Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Gartenkunst — 29.1916

DOI Artikel:
Kassbaum, Franz Erich: Von französischen Herrensitzen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.20814#0195

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
die Schönheit Baume ahmt
der alten Schloß Thonne les Pres. Einfahrt. das Tempel-
Parkanla- Skizze von Reg.-Baumeister Kaßbaum, Oberleutnant, zurzeit im Felde. dien nach,
gen, die rie- Welch guter
sigen Fichten, Lebensbäume, Taxuszypressen, die Gleichklang von Natur und Menschenwerk!
in Gruppen wie alte Damen beim Kaffeeklatsch zu- Eigenartig wirkt als Abschluß des Gutes die ge-
sammenstehen, mit einem Wort: der Eindruck des waltige Eisenbahnbrücke, die mit vielen Pfeilern
verwunschenen Schlosses, die Herrlichkeit der alten und Bogen das Thonnetal überschreitet. Diese Brücke
Zeit. Jener Zeit, in der man in Frankreich noch zu trennt Gut und Dorf, das sich an den hohen Berges-
arbeiten verstand. Alles, was neu hinzukam, taugt hang anschmiegt. Sie überragt das Herrenhaus um
selten etwas. Es verrät den Unverstand des Be- das Doppelte. Tag und Nacht, unermüdlich, brausen
sitzers und des Mittlers der Ausführung. Schnellzüge, Transport-, Munitions- und Verpfle-

Einen Herrensitz sehe ich öfter, das ist Tho n n e gungszüge über die Brücke. Der Heimat zu ver-

les Pres. Thonne in den Wiesen. Nicht gerade schwinden sie nach Überquerung der Brücke in den

groß, aber ungemein ansprechend und ein Beispiel langen Tunnel, der unter der Festung hindurchführt,

für viele derartige Besitzungen. um dann in M. zu halten.

Tief im Tal des gleichnamigen Flüßchens er- Der Tunnel war im September 1914 von den

scheint hinter den stolzen Bogen der Eisenbahn- Franzosen gesprengt worden. Die Brücke wollte

brücke ein Waldstück. Pappeln, wild und verzweigt, man auch zerstören. Es blieb aber beim Versuch,

umzirken es, gewaltige Fichten, alles überragend, Von den zwei Maschinen, die man gegeneinander

bilden den Hain mit ihrem dunklen Grün, Gebüsch losließ, purzelte die eine von der Höhe hinab. Die

verdeckt die inneren Blößen. andere blieb als Siegerin oben. Die Brücke ist so

Wie es braust in den hohen Bäumen, wie es gut wie unbeschädigt geblieben. Einige Abschür-

singt! Welche Farbenpracht im Herbst! Und die fungen der Kante, ein Stück zerfetzten Geländers

Kühle, die den Wanderer empfängt, der von der war alles. Die Maschine liegt noch als stummer

staubigen Landstraße in den Park tritt. Zeuge unten auf dem Rücken, die Räder stehen nach

Geschickte Ausschnitte in Gebüsch und Astwerk oben,
gewähren dem Blick Eintritt in all die Lieblichkeit Vom Innern des Gutshauses kann ich leider

und malerische Abwechslung von Fluß, Quelle und nichts berichten, weil ich es nicht kenne, aber ich

Wiese, von Bäumen und Sträuchern und versteckten hole es vielleicht einmal nach. Die Familie des

Hausgruppen. Barons ist schon lange verreist. „Elle a partie",

Herrenhaus und Wirtschaftsgebäude in mattem sagt der Franzose. Einige Weibsleute, einige Männer,
gelben Ton, die Schieferdächer mit jenem Moos weißhaarige alte, herbergt noch das Dorf. Es mag
überzogen, das unter hohen Bäumen gerne ansetzt wohl einer von ihnen seinen Schmerzen Ausdruck
und dem Dach die köstliche Patina gibt. Der breite gegeben haben, als er in einem unbeobachteten
offene Sitzplatz mit Freitreppe vor dem würdig ge- Augenblick die Seiten des kleinen Gartentempelchens
gliederten Bau vermittelt den Übergang von Haus mit Kreideschrift bekritzelte. Die Ungelenkigkeit in
und Park. Die „Thonne", zu allerlei nützlichen und Schrift und Druck läßt einen einfachen Mann als Ur-
zierlichen Windungen erweitert, läuft murmelnd und heber vermuten, der in irgend einem Dienstver-
schwatzend durch das Wiesenland des Parks, kleine hältnis zum Grafen gestanden haben mag.
Brücken führen zur Insel, wo Reh und Fasan ge- An einer Holzsäule, halb vom Regen verwischt,
halten wurden. Platanen, Weiden, Eschen stehen entziffere ich: Iis etaient une fois dans la village
am Uferrand in der ganzen Lieblichkeit ihres hängen- de Thonne les Pres trois petits garcons, qui jouaient
den Geästs. Aus der Grotte springt plätschernd ein dans le parc du chateau. Iis etaint libres les uns
Quell in ein rundgefaßtes Becken, das von uralten que les autres. Das übrige ist unleserlich. Und auf
Kastanien überschattet wird. der anderen: Ici ont joues les enfants de France

Ein guter Teil des Parks ist waldartig unge- pendant que les Allemands etaient ici . . . ils pen-

zwungen am Hang angelegt. Im Mittelpunkt strahlen- saient de gagner ... vive la France. Ermeintwohl:

förmig auslaufender Wege steht ein reizendes sechs- die französischen Kinder haben es erlebt, als die

seitiges Tempelchen mit hohem Spitzdach. Man sieht Deutschen in Thonne waren, sie würden die Schmach

ihm das Alter an. Der heutige Franzose läßt alles nicht vergessen. In Gedanken daran läßt er dann

verfallen. Eine ans Unglaubliche grenzende Sorg- sein Vaterland leben.

184
 
Annotationen