Mailand
Mailand.
Verhältnismäßig spät findet die Bildwirkerei an dem Hofe der Sforza Eingang. Die
ersten urkundlichen Vermerke aus der Herrschaft Herzog Francesco's (seit 1450) da-
tieren vom 13. April 1455 und vom 6. März 1456: „Adciö che Zohanne da Bergogna
nostro tapezero possa meglio sostentarse, volimo che la soa provisione (monatlich),
quäle gli havimo giä deputata, de ducati deci a raxone de libri III et soldi IUI per
ducato, sia de ducati deci d'oro in oro de camera, secundo el suo corso" (1). Das
Unternehmen des Meisters Jan schlägt schlecht ein, er steckt binnen kurzer Zeit in
drückenden Schulden. Mit beweglichen Worten fleht er den Herzog um Hilfe an.
Francesco gibt dem Ersuchen in dem Erlasse vom 31. Mai 1463 Raum, die von den
Gläubigern beschlagnahmten Arbeitsgeräte und das verpfändete Jahresgeld werden durch
die Staatskasse ausgelöst, Nach kurzer Zeit beginnt das unerfreuliche Spiel von neuem.
Die Ursache dürfte in erster Linie in Meister Jan selbst zu suchen sein, der mehr dem
Weine als der Arbeit huldigte. Verschiedene seiner Landsleute, zugleich seine Gläu-
biger, wenden sich (am 17. Juni 1463) mit aufklärenden Mitteilungen an die Herzogin.
Bereits seit einem Jahre sei Jan von Burgund mit der Durchführung verschiedener
Behänge beauftragt, er habe die Arbeit jedoch im Stiche gelassen und sei der Bezah-
lung seiner Schulden in Höhe von rund 70 Golddukaten durch Verschwinden kurzer-
hand aus dem Wege gegangen. Seine Landsleute und Fachgenossen hätten notge-
drungen Hilfskräfte aus der Heimat angefordert und nach Mailand beordert; Pieter
Alont (Pietro Alout) und Willem Barvere (Guglielmo Barnese) seien auch ordnungs-
mäßig eingetroffen. Leider habe inzwischen der verbummelte Jan mit einem herzog-
lichen Geleit- und Sicherheitsschreiben sich wieder eingefunden und die beiden neuen
Wirker zum Trinken verleitet; das Dreiblatt liege andauernd in den Kneipen, Pieter
und Willem seien vollkommen in Abhängigkeit geraten und hätten ihnen jede Dienst-
leistung aufgesagt. Ähnliche nichtswürdige Versuche habe der burgundische Meister
bei dem dritten der von ihnen berufenen Gesellen, bei Nicolas de Picardie, allerdings
ohne Erfolg unternommen. Als Unterzeichner der Eingabe figurieren Levinus Hersella
de Flandria — augenscheinlich ein Mitglied der bekannten Brüssel-Antwerpener Wir-
ker- und Händlerfamilie de Herzeele ■— sowie ein Johannes Felicis de Picardia (Gio-
vanni di Feiice). Wie die Angelegenheit ausläuft, ist mir nicht bekannt.
In einem Schreiben des Antonius ex Michaelibus aus Parma vom 29. April 1468 an
Circo Simonetta, den herzoglichen Sekretär, ist von einem Wirker Aluigi todescho,
von dem Flamen Aloys, die Rede, der zuvor in Rom tätig war und in Verhandlung
mit Lodi steht (2). Die Angelegenheit wird ordnungsgemäß an den Herzog weiter-
geleitet, über das Endergebnis sprechen sich die amtlichen Belege nicht aus. Es ist
wenig wahrscheinlich, daß unter der Willkürherrschaft des Galeazzo Maria Sforza
(seit 1466), des Sohnes des großen Francesco, die Bildteppichwirkerei in Mailand son-
derlichen Aufschwung genommen haben sollte. Die Tatsache, daß die Mailänder
Meister in erster Linie bei den landesherrlichen Festen in Erscheinung treten (1465
Vermählung Ippolita Sforza's, 1488 der Isabella d'Aragona, 1490 der Beatrice d'Este
und der Anna Sforza, 1492 Tauffeierlichkeiten des Erstgeborenen des Lodovico il Moro,
1493 Vermählung der Bianca Maria Sforza) ist nicht weiter verwunderlich, stellen doch
die Ateliers an den italienischen Höfen des 15. Säkulums nur mehr oder weniger
sporadische Gründungen dar, die in der Hauptsache bei feierlichen Veranstaltungen
in stärkerem Maße zu den üblichen Wappen- und Gartenteppichlieferungen heran-
gezogen werden.
Ein recht eigenartiges Projekt fällt in das Jahr 1472. Die „Ritratti di cortigiani Fran-
cesi da ripro dürre in arazzi" (3), angeblich für die „sala del Re Franza" bestimmt, ver-
körpern eine ebenso seltsame wie bissige politische Satire, die unverblümt die Großen
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Mailand.
