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HANS HOLBEIN DER ÄLTERE

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altar (Abb. 205), der als das einzig populäre Werk den Ruhm des Meisters be-
wahrt hat. Die Mitteltafel mit dem Gedränge schwerer Figuren ist ganz im Sinne
der alten, dichtgefüllten Kompositionen erfunden. Die beiden heiligen Jungfrauen
auf den Flügeln aber sind so holde und zarte Wesen, daß der Versuch nahe
lag, sie dem jüngeren Sohne, dem damals achtzehnjährigen Hans, zuzuweisen.
Zwischen den Frauen des Kaisheimer Altars und der reizenden Versammlung
weiblicher Wesen auf der Lissaboner Tafel stehen die heilige Dorothea und
Elisabeth des Sebastiansaltars aber durchaus glaubhaft als Geschöpfe eines
Meisters mitteninne. Und die modische Kleidung wie das italienische Orna-
ment können nicht über den noch rein gotischen Formencharakter der beiden
Gestalten hinwegtäuschen. Das leise Gleiten, das schwebende Stehen, der
sanfte Fluß der Falten, das alles ist der Schwanengesang einer scheidenden
Zeit, nicht der männliche Schritt einer neuen Epoche, in der Holbeins Sohn
lebte, mit beiden Füßen fest auf sicherem Boden stehend.
Den Rückblickenden gemahnt das Schicksal Holbeins an Tragik. Er sah
wie Moses das gelobte Land. Aber es war ihm nicht beschieden, es zu finden.
Den Forderungen einer neuen Epoche war er nicht gewachsen. Er gehörte
nicht zu den starken Naturen, die selbst den entscheidenden Umschwung voll-
ziehen, und er war zu früh geboren, um als natürliche Gabe zu empfangen,
was ihm das Ziel fruchtlosen Mühens wurde. Dürer setzte seine machtvolle
Persönlichkeit ein, in ihm verkörperte sich das Schicksal der nordischen Kunst
an ihrem entscheidenden Wendepunkte. Und des alten Holbein glücklicherer
Sohn war bestimmt, der einzige Meister der klassischen Hochrenaissance nörd-
lich der Alpen zu werden.
 
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