
kurios zugchen, wenn mir eines TagsdcrHofbauer, so sehr er auch
ein alter Brummbär ist, die Hand seiner Tochterverweigern würde.
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