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Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Hrsg.]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0307
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Tours. Touraine. Grenzgebiete

mir entzieht. Die Folge schmückte bis zu den Wirren der großen französischen Re-
volution den Chor der Abteikirche zu Ronceray, sie gelangte auf unbekannten Umwegen
nach Schloß Plessis-Mace" und wurde am 2. Oktober 1888 öffentlich versteigert. Zwei
Behänge befinden sich zur Zeit im Pariser Gobelins Museum, einer im Louvre, andere
Teile sind in den französischen Schloßbesitz (Langeais, Anjou) übergegangen, von dem
Rest fehlt jede Spur. Der Versteigerungskatalog bringt neben verschiedenen Abbildungen
eine einigermaßen brauchbare Beschreibung (SO). Die Wappen und die mehrfach vor-
kommende Initiale Y beziehen sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Äbtissin Ysa-
belle de la Jaille (1505—1518) und die Stifterin Louise le Roux, „decana et cameraria"
(f 1523); die Entstehung der Folge liegt demgemäß zwischen 1505 und 1523. Die
größere Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß die Reihe, als eine Art Pietätsakt, un-
mittelbar nach dem Tode Ysabelle's in Angriff genommen wurde, wenn auch gewisse
stilistische Eigenarten eine etwas frühere Datierung nahezulegen scheinen. Der für die
Handlung maßgebende Leitfaden zeugt nicht gerade von einheitlichen Gesichtspunkten;
der Hauptnachdruck wird auf das Hostienwunder gelegt. Dokumente, die die Serie
auf die Ateliers der Loire zurückführen, haben sich nicht erhalten; maßgebend sind
lediglich stilistische Vergleiche. Der architektonische Aufbau schließt sich, wenn auch
in einfacherer Form, völlig den besprochenen beiden großen Folgen an; die Durch-
bildung der Gesichtszüge ist schwächer; die Vorliebe für reiche Brokatgewänder findet
sich in weniger ausgeprägtem Maße. Die Wirktechnik ist ziemlich die gleiche; das
wichtigste Moment, die Farbengebung läßt mannigfache Zweifel offen; die aparten Nu-
ancen lassen sich nur selten feststellen. Inwieweit der Ausbleichungsprozeß eine Rolle
gespielt hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Reihe zählte im Schlosse Plessis-Mace"
21 Bilder, sie maß in der Höhe 1,90 m, in der Länge 24,35 m; wieviel Behänge in den
Tagen der Revolution verlorengegangen sind, steht dahin. Die Legende beginnt mit
dem Opfer Abels und Rains und dem Brudermord. Weiße gotische Buchstaben auf
rotem Grunde erläutern in französischen Vierzeilern die Episoden. Es folgt das Zusam-
mentreffen Abrahams und Melchisedeks, von der ersten Szene durch einen Baum ge-
trennt.

Das dritte Bild schildert das jüdische Osterfest vor der Abwanderung aus Ägypten.
Zur Linken erscheint als trennendes Motiv ein gotischer Bau, der noch in die Abra-
hamsepisode hineinragt. Neun Personen weilen an der Tafel. Im Vordergrunde gürtet
ein Hebräer seinen Schuh, Buchstaben — ACEI..I..IO — zieren den Saum des
Gewandes; der Mann scheint mit einem Kinde Rücksprache zu pflegen. Im Hinter-
grunde offenbart sich Jehovah Moses im feurigen Busch.

Der zweite Teppich bringt wiederum drei Szenen: Moses schlägt Wasser aus dem
Felsen, eine Frau reicht ihm im Binsenkorbe Manna dar (4), der Hohepriester über-
gibt König David die Schaubrote (5). Im Auftrage Sauls trennt Doeg das Haupt
Ahimelechs vom Rumpfe. Im Hintergrunde tanzt David harfenspielend vor der Bundes-
lade. Im sechsten Bilde schließlich — ein Stechpalmengebüsch mit leuchtend roten
Beeren und aufgelegtem Stifterschild vermittelt den Übergang — überbringen Engel
dem Propheten Elias Brot und Wasser. Im Hintergrunde fährt der feurige Wagen
gen Himmel; Elisa beobachtet staunend das Wunder.

Der dritte Behang schildert im ersten (7) Bilde die Einsetzung des Heiligen Abend-
mahls; über dem Haupte des Erlösers wölbt sich ein Baldachin; als Parallelhandlung
vollzieht sich die Fußwaschung.

Die achte Episode ist der Kreuzigung gewidmet; zu Füßen des Marterholzes trauern
me Madonna und Johannes; eine Frauengestalt, die de Farcy etwas gewaltsam mit
der Stifterin Louise le Roux zu identifizieren sucht, umklammert den Stamm; Juden
höhnen den göttlichen Dulder. Außer dem Vierzeiler trägt die Szene die bereits er-
wähnte Stiftungsinschrift. Die nun folgenden Teppiche behandeln in einer Reihe von
mldern die Hostienwunder. Charakteristisch ist die verhältnismäßig kurze Einleitung,
die knapp erzählte Einsetzung des Abendmahls, das Leiden des Herrn, im Gegensatze
zu den zahlreichen, mit ausführlicher Breite behandelten Mirakeln. Das Schema ist

9 Göbel, Wandteppiche II.

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