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Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Hrsg.]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0444
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Rom. San Michele. Jesuitenmanufaktur

Kehren wir zu den umfangreicheren Wirkereien der Manufaktur zurück, so ist aus
dem Jahre 1760 eine eigenartige Arbeit zu erwähnen, die Kopie des da Vinci-
schen Abendmahls nach dem 1533 von König Franz I. Papst Clemens VII. über-
wiesenen Pariser (Fontainebleau) Behang. Der Vergleich der beiden Teppiche (Abb. 28,
Abb. 461) ist von besonderem Interesse; die Wiederholung ist, abgesehen von gewissen
Härten, peinlich und exakt, an die Stelle des Lilienwappens tritt das Hoheitszeichen
des Papstes.

Einer späteren Epoche entstammen die prächtigen Baldachinwirkereien mit den von
Putten begleiteten Wappenschildern Pius VI. (1775—1799) (Abb. 462). Die Garnitur
gehört zu einer Thronausstattung; als Rückwand dient die 1775 durchgeführte
Kopie der bekannten van Aelst'schen allegorischen Wirkerei (Abb. 463); Gott-Vater in
der Glorie (Abb. 464) strahlt vom Baldachin. In wesentlich einfacherer Form (Orna-
mente, päpstliche Insignien) ist die Hochstuhlausstattung gehalten, die 1725 als Geschenk
Benedikts XIII. der Kathedrale zu Benevent überwiesen wird.

In das Jahr 1761 fällt ein Ecce homo nach Guido Reni, mit dessen Übertragung die
Prinzessin Pallavicini die Manufaktur San Michele betraut (Sammlung L. Nardini).

Pietro Ferloni segnet 1770 das Zeitliche, Giuseppe Folli übernimmt bis 1791 die Ober-
leitung der Manufaktur, Cettomai wird ihm koordiniert. Bildkopien bilden nach wie
vor das Rückgrat des Unternehmens. Das Pariser Mus6e des Gobelins besitzt ver-
schiedene Arbeiten aus dieser Epoche (31): Die heilige Familie (H. 0,59 m, L. 0,52 m)
— eine Kopie des Münchener Raffaelbildes —, die Madonna mit dem Jesusknaben,
von zwei Engeln begleitet (H. 0,80 m, L. 0,70 m) nach Carlo Maratta, die Flucht nach
Ägypten (H. 0,65 m, L. 0,48 m) mit der Signatur CETTOMAI ROMANO, Sankt Christo-
pherus (H. 0,64 m, L. 0,48 m) mit der Wirkerbezeichnung FILIPPO CETTOMAI.
Starke Anlehnung an die wenig erfreuliche Gobelinsserie der „Geschichte Frankreichs"
zeigt ein Bildteppich im Besitze der Familie Valentini, zu dem Menageot — bekannt
durch den Karton „Tod Leonardo da Vinci's" — 1787 die Patrone entwarf (er weilte
als Leiter der französischen Akademie in Rom): Die Mutter und die Gattin Koriolans
flehen den der Heimat abtrünnigen Helden an, die Belagerung Roms aufzuheben.
Ein eigenartiges Wirkereiporträt mit der Signatur Philippus Cettomai verzeichnet die
englische Sammlung I. H. Fitshenry: Der Meister handhabt das Fach des hochlitzigen
Stuhles und wendet das Gesicht dem Beschauer zu. Eine Wiedergabe bringt W. G.
Thomson in seiner History of Tapestry (S. 452).

1791 übernimmt Filippo Pericoli die Leitung der Manufaktur. Die Leistungen sinken
qualitativ fast auf den Nullpunkt herab. Im Februar 1798 besetzen die Franzosen die
Ewige Stadt, um sie im folgenden Jahre vor den heranrückenden Neapolitanern zu
räumen. Pius VII. verlegt seine Residenz wieder nach Rom, um 1808 von neuem
weichen zu müssen. Erst 1814 erfolgt die Wiedereinführung des alten politischen
Regimes. Die weiteren Geschicke der Manufaktur San Michele liegen außerhalb des
Rahmens unseres Abschnittes, sie finden bei Besprechung der modernen Bildwirker-
ateliers eingehendere Behandlung. Der Vollständigkeit halber sei bemerkt, daß sich,
ähnlich dem Zweigbetriebe der spanischen Staatsmanufaktur, auch das römische
Unternehmen mit mehr oder weniger Erfolg mit der Anfertigung von Fußteppichen
befaßte (Abb. 467).

Die Jesuitenmanufaktur.

Gegen 1743 zweigt sich von der Staatsmanufaktur San Michele ein freies Atelier
ab, das seine Werkstatt in einem Hause des Platzes Santa-Maria in Trastevere auf-
schlägt; die Führung übernehmen Antonio Gargaglia und Agostino Sperenza. Ein
erbitterter Kampf zwischen Ferloni und dem neuen Unternehmen, das die besten
Kräfte von San Michele nach sich zieht, setzt ein. Vergebens wendet sich Meister Pietro
beschwerdeführend an den Kardinal Albani; die Compagnia di Jesü, die Schutzherrin
Gargaglias, erweist sich als der mächtigere Faktor. Als wesentlichste Folge des neuen

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