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Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Editor]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0258
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Felletin

de Chäteaufavier nimmt sich mit bemerkenswertem Eifer der Bestimmungen an. Des
öfteren werden grobe Verfehlungen festgestellt und streng geahndet. Ein häufig geübter
Trick besteht darin, die Bordüre in feiner Wolle, „en etain'1, bisweilen auch in engerer
Kette auszuführen, sich in der naturgemäß wesentlich umfangreicheren Bilddarstellung
dagegen auf eine billigere Sorte, ,(en fil double'1, zu beschränken, die Lichter des
Himmels in Wolle und nicht in Seide wiederzugeben, kurz dem Käufer eine Qualität
vorzuspiegeln, die nicht oder nur teilweise vorhanden ist „en ce que ceux qui se
determineroient ä acheter ces sortes de tapisseries sur le simple examen des bordures,
pouvant les prendre pour des tapisseries d'ötain, seroient cxposös ä etre trompes . . ."
Ob tatsächlich in allen Fällen ein grober Täuschungsversuch vorlag, erscheint mir
nicht ohne weiteres sicher. Wir müssen in Rücksicht ziehen, daß in den Werk-
stätten der Marche der Wandteppich nicht immer einheitlich auf dem Gezeuge zur
Verarbeitung kam. Der Schnellbetrieb verleitete folgerichtig zur gesonderten Her-
stellung der Bordüre und des Mittclbildes. Die Teile wurden nachträglich angewirkt
(Seitenbordüren) bezw. angenäht (Längsbordüren). Die Fälle sind nicht selten, daß
der Käufer nach Belieben eine andere als die ursprünglich zugehörige Fassung, die
häufig eine verschiedene Kettfadenstärke besitzt, dem von ihm gewählten Motive an-
setzen läßt. Die Tatsache läßt sich ohne Schwierigkeit bei einer Reihe von Behängen
feststellen.

Die Verhältnisse bessern sich auch nicht, als der königliche Maler Joseph Dumons
sich mit besonderem Eifer der vernachlässigten Ateliers annimmt. Die Patronenzeichner
von Felletin, denen die Übertragung der Dumons'schen Entwürfe obliegt, kümmern
sich nur wenig um die Durchführung der Vorlagen; die Gruppen werden willkürlich
geändert, schwierige Einzelheiten kurzerhand fortgelassen. Der Inspektor Gabriel La-
boreys de la Pigue redet auf Ersuchen des Intendanten von Moulins, Francois de la
Porte, der der endlosen Beschwerden überdrüssig ist, den Atelierleitern von Felletin
ernsthaft ins Gewissen, er ersucht die Zunftgeschworenen, keine Teppiche zu plom-
bieren, die nicht in genauer Wiedergabe der Kartons gewirkt sind. Der Erfolg ist
kläglich. 1758 ist die Zahl der in Felletin betriebenen Gezeuge von 233 auf 86 herab-
gesunken, die führenden Wirkereihändler beginnen den Ort zu verlassen. 1763 ist
die Zahl der Stühle wieder auf 132, 1769 auf 142 angewachsen. Die erfreuliche Tat-
sache findet leider nicht in der qualitativen Verbesserung der Behänge Felletins, sondern
in verschiedenen wirtschaftlichen Maßnahmen ihre Begründung, fördernd wirkt u. a.
die Legung der wichtigen Heerstraße Toulouse-Paris durch Felletin. Weiterhin binden
die neugegründeten Knüpfteppichmanufakturen zahlreiche Arbeitskräfte und bedingen
einen nicht unerheblichen Aufschwung. Das Jahr 1770 bringt Felletin insofern einen
Fortschritt, als die lang ersehnte Zeichenschule, die das Übel — die minderwertigen
Kartons — an der Wurzel fassen soll, endlich in Tätigkeit tritt. Gleichzeitig erlischt durch
Beschluß des Staatsrates vom 24 September der demütigende Zwang der braunen
Wirkerkante. Die Gleichberechtigung der beiden Manufakturen ist in aller Form an-
erkannt. In Jacques Sallandrouze de Lamornaix ersteht Felletin ein energischer Vor-
kämpfer des alteingesessenen Kunsthandwerkes. Der Wirker-Händler bekleidet 1777
das Amt eines Zunftgeschworenen; mit klarem Willen und scharfem Blick schafft der
Meister, der sowohl die Herstellung von Bildwirkereien als auch von Fußteppichen
betreibt, eine völlig neue Grundlage des gesamten Manufakturbetriebes. Die Heim-
arbeit, die Verzettelung der Aufträge an zahllose Kleinmeister hört auf, das Atelier
Sallandrouze's nimmt den Charakter einer modernen Fabrikanlage an. Etwa 100 Per-
sonen arbeiten in zweckentsprechenden Sälen, ein besonders angestellter Maler er-
ledigt die erforderlichen Entwürfe und Patronen. 1777 sind rund 700 Menschen in
den Bildwirkereibetrieben von Felletin beschäftigt, Meister Jacques sucht nach Möglich-
keit den Erwerb der teuren Pariser Originalskizzen zu umgehen, er entsendet im
September 1776 seinen ältesten Sohn nach Lyon, um sich dort in die Technik der
Textilpatronen einzuarbeiten; der junge Künstler wird 1778 Schüler des Pariser Hof-
malers Bellanger. Naturgemäß kommt die Neuregelung in erster Linie dem Sallan-

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