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Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Hrsg.]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0051
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Paris

klärt sich aus der Einfachheit ;des Motivs, das in der völligen Übereinstimmung der
sechs Behänge die weitestgehende Arbeitsteilung ermöglichte. Die dem Vertrage bei-
gefügte Skizze — petit patron — Paignös hat sich erhalten; das Hoheitszeichen Frank-
reichs, umrahmt von den Ordensketten Sankt Michaels und des Heiligen Geistes, deckt
die Königskrone, über dem Wappen der Bretagne prangt der Herzogshut.

Pierre Du Moulin (Mellin) ist augenscheinlich identisch mit dem Pierre du Molin,
der sich am 8. Juni 1573 gegenüber dem Vertreter der Pariser Lakenmacherzunft, der
„confrörie des maitres tapissiers courtepointiers", zur Anlieferung zweier religiöser
Wirkereien verpflichtet. Die vertraglichen Bestimmungen sind von besonderem Inter-
esse. Der heilige Ludwig erscheint, begleitet von zwei Engeln; im zweiten Stücke
werden die Gestalten der vier Evangelisten, „en rond et chapeaulx de triomphe", in
reichster Weise in Gold, Silber und Seide durchgeführt; selbst die Kette ist in Seide
vorgesehen; die Arbeit muß von gleicher Vollendung sein wie das Banner von Saint
Jean en Greve. Die Vorschriften sind unzweideutig, es handelt sich um zwei Zunft-
fahnen. Die Tatsache ist um so bemerkenswerter, als derartige Arbeiten in Wirkerei-
technik außerordentlich selten sind; in der Regel erhält die leichtere Stickerei den Vorzug.

Guillaume Claude betreibt eine Werkstatt in der rue d'Albon, im Hause zur „Orgel-
pfeife". Gilles de Fresne, ein angesehener Pariser Bürger, betraut ihn am 25. Septem-
ber 1578 mit einem Behänge, dessen Motiv unendlich oft von den Brüsseler Ateliers
des 16. Säkulums auf die Gezeuge gelegt wurde: Die tiburtinische Sibylle zeigt Kaiser
Augustus die in himmlischen Höhen schwebende Madonna mit dem göttlichen Sohne.
Der Preis des Teppichs beläuft sich auf nur 227s Livres. Wenig später überträgt der
Pariser Parlamentsprokurator Antoine Gastineau dem Wirker die Durchführung zweier
Behänge mit Darstellungen aus dem Leben des heiligen Christoph; auch hier ist der
Quadratellenansatz mit sechs Livres verhältnismäßig niedrig bemessen. Die Berechnung
ist ungewöhnlich genau durchgeführt, selbst die Wollenpreise — es handelt sich um
einheimische Sorten — sind nicht vergessen; eigenartig ist die Vorschrift der Seiden-
verwendung: „le rehaulsement et habillement des personnages sera de fine soye ä
20 sols l'once, de couleur jaulne, verte et bleue ... et ne pourra ledit Claude applicquer ä
ladite piece que des laines francoises, bonnes loiales, etc. et aulcune layne d'Auvergne (die
schlechteste Qualität), de quelques couleurs qu'elles soyent.. Charakteristisch sind die
in den einfacheren Arbeiten immer wiederkehrenden gelben, grünen und blauen Töne.
Ein nicht näher erläuterter Auftrag fällt in das Jahr 1584 (26. Januar). Die fünf Quadrat-
ellen große Wirkerei stellt sich auf nur 26 Livres; Besteller ist der Sticker HuguesFremyn,
der allerdings kaum auf eigene Rechnung gehandelt haben dürfte. Sämtliche Arbeiten
Meister Claudes scheinen nicht über den Durchschnitt hinausgegangen zu sein (117).

Guillaume Trubert wohnt in der rue Saint-Martin im Hause zum goldenen Schach-
brett. Der Vertrag vom 4. Mai 1585 bringt nach langer Zeit wieder den Namen eines
Patronenmalers: den bekanntesten der Malerfamilie Quesnel, Meister Francois (geboren
um 1544, f 1619). Der Teppich „Christus predigt vor dem Tempel zu Jerusalem" ist
für die Pariser Magdalenenkirche bestimmt; der Einheitspreis stellt sich auf 8V2 Livres;
die wie üblich recht ausführlichen Vertragsklauseln schreiben sogar den Wollenhändler,
einen gewissen Gilles de Goix, vor, bei dem Trubert seine Rohmaterialien zu erstehen
hat. Die Lieferungszeit ist mit nur zwei Monaten angesetzt. Guillaume Trubert steht
übrigens mit Maurice Dubouig (Dubout), dem Leiter der Manufaktur des Pariser Drei-
einigkeitshospitals, in näherer geschäftlicher Verbindung; er arbeitet mit an der Hei-
landsfolge für die Saint-Merry-Kirche.

Ziehen wir die Schlußfolgerung aus den Belegen, so läßt sich unzweideutig fest-
stellen, daß die Pariser Werkstätten zwar keine „tentures de princes" — um einen
zeitgenössischen Ausdruck zu gebrauchen — lieferten, daß die Erzeugnisse der führen-
den Ateliers, nach den wenigen bislang gesicherten Behängen zu urteilen, jedoch auf
einer beachtenswerten Qualitätshöhe standen, daß mit Gewißheit zu erwarten ist, daß
weitere Teppichgruppen — ich denke in erster Linie an die feinen Verdüren mit den
italienisierenden Bordüren (Abb. 17) und die prächtigen Groteskenfolgen — den Manu-

3 Göbel, Wandteppiche II.

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