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EINFÜHRUNG

Rahmen wie zuvor, aber es braucht nur mehr einen Schritt, sie auch thema-
tisch in die Darstellung einzubeziehen, aus dem Rahmen das Haus zu machen,
in dem ein wirklicher Vorgang sich abspielt.
Eine ganz neue Bildanschauung kündet sich an. Die Fläche konnte nicht
mehr in dekorativer Absicht beliebig aufgeteilt werden. Der Gedanke der Ein-
heit des Bildraumes kam zum ersten Bewußtsein. Ein Kölner, der in der alten
Tradition des 14. Jahrhunderts erwachsen war, mochte es nicht als unnatür-
lich empfinden, wenn in einer Darstellung der Geburt Christi (Abb. 2) ein
ornamental gezeichneter Bodenstreif die Bildfläche teilt, um im oberen Felde
einem Hirten Raum zu geben, der die Botschaft empfängt, während unter ihm
Joseph schlafend sitzt, Maria das Kind herzt. So war man gewöhnt, Bilder zu
sehen, nahm das eine neben dem anderen und dachte nicht an räumliches In-
beziehungsetzen, nicht daran, für das Bildsehen die Bedingungen des natür-
lichen Sehens und der Einheit zeitlichen Geschehens zu fordern.
Neben die alten Typen stellt sich nun zur gleichen Stunde, ebenfalls um
die Jahrhundertmitte, der neue (Abb. 3). Die Rahmenarchitektur ist in das Bild
aufgenommen. Sie wird zum Gehäuse, in dem die Menschen wohnen. Es ist
noch nicht die Hütte der Geburt, ist nur erst ein ideales Bildgerüst. Aber ent-
scheidend wird, daß es in räumlich plastische Beziehung zu den Figuren tritt.
Nicht die Tatsache der Lokalschilderung gibt den Ausschlag, sondern das zu-
sammenhängende Gehäuse, das dem Bildraum Kontinuität und Einheit verleiht.
Der kubische Raum fordert körperliche Rundung der Dinge, die in ihm
existieren. Das eine wie das andere führt die Malerei zur Zerstörung der
Fläche. Beide Probleme werden zur gleichen Zeit um die Mitte des 14. Jahr-
hunderts im Bereiche nordischer Kunst in Angriff genommen.
Das Gewand des gotischen Menschen war ein flächenhaftes Gebilde. Sein
Kontur bedeutete Abstraktion von seinem räumlichen Dasein. Der Körper
existierte nur in der Fläche. Jetzt stauen sich die Gewandmassen, plastisch
gebildet, in breit ausladenden, voluminösen Röhrengeschieben zu den Seiten der
Gestalten. Schwere Faltengehänge bilden sich aus den überschüssigen Stoff-
massen, die sich über die Arme legen und in dichten Röhren, deren Ränder
in Schlängellinien hin und wider laufen, steil herniederhängen. In steter Steige-
rung gewann das Gewand Volumen und ein Eigenleben gegenüber dem Körper,
den es umhüllt. Der Faltenstil, der sich in der Plastik herangebildet hatte,
dringt um die Jahrhundertmitte auch in die Malerei ein und läßt sich in modisch
übertreibenden Formen um die Wende des Jahrhunderts überall nördlich der
Alpen und insbesondere in ganz Oberdeutschland verfolgen.
 
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