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Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Hrsg.]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0317
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Tours. Toteraine. Grenze ebiete

geholt und zum Priester geweiht, ein Himmelshote heißt ihn, sich auf dem „Mont-
Glonne" niederzulassen, die vier Bilder tragen auf den rahmenden Pfeilern wiederum
das Wappenschild des Stifters. Die Gründung eines Gotteshauses zu Ehren Sankt
Peters geht in Szene; der Heilige trifft in Saumur ein. Der nun folgende Behang
(mit drei Episoden) weicht insofern von den bislang erwähnten Stücken ab, als die
Zwischenteilung nicht in der üblichen Weise durch Pilaster oder Säulen erfolgt;
blühende fruchtbeladene Bäume, am Stamme den Schild des Abtes, dienen als tren-
nendes Motiv. Ein blindes Weib bittet Sankt Florent, ihren einzigen Sohn, der
durch einen Unglücksfall den Tod des Ertrinkens erlitten hat, zum Leben zu er-
wecken; der Heilige willfahrt dem Wunsche, zugleich wird die Mutter sehend; die
Einwohner von Saumur erflehen von Sankt Florent Hilfe gegen ein erschreckliches
Ungeheuer usw. Die kurzen Andeutungen müssen genügen, im übrigen bieten für
weitere Studien die Zeichnungen Hawke's und die Ausführungen Parrot's, in Verbin-
dung mit den vorhandenen Behängen zu Saumur und Angers, ausreichende Unter-
lagen. Die Folge verdient, wie kaum eine zweite, eine ausführliche Sonderabhand-
lung. Wie üblich erscheint am Schlüsse der Serie das Stifterbildnis, der in seinem
Betzimmer vor dem Alter kniende Abt Jacques Le Roy.

Noch heute ist Angers reich an Teppichen, die mit den Werkstätten der Loire
und der Grenzgebiete in Verbindung zu bringen sind. Besonders charakteristisch ist
das einst der St. Martinskirche gestiftete Leben des Schutzpatrons; die Serie gelangte
erst 1790 in den Besitz der Kathedrale. Von den ursprünglich sechs Behängen sind
nur noch zwei vorhanden. Der fromme Stifter ist urkundlich nicht belegt, Die
Fabel ist leicht verständlich; sie schildert in Anlehnung an die Legcnda aurea. Der
ehemalige Ritter empfängt von Sankt Hilarius, dem Bischof von Poitiers, die
Weihe. Es erfolgt seine Wahl zum Bischof von Tours, er durchzieht das Land,
den Götzenglauben zu bekämpfen und auszurotten: »Ihm gehorchten zum andern
die Pflanzen; denn da er an einer Stätte einen uralten Tempel hatte zerstört und
eine Tanne wollte ausreißen, die dem Teufel geweiht war, widerstunden ihm die
Heiden und die Bauern, und einer von ihnen sprach: „Hast du Vertrauen zu deinem
Gott, so wollen wir diesen Baum umhauen, und du sollst ihn auffahen; ist dein Gott
mit dir, als du sagst, so magst du wohl entrinnen. Er willigte darein, und sie hieben
den Baum um; der neigte sich wider Martinum, der daselbst gebunden war: da machte
er gegen den Baum das Kreuzeszeichen, und der Baum kehrte sich alsbald um nach
der andern Seite und erschlug beinahe die Bauern, die an einem sicheren Ort stunden.
Als sie das Wunder sahen, wurden sie bekehrt". Der Behang läßt es nicht bei dem
„beinahe" bewenden, zwei Heiden liegen unter dem niedergestürzten Baume begraben,
ein dritter bricht von der Wucht des Anpralles in die Knie. Abseits liegt Sankt
Martinus in voller Amtstracht, die Arme sind an den eingerammten kurzen Pfählen
verschnürt. Geistliche und Laien — im Vordergrunde rechts fällt eine reich gekleidete
Persönlichkeit ins Auge — verfolgen staunend den Vorgang. Zur Linken entweicht
eine riesige Teufelsgestalt, in den Wolken schwebt der Heiland, umgeben von
der Schar der Himmlischen; ein waldiges Gelände mit einer Burganlage füllt den
Fond; ein Vierzeiler erläutert in französischer Sprache das Motiv.

Das zweite Bild schildert eine freie örtliche Legende (64):

«Comment monseigneur sanet martin fist rendre a la terre
Le sang de sainet maurice et de ses compagnons."

Sankt Martin weiht die Basilika zu Saint-Lidoire bei Tours dem ritterlichen Führer
der heiligen Legion, Sankt Mauritius, und seinen getreuen Leidensgefährten. Die
Schar kam einst mit dem Heere des Kaisers Maximianus nach Gallien und wurde auf
die Weigerung, den heidnischen Göttern zu opfern, bei Agaunum an der Rhone
Mann für Mann enthauptet. Der Heilige fleht auf der Stätte des Martyriums zu Gott,
ihm die Stelle zu enthüllen, wo die Uberreste der in seinem Namen gefallenen Krieger
schlummern. Am Morgen ist das Feld mit Bluttau bedeckt, St. Martinus füllt drei

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