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II. DIE FIRNISKERAMIK MIT SCHLICKERDEKOR

Die eindrucksvolle Gefäßgattung126 stand in Ephe-
sos offensichtlich in besonders reicher Verwendung:
Fragmente dieser Art treten in unserer Gruppe minde-
stens ebenso zahlreich auf wie solche der einfachen Fir-
niskeramik. Aus ungef. 200 inventarisierten Bruchstük-
ken haben wir 150 ausgewählt; bei der Auswahl war
außer der Zugehörigkeit zu den Kontexten der Vorgän-
gerbauten der Erhaltungszustand der Gefäße ausschlag-
gebend, der uns die Ergänzung und somit das Verständ-
nis der Formen ermöglichte. Wir können über zehn
Gefäßformen erfassen, bei denen die Verzierung — an-
fangs Schlicker, später zusätzlich mit weißer Farbe und
Ritzung — auf der Innen- oder Außenseite angebracht
ist. Gerade bei dieser Gruppe sind Form und Verzie-
rung eng miteinander verbunden, weshalb wir beide
Elemente jeweils zusammen betrachten.
Wir konnten schon an anderer Stelle nachweisen,
daß der Dekor so, wie er in Ephesos angebracht wurde,
keine Neuschöpfung des Hellenismus war, sondern ein
Fortleben einer bereits im fünften und vierten Jahrhun-
dert bekannten Verzierungsweise bedeutet127. Hier läßt
sich der Schmuck auf drei wesentliche Elemente zu-
rückführen, deren klassische Vorfahren leicht zu erken-
nen sind: der Ölzweig, die Efeugirlande und die Bom-
melkette. Unsere schönsten Beispiele (B 2, B 44, B 68,
B 69, B 108, B 121, B 122, B 138) erinnern an die
glanzvollen Vorbilder und lassen etwas vom Schwung
und der ausgewählten Eleganz des klassischen Dekors
erahnen. Die übrigen Gefäße erwecken den Eindruck,
daß den ephesischen Töpferwerkstätten ab dem dritten
Jahrhundert dasselbe Repertoire der Schmuckelemente
zur Verfügung gestanden hat, an welchem sie monoton
festhielten und welches sie im Laufe der Zeit zuneh-
mend vereinfachten. Die Blättchen werden gröber,
flüchtige Ritzungen ersetzen die früher so lebhaft ge-
schwungenen Stiele. Vor allem aber fällt auf, daß nur

126 Zur Bezeichnung „Westabhang“-Keramik s.Watzinger,
Vasenfunde aus Athen, AM 26, 1901, 50 ff.; vgl. dazu vor allem
Thompson, Hesperia 3, 1934, 311-347; Waage in: AntiochIV 1
(1948) 1 ff; SamarialU (1957) 217-281; Schäfer, PF 2 (1968),
45-63; Hellström, Labraundall, 1, 16 ff; Braun, AM 85, 1970,
129 ff; Bruneau, Delos XXVII (1970), 240 ff; Miller, Hesperia
43, 1974, 194 ff; Edwards, Corinth VII 3 (1975); Sinn in:
Demetrias I, 96 ff; zusammenfassend zur Neudatierung der
Fundgruppen aus Athen s. Miller a.O. 198 f.; Rotroff, Agora
XXH (1982), 107-112.
127 Mitsopoulos-Leon in: Classica et Provincialia 113 ff; für
die Vorläufer klassischer Zeit s. Kopeke, Golddekorierte attische
Schwarzfimiskeramik des vierten Jhs. v. Chr., AM 79, 1964,
22 ff.; Sparkes -Talcott, Agora XU (1970), 20 ff.

zwei Beispiele mit dem an anderer Stelle ab dem frühen
zweiten Jh. beliebten Schachbrett- und Viereck-Dekor
verziert sind (B 131, B 137).
Wenn wir entsprechende Gefäße aus Athen128 und
Korinth129 betrachten, sehen wir, daß sich dort noch
vor dem Ende des dritten Jhs. eine vollkommen neuar-
tige Einstellung gegenüber dem Gefäß entwickelt hatte:
jetzt wird nicht mehr eine feine Girlande um den Hals
oder die Schulter des schwarzgrundigen Gefäßkörpers
gelegt, wie es dem Auge der klassischen Zeit angenehm
war, sondern die Gefäßwand sollte so weit wie möglich
bedeckt werden mit größtenteils geometrischen Verzie-
rungen, die durch ihre Polychromie auffallen und da-
durch einen lebhaften Eindruck erwecken130. Der ur-
sprünglich feine Schlickerauftrag in Rosa oder Beige
wird abgelöst durch weiße, ocker oder leuchtend rosa
Farbe, schwungvoll mit Ritzung verbunden.
Diese Tendenz kommt in Ephesos kaum zum Aus-
druck. Wir halten fest, daß die in Athen im klassischen
und hellenistischen Repertoire vorherrschende Weinre-
be131 in unserer Gruppe nur zweimal auftritt (B 68,
B 69). Diese Beobachtungen stärken die Annahme, daß
ab der zweiten Hälfte des dritten Jhs. Ephesos kaum
mehr Impulse von Athen empfangen hat, daß lokale
Töpfereien selbstständig gearbeitet haben bzw. mit an-
deren nichtattischen Zentren in Verbindung getreten
sind.
Eine Abwendung von Athen und Annäherung an
andere Zentren der hellenistischen Koine, vor allem im
Osten, beobachten wir auch an den Formen: der Kan-
tharos mit Kylixhenkel (B 1, B 3) stirbt aus; auch vom
Kantharos mit Spomhenkel sind nur zwei Bruchstücke
mit glatter Lippe erhalten. B 7 - B 12 sind Kantharoi
mit Spreiz- und Bandhenkeln; es scheint, daß sich diese
Form in hellenistischer Zeit stärker im Osten durchge-
setzt hat. Die Spreizhenkel finden wir auch bei den
grauen „Ephesos-Lampen“. Eine weitere Form, die of-
fensichtlich an außerattischen Zentren vom vierten Jh.
bis in das zweite hergestellt wurde, ist die des Kantha-
ros mit S-Schwung, des „bauchigen Bechers“ von Per-
gamon (B 18 - B 29 sowie zwei Fragmente B 134,
B 135). Die Form findet sich schon in Ephesos im vier-
ten Jh.132 und die schlanken Becher erfreuten sich dann

128 Thompson a.O., 311 ff.; s. C 11 gegenüber A 38, B 3, B 8;
Braun a.O. Krater 171 aus Abschnitt VIII; Rotroff a.O., 107 ff.
zu neuem Zeitansatz der Gruppen.
129 Edwards a.O. 90 ff. Nr. 532-542.
130 Wir sehen hierin die eigentliche „Westabhang“-Keramik.
131 Kopeke a.O. 61.

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