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Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Hrsg.]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0422
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M a n t u a

a fato el disegno". Noch 60 Jahre später rühmt der Yenetianer Michiel die herrlichen
Teppiche nach Mantegna's Entwürfen und stellt sie auf eine Höhe mit der berühmten
Folge der Taten der Apostel in der Sixtina. Merkwürdigerweise haben sich nur sehr
wenige Wirkereien erhalten, die mit gewisser Wahrscheinlichkeit der Mantuaner Werk-
statt und der Meisterschaft Mantegna's zugeschrieben werden können. Bedingungs-
weise kommt die Verkündigung mit dem Gonzagawappen, einst in der Sammlung
Spitzer, gegenwärtig in der Kollektion Martin A. Ryerson zu Chicago, in Frage (11)
(Abb. 426). Der Mantegna'sche Stil macht sich geltend, gewisse Unausgeglichenheiten
finden unbedenkliche Erklärung aus der Übertragung der Entwurfsskizze in den natur-
großen Karton, die der Künstler, wie in allen ähnlichen Fällen, seinen Schülern überließ, und
den Vorgang der Wirktechnik, der Änderungen und Zusätze, wenn auch geringfügigerer
Art, mit sich brachte. Charakteristisch ist der prächtig durchgeführte Pfau zwischen
dem Hirnmeisboten und dem Betpulte der Madonna; die Leidenschaft des Herzogs für
exotische, farbenprächtige Vertreter der Vogelwelt ist bekannt. Der Truthahn scheint
übrigens in den italienischen Bild Wirkereien eine besonders bevorzugte Rolle gespielt
zu haben, wir finden ihn wieder auf einem Jahreszeitenteppich der florentinischen
Werkstatt des Rost (Abb. 378). Die Landschaft, die sich hinter der Rosenhecke auf-
baut, ist typisch, es sei nur an den ähnlich komponierten Hintergrund zur Rechten
des gerüsteten jugendlichen St, Georg in der Akademie zu Venedig erinnert (12). Die
Vorliebe für reich gearbeitetes Möbel, die sich in dem Betpulte und den ver-
schiedenen Gegenständen des Wohngemaches der Jungfrau charakteristisch offenbart,
erscheint u. a. wieder bei der Behandlung des Gestühls in dem Familienbilde der
Gonzaga in der Camera degli Sposi im Mantuaner Schloß (13). Ähnliche Vergleichs-
punkte finden sich in ausreichender Zahl für die Haltung der Madonna und des
Engels; typisch für Mantegna's Art ist die als Marmorumrahmung gedachte Bordüre,
die allerdings modernen Datums, aber aller Wahrscheinlichkeit nach, dem alten Be-
stände entsprechend, ergänzt ist — der Meister erblickt, wie alle seine Zeitgenossen
in dem Wandteppich kein rein dekoratives Flächenelement, sondern ein möglichst
kostbar gewirktes Bild —; kurz die Verwandtschaft der „Verkündigung" mit dem
Atelier des Mantegna dürfte kaum anzuzweifeln sein. Anders liegt die Frage, ob
der herrliche, golddurchwirkte Behang in Mantua entstanden, oder nach Entwürfen
Mantegna's in Flandern auf das Gezeug gelegt worden ist. Bemerkenswert ist die
außerordentlich feine technische Durchführung, die besonderen Wert auf die ein-
wandfreie Lösung des schwierigsten Teiles der Wirkerei, des Inkarnates, legt, das
in Frische erstrahlt. Gegen die niederländische Abstammung spricht die allerdings
zweifelhafte Marmorbordüre, weiterhin der Umstand, daß die Gewänder der Madonna
und des kündenden Boten ganz schlicht gehalten sind; der niederländische Wirker
hätte sich schwerlich die Freude des Brokatierens bei einer so reichen Wirkerei ent-
gehen lassen ■— es sei nur an die Taten der Apostel erinnert, bei denen Pieter van
Aelst das Kleid Christi, entgegen der Vorlage, mit goldenen Sternen übersäte. Für
die Mantuaner Herkunft läßt sich die Tatsache anführen, daß mehrfach kostbare Seiden
— von Gold ist allerdings keine Rede — für Mantegna's Patronen in Venedig einge-
handelt wurden. Charakteristisch ist im übrigen die Verwendung von Buchstaben —
die Phyllis Ackerman (14) als „Joas" liest und mit dem Oudenaarder Wirker Jan Le-
nitins (?) (Huet) in Verbindung bringt — als Dekorationsmittel in den Marmorfliesen des
Bodens, eine Methode, die namentlich in Tournai sich großer Beliebtheit erfreute, wie
auch der dem Fliesenboden vorgelagerte Rasenstreifen mit dem blühenden Gewächs
ein typisches Tournaiser Motiv darstellt. Phyllis Ackerman stellt den Behang in Parallele
mit der Kreuzigung in der Dreicer-Collection (New York, Metropolitan-Museum) und
der Verkündigung in der Berliner Sammlung Dirksen und plädiert für die Oude-
naarder Provenienz; den verbindenden, stilistisch-technischen Zusammenhang der drei
Teppiche kann ich nicht erkennen. Auch die spätgotische Architektur der Dirksen-
schen Verkündigung läßt sich meines Erachtens nicht mit den ausgesprochen italieni-
schen Renaissanceformen der Ryerson'schen Verkündigung in Einklang bringen.

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