Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Editor]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0280
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Tours. Touraine. Grenzgebiete

ist nur insofern von Interesse, als er uns über die zu Ende des 15. Säkulums üblichen
Preise unterrichtet (7). Als Seidenhandler treten ferner Mace" Proust und Guillaume
de Montbason in Erscheinung.

Nicht ganz geklärt ist die Rolle, die Jehan und Etienne Le Fevre (Lefevre, Lefebvre),
beide beamtete Tapissiers im Dienste Karls VIII. und der Königin Anne de Bretagne,
spielen. Sie scheinen in Tours ansässig gewesen zu sein und außer den Instand-
setzungsarbeiten, dem Aufhängen, Abnehmen und Reinigen der Folgen, auch Neuanferti-
gungen übernommen zu haben. Lancelot Patel (Platel) steht aller Voraussicht nach mit
dem Liller Wirkergeschlecht der du Platel (des Plateaux) in verwandtschaftlicher Be-
ziehung (8); ein Luc du Platel tritt im 16. Jahrhundert in die Dienste des Herzogs
Renö II. von Lothringen. Wie auch die Verbindungen der Familien gewesen sein
mögen, Meister Lancelot Platel, der den Titel eines varlet de chambre führt, ist eine
Persönlichkeit über dem gewöhnlichen Durchschnitt. Er bezieht den Betrag von
1750 Livres, eine für damalige Zeit recht ansehnliche Summe, für zwei mit Gold und
Silber durchwirkte Antependien „lune de la Passion en grant volume et petit volume"
— einer großen Hauptszene entsprechen kleinere seitliche oder übergeordnete Epi-
soden —, «fnicte ä or et argent et ä soye, contenant environ de treize ä quatorze
aulnes de Flandres, et une autre de pareille estoffe de l'annunciation (Verkündigung),
contenant environ six aunes dudit Flandres, qu'il a livröes et baillöes pour le dit
amesnaigement de la chapelle dudit chastel d'Amboyse11. Der Einheitspreis von rund
87Va Livres läßt mit Sicherheit auf ein erstklassiges Werk schließen. Ich kann
Zweifel nicht unterdrücken. War Platel tatsächlich ausübender Wirker, war er
nicht vielleicht nur Zwischenhändler, der Prachtteppiche in dem für Brüssel typischen
Tabernakelaufbau dem König unter günstigen Bedingungen verkaufte? Im Mai 1490
finden wir Meister Platel wieder, er behängt als königlicher Beamter gelegentlich des
bei Plessis-les-Tours gespielten „mystere de saint Genouph" die Loge Karls VIII. mit
reichen Wirkereien.

Ziehen wir als Ergänzung die örtlichen Dokumente von Tours zu Rate, so ergibt
sich auch hier nur eine schwache Ausbeute. Die Tatsache, daß am 16. Dezember 143-4
der Theologe Jehan le Breton, Kanonikus und Kämmerer der Kathedrale zu Tours,
der St. Gatienkirche einen Bildteppich — Passion und Auferstehung des Heilandes —
als fromme Gabe überreicht, ist noch kein Beweis dafür, daß der Behang auch in
Tours entstanden ist.

1470 wohnt Etienne Boutel, der beamtete Wirker der Gattin Ludwigs XL, Char-
lotte von Savoyen, in der Grande Rue (der heutigen Rue de Commerce, in der Pfarre
Saint-Saturnin). Antoine Boutel, der Tapissier der Königin Anne (de Bretagne), stirbt
vor Juli 1502, sein Sohn Jehan folgt ihm im Amte. Es ist mehr als wahrschein-
lich, daß die Boutel, vom Ahn bis auf den Enkel, ähnlich den Lefebvre neben ihrer
amtlichen Funktion einen regelrechten Werkstättenbetrieb ausgeübt haben; schon die
Doppelbezeichnung eines maitre tapissier und eines varlet de chambre macht stutzig.
Kurze Zeit später bestätigt sich die gleiche Tatsache bei dem berühmtesten der Wirker
Brüssels, bei Pieter van Aelst, der als varlet de chambre seinen Herrn, Philipp den
Schönen, auf dem gefahrvollen Zuge nach Spanien begleitet, der aber zugleich einer
der bedeutendsten Werkstätten der Hauptstadt Brabants vorsteht (9). Ähnlich mögen
die Verhältnisse in Tours, der Residenz der Könige, gelegen haben. Es erscheint
kaum denkbar, daß die ersten Aufseher des Textilienschatzes, die zweifelsohne tüch-
tige Könner in ihrem Fache gewesen sein müssen, ohne weitgehende Aufträge d. h.
Neuanfei'tigungen geblieben sein sollten. Ich halte es nicht für angebracht, die Eigenart
der zeitlich früheren burgundischen Verwaltung, bei der allerdings die beamteten
Tapissiers lediglich eine reine Aufsichts- und Unterhaltungstätigkeit auf den Schlössern
und in dem herzoglichen Teppichhaus zu Arras übten, ohne weiteres mit den ganz anders
gearteten wirtschaftlichen Bedingungen der Residenz Tours in Vergleich zu stellen. Wie
dem auch sei, eine endgültige Klärung steht noch aus.

Der uns bereits bekannte Francois Drouin tritt 1496 noch einmal in Erscheinung,

262
 
Annotationen