Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Editor]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0339
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
To urs.

To uraine.

Grenzgebiete

setzen zweifelsohne bei Fauvart ein hohes Können als Kartonzeichner voraus, sie be-
sagen jedoch nicht mit völliger Gewißheit, ob es sich um Tapisserievorlagen oder um
die als dekoratives Moment häufig verwandten „toiles peintes", gemalte Tücher, die
eine reiche Bildteppichfolge vortäuschen sollen, handelt. In diesem Falle wäre der
„tapissier dudict seigneur en la ville de Paris" nicht der Inhaber eines Wirkerei-
ateliers, sondern der beamtete Aufseher des Textilienschatzes des Hauses Longueville.
Gegen die letztere Annahme sprechen gewichtige Gründe. Es will nicht einleuchten,
weshalb der Statthalter der Guienne, Herzog von Longueville, Graf von Dunoys, Seig-
neur de Boisgency, ausgerechnet in Paris seinen Wirkereiinspektor installiert haben sollte,
in der Stadt, die weder mit dem königlichen Hofe, noch mit den Besitzungen oder
der amtlichen Residenz des Grandseigneurs in engerer Beziehung stand. Anderer-
seits erscheint es erstaunlich, daß eine noch im alten Stile, in Anlehnung an die Troja-
romane zusammengestellte Serie, die augenscheinlich in der Art der Stephanus- oder
Reinigiusreihe aufgefaßt ist, die wie in den Heiligenfolgen, den Auftraggeber und seine
Gattin in einer Sonderdarstellung mit den Allianzwappen und den Legenden des Ge-
schlechtes verewigt, nicht in dem zunächst in Frage kommenden Tours, sondern in
Paris, das noch unter den Nachwehen des Niederganges krankt, zur Durchführung
gelangt, daß eine im Stile der Touraine komponierte Reihe im Pariser Farbenzirkel in
Hautelissetechnik wiedergegeben wird. Aller Wahrscheinlichkeit nach gab, wie in so
vielen anderen, urkundlich belegten Fällen, das geldliche Moment den Ausschlag; der
Pariser Wirker dürfte als der billigere den Auftrag erhalten haben. Noch 1530 ist
Meister Favart gelegentlich des Einzuges der Königin Eleonore in Amboise tätig. Jacques
Favart, der Sohn, setzt die Traditionen des väterlichen Ateliers fort.

Die Tatsache, daß Künstler der Touraine zweifellos noch im Geiste der alteingesessenen
Malerschule Patronen entwerfen und durchführen, die dann in Paris — ebenso gut ist die
Möglichkeit für Tours, Tournai, Brügge, Oudenaarde oder Brüssel gegeben — auf die
Gezeuge gelegt werden, macht die ohnehin verwickelte Frage der Werkstättenzuwei-
sung noch schwieriger, ganz abgesehen davon, daß die Erzeugnisse der Metropole durch
authentische Folgen nur unzureichend belegt sind. Die Berliner Kunsthandlung J.Klausner
u. Sohn besaß um 1917 einen Wandteppich aus dem zweiten Jahrzehnt des 16. Sä-
kulums, der dem ganzen Stile nach einem Maler der Touraine seinen Entwurf ver-
dankt — es handelte sich um ein Stück aus der Serie der Freien Künste, die Lern-
beflissenen tr eten in den Schulraum ein, der Unterricht beginnt —, der aber in seiner
dunkelen trüben Farbengebung —namentlich Braun herrscht vor — in einer anderen Werk-
statt entstanden sein muß. Ähnliche Zweifelsfragen tauchen auf bei einer zweiten, je-
doch nach anderen Kartons zusammengestellten Serie der sieben Freien Künste in dem
Pariser Musöe de Cluny (102) und im Musee des Arts döcoratifs. Dame ArithmeHhique
sitzt am Rechentisch (H. 3,63 m, L. 2,85 m), sie zählt die Münzen nach den Spalten
des Ausgabenbuches, das ein sitzender bärtiger Mann hält. Lernende umstehen die
Gruppe. Die Szene ist in ein Renaissancegemach verlegt, zwischen den Fenstern der
Rückwand hängen vor einem Tuche — oder handelt es sich um eine Buchstaben- und
Rechentafel — zwei Kugelschnüre, die augenscheinlich bei den Übungen eine ge-
wisse Rolle spielen. Die seitliche Fensterwand wird durch einen reich ornamentierten
Pfeiler abgeschlossen, unter dem Kapitell baumelt ein Täfelchen mit der Inschrift
Davi. F. Der mit Platten belegte Saal geht in der üblichen, etwas unlogischen Weise
in den mit blühenden Pflanzen besetzten Rasen über. Ein Spruch kündet in mäßi-
gem Latein:

„Monstrat ars numeri que virtus possit habere;
Explico per numerum que sit proportio rerum".

Der zweite Teppich der Folge, der sowohl an der Ober- als an der Unterkante Einbußen
erlitten hat — die Schrifttafel ist verschwunden — wählt „Dame R^thoricque" als Vor-
lage (Abb. 344); es entzieht sich meiner Kenntnis, ob der Behang mit der Dame «R6-
thorique" in der ehemaligen Sammlung Louis Germeau (versteigert, Paris, Hötel Drouot,

24 Göbel, Waudteppicbe II.

321
 
Annotationen