Verhältnismäßig spät findet die Bildwirkerei an dem Hofe der Sforza Eingang. Die
ersten urkundlichen Vermerke aus der Herrschaft Herzog Francesco's (seit 1450) da-
tieren vom 13. April 1455 und vom 6. März 1456: „Adciö che Zohanne da Bergogna
nostro tapezero possa meglio sostentarse, volimo che la soa provisione (monatlich),
quäle gli havimo giä deputata, de ducati deci a raxone de libri III et soldi IUI per
ducato, sia de ducati deci d'oro in oro de camera, secundo el suo corso" (1). Das
Unternehmen des Meisters Jan schlägt schlecht ein, er steckt binnen kurzer Zeit in
drückenden Schulden. Mit beweglichen Worten fleht er den Herzog um Hilfe an.
Francesco gibt dem Ersuchen in dem Erlasse vom 31. Mai 1463 Raum, die von den
Gläubigern beschlagnahmten Arbeitsgeräte und das verpfändete Jahresgeld werden durch
die Staatskasse ausgelöst, Nach kurzer Zeit beginnt das unerfreuliche Spiel von neuem.
Die Ursache dürfte in erster Linie in Meister Jan selbst zu suchen sein, der mehr dem
Weine als der Arbeit huldigte. Verschiedene seiner Landsleute, zugleich seine Gläu-
biger, wenden sich (am 17. Juni 1463) mit aufklärenden Mitteilungen an die Herzogin.
Bereits seit einem Jahre sei Jan von Burgund mit der Durchführung verschiedener
Behänge beauftragt, er habe die Arbeit jedoch im Stiche gelassen und sei der Bezah-
lung seiner Schulden in Höhe von rund 70 Golddukaten durch Verschwinden kurzer-
hand aus dem Wege gegangen. Seine Landsleute und Fachgenossen hätten notge-
drungen Hilfskräfte aus der Heimat angefordert und nach Mailand beordert; Pieter
Alont (Pietro Alout) und Willem Barvere (Guglielmo Barnese) seien auch ordnungs-
mäßig eingetroffen. Leider habe inzwischen der verbummelte Jan mit einem herzog-
lichen Geleit- und Sicherheitsschreiben sich wieder eingefunden und die beiden neuen
Wirker zum Trinken verleitet; das Dreiblatt liege andauernd in den Kneipen, Pieter
und Willem seien vollkommen in Abhängigkeit geraten und hätten ihnen jede Dienst-
leistung aufgesagt. Ähnliche nichtswürdige Versuche habe der burgundische Meister
bei dem dritten der von ihnen berufenen Gesellen, bei Nicolas de Picardie, allerdings
ohne Erfolg unternommen. Als Unterzeichner der Eingabe figurieren Levinus Hersella
de Flandria — augenscheinlich ein Mitglied der bekannten Brüssel-Antwerpener Wir-
ker- und Händlerfamilie de Herzeele ■— sowie ein Johannes Felicis de Picardia (Gio-
vanni di Feiice). Wie die Angelegenheit ausläuft, ist mir nicht bekannt.
In einem Schreiben des Antonius ex Michaelibus aus Parma vom 29. April 1468 an
Circo Simonetta, den herzoglichen Sekretär, ist von einem Wirker Aluigi todescho,
von dem Flamen Aloys, die Rede, der zuvor in Rom tätig war und in Verhandlung
mit Lodi steht (2). Die Angelegenheit wird ordnungsgemäß an den Herzog weiter-
geleitet, über das Endergebnis sprechen sich die amtlichen Belege nicht aus. Es ist
wenig wahrscheinlich, daß unter der Willkürherrschaft des Galeazzo Maria Sforza
(seit 1466), des Sohnes des großen Francesco, die Bildteppichwirkerei in Mailand son-
derlichen Aufschwung genommen haben sollte. Die Tatsache, daß die Mailänder
Meister in erster Linie bei den landesherrlichen Festen in Erscheinung treten (1465
Vermählung Ippolita Sforza's, 1488 der Isabella d'Aragona, 1490 der Beatrice d'Este
und der Anna Sforza, 1492 Tauffeierlichkeiten des Erstgeborenen des Lodovico il Moro,
1493 Vermählung der Bianca Maria Sforza) ist nicht weiter verwunderlich, stellen doch
die Ateliers an den italienischen Höfen des 15. Säkulums nur mehr oder weniger
sporadische Gründungen dar, die in der Hauptsache bei feierlichen Veranstaltungen
in stärkerem Maße zu den üblichen Wappen- und Gartenteppichlieferungen heran-
gezogen werden.
Ein recht eigenartiges Projekt fällt in das Jahr 1472. Die „Ritratti di cortigiani Fran-
cesi da ripro dürre in arazzi" (3), angeblich für die „sala del Re Franza" bestimmt, ver-
körpern eine ebenso seltsame wie bissige politische Satire, die unverblümt die Großen
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