Barcelona
Die einzige nennenswerte Manufaktur des 16. Jahrhunderts ist der Betrieb des Joan
Ferrer, eines wahrscheinlich aus den Niederlanden zugewanderten Meisters. Ein glück-
liches Geschick hat uns verschiedene Teppiche der für die Kathedrale von Gerona
gewirkten Folgen erhalten (10). Der maßgebende, zwischen den Beauftragten des
Kapitels zu Gerona und „mestre Joan ferrer tapisser de Barcelona" abgeschlossene Ver-
trag (11), der unter dem 26. November 1560 die endgültige Bestätigung findet, ver-
pflichtet den Wirker zur Anlieferung des Behanges der «Verkündigung Mariä" (Abb. 483)
innerhalb einer Frist von vier Monaten; alle Einzelheiten, Art der Ausführung und Ver-
gütung, werden eingehend erörtert. Ferrer siedelt vorübergehend nach Gerona über.
Der Teppich gelangt ordnungsmäßig zur Ablieