Paris
Mit gewisser Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, daß der Meister sich auch weiterhin
als dekorativer Künstler betätigte, daß er ein Atelier unterhielt — in der Art, wie wir
es später bei den van Roome in Gent, Tournai und Brüssel finden —, das sich mit der
Herstellung von illuminierten Schriften, den Entwürfen von Bildteppichen, Glasmalereien,
Grabplatten, wohl auch mit Wandmalereien und dergleichen mehr befaßte.
Die Zuschreibung früher Folgen an einen bestimmten Künstler gestaltet sich in Folge
des Fehlens sicherer urkundlicher Belege in der Regel recht schwierig. Außer Henne-
quin von Brügge lernen wir aus den Delabordeschen Auszügen den in Paris seit
1376 tätigen Colart de Laon, den Hofmaler und „valet de chambre" Ludwigs von
Orleans und König Karls VI, kennen. Leider erfahren wir nur unzureichendes über
die von ihm entworfenen Folgen (1399) — «pour avoir fait sur IUI grans pieces de
toille, en maniere de grans tappiz, les patrons de faire tappicerie — bordure de moron
et de genestre en bende — pour quatre chambres que la Royne (Isabeau) avoit ordonnee
estre faicts" —, die übrigens nicht das sonderliche Wohlgefallen des königlichen Auf-
traggebers fanden. Hennequin de Mallivieil (Mallvieil), „paintre, demourant ä Paris",
zeichnet 1395 (1396) für die Königin „XXX11II patrons pour faire draps tissuz d'or
sur velluiau, de pluseurs couleurs et devises, tant en chevronneure, en bandes, eschi-
quiers, comme besantez, pour ce le 20e jour de Septembre, pour chacun patron 16 s. p.
valent 27 1. 4 s. . . ." Yon Gauthier de Campe, einem Pariser Patronenzeichner aus
dem Ende des 15. Säkulums, wissen wir nur, daß er die Geschichte des St. Stephanus —
des ersten Märtyrers Tod, Auffindung und Überführung der Reliquien — mit rund
108 Quadratellen in den großen Patronen festlegte; daß er zugleich der Entwerfer der
grundlegenden Skizzen war, ist in dem Vertrage nicht gesagt; die Folge war für die
Kirche zu Sens bestimmt (8). Im übrigen scheint es gewagt, die zahllosen in den ur-
kundlichen Belegen erwähnten Dekorations- und Bildmaler ohne bestimmte Beweise
mit Wandteppichfolgen in Verbindung zu bringen; der Ausdruck „patron", der für
alle möglichen Entwürfe gebraucht wird, ist durchaus nicht ohne weiteres gleich-
bedeutend mit dem Tapisseriekarton.
Wie bereits erwähnt, ist die Apokalypse zu Angers — um auf das ursprüngliche
Thema wieder zurückzukommen — nichts weiter als eine ins riesenhafte vergrößerte
Miniaturensammlung. Die Grundidee ist unschwer verständlich. Sankt Johannes, oder
wie L. E. Lefevre (9) vielleicht mit mehr Recht annimmt, ein Bischof der sieben
asiatischen Gemeinden, berichtet die erschütternden Begebenheiten der letzten Tage.
Die Gestalt des Kündigers — er meditiert zumeist in seiner Klause, einem reich aus-
gestatteten gewölbten Gemache — eröffnet, gewissermaßen als Eingangsinitiale, den
Reigen; in zwei übereinander gelegten Streifen rollen sich die Episoden ab. ZuHäupten
des oberen Bandes musizieren himmlische Chöre (Abb. 1), aus stilisierten Wolken blinken
Sterne (Abb. 2); Schriftbänder erläutern unterhalb der Bilder die Motive, blumiger
Graswuchs — es fehlt nicht an Kaninchen und allerhand Getier — deckt den Fuß
der Behänge. Von abwechselnd rotem und blauem Grund heben sich die Figuren-
gruppen. Die Folge umfaßte ursprünglich sieben Behänge mit einer Gesamtlänge von
144 m, die abgesehen vom zweiten und dritten Teppich, wiederum in je 7 (obere rote
Reihe) -f 7 (untere blaue Reihe) + 1 (Johannes [Bischof] im Gehaus) Einzelbilder ge-
gliedert waren. Die Zusammenstellung erfolgte in Rücksicht auf den Raum, für den
die Apokalypse bestimmt war (die Kapelle des Herzogsschlosses zu Angers). Entsprechend
zeigt der zweite Behang nur acht, der dritte sieben Bilder (einschließlich der Initial-
figur des Johannes). Die Einzelheiten, die Stellung zum Altar usw., in der französischen
Literatur ausgiebig erörtert, dürfen füglich übergangen werden. Die großen Teppiche
maßen in der Höhe 5,40 m bis 5,50 m, in der Länge etwa 24 m; riesenhafte, in der
Handhabung denkbar ungefüge Gebilde, in Abmessungen, die an die bekannten Serien
der Burgunderherzöge, an die Schlacht von Roosebeke und ähnliche Monumentalfolgen
erinnern.
Die Größenmaße der Einzelbilder variieren nur wenig, sie sind in der Regel 2 m
hoch und 3 m lang. Von den ursprünglich vorhandenen 90 Episoden sind 12 voll-
3
Mit gewisser Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, daß der Meister sich auch weiterhin
als dekorativer Künstler betätigte, daß er ein Atelier unterhielt — in der Art, wie wir
es später bei den van Roome in Gent, Tournai und Brüssel finden —, das sich mit der
Herstellung von illuminierten Schriften, den Entwürfen von Bildteppichen, Glasmalereien,
Grabplatten, wohl auch mit Wandmalereien und dergleichen mehr befaßte.
Die Zuschreibung früher Folgen an einen bestimmten Künstler gestaltet sich in Folge
des Fehlens sicherer urkundlicher Belege in der Regel recht schwierig. Außer Henne-
quin von Brügge lernen wir aus den Delabordeschen Auszügen den in Paris seit
1376 tätigen Colart de Laon, den Hofmaler und „valet de chambre" Ludwigs von
Orleans und König Karls VI, kennen. Leider erfahren wir nur unzureichendes über
die von ihm entworfenen Folgen (1399) — «pour avoir fait sur IUI grans pieces de
toille, en maniere de grans tappiz, les patrons de faire tappicerie — bordure de moron
et de genestre en bende — pour quatre chambres que la Royne (Isabeau) avoit ordonnee
estre faicts" —, die übrigens nicht das sonderliche Wohlgefallen des königlichen Auf-
traggebers fanden. Hennequin de Mallivieil (Mallvieil), „paintre, demourant ä Paris",
zeichnet 1395 (1396) für die Königin „XXX11II patrons pour faire draps tissuz d'or
sur velluiau, de pluseurs couleurs et devises, tant en chevronneure, en bandes, eschi-
quiers, comme besantez, pour ce le 20e jour de Septembre, pour chacun patron 16 s. p.
valent 27 1. 4 s. . . ." Yon Gauthier de Campe, einem Pariser Patronenzeichner aus
dem Ende des 15. Säkulums, wissen wir nur, daß er die Geschichte des St. Stephanus —
des ersten Märtyrers Tod, Auffindung und Überführung der Reliquien — mit rund
108 Quadratellen in den großen Patronen festlegte; daß er zugleich der Entwerfer der
grundlegenden Skizzen war, ist in dem Vertrage nicht gesagt; die Folge war für die
Kirche zu Sens bestimmt (8). Im übrigen scheint es gewagt, die zahllosen in den ur-
kundlichen Belegen erwähnten Dekorations- und Bildmaler ohne bestimmte Beweise
mit Wandteppichfolgen in Verbindung zu bringen; der Ausdruck „patron", der für
alle möglichen Entwürfe gebraucht wird, ist durchaus nicht ohne weiteres gleich-
bedeutend mit dem Tapisseriekarton.
Wie bereits erwähnt, ist die Apokalypse zu Angers — um auf das ursprüngliche
Thema wieder zurückzukommen — nichts weiter als eine ins riesenhafte vergrößerte
Miniaturensammlung. Die Grundidee ist unschwer verständlich. Sankt Johannes, oder
wie L. E. Lefevre (9) vielleicht mit mehr Recht annimmt, ein Bischof der sieben
asiatischen Gemeinden, berichtet die erschütternden Begebenheiten der letzten Tage.
Die Gestalt des Kündigers — er meditiert zumeist in seiner Klause, einem reich aus-
gestatteten gewölbten Gemache — eröffnet, gewissermaßen als Eingangsinitiale, den
Reigen; in zwei übereinander gelegten Streifen rollen sich die Episoden ab. ZuHäupten
des oberen Bandes musizieren himmlische Chöre (Abb. 1), aus stilisierten Wolken blinken
Sterne (Abb. 2); Schriftbänder erläutern unterhalb der Bilder die Motive, blumiger
Graswuchs — es fehlt nicht an Kaninchen und allerhand Getier — deckt den Fuß
der Behänge. Von abwechselnd rotem und blauem Grund heben sich die Figuren-
gruppen. Die Folge umfaßte ursprünglich sieben Behänge mit einer Gesamtlänge von
144 m, die abgesehen vom zweiten und dritten Teppich, wiederum in je 7 (obere rote
Reihe) -f 7 (untere blaue Reihe) + 1 (Johannes [Bischof] im Gehaus) Einzelbilder ge-
gliedert waren. Die Zusammenstellung erfolgte in Rücksicht auf den Raum, für den
die Apokalypse bestimmt war (die Kapelle des Herzogsschlosses zu Angers). Entsprechend
zeigt der zweite Behang nur acht, der dritte sieben Bilder (einschließlich der Initial-
figur des Johannes). Die Einzelheiten, die Stellung zum Altar usw., in der französischen
Literatur ausgiebig erörtert, dürfen füglich übergangen werden. Die großen Teppiche
maßen in der Höhe 5,40 m bis 5,50 m, in der Länge etwa 24 m; riesenhafte, in der
Handhabung denkbar ungefüge Gebilde, in Abmessungen, die an die bekannten Serien
der Burgunderherzöge, an die Schlacht von Roosebeke und ähnliche Monumentalfolgen
erinnern.
Die Größenmaße der Einzelbilder variieren nur wenig, sie sind in der Regel 2 m
hoch und 3 m lang. Von den ursprünglich vorhandenen 90 Episoden sind 12 voll-
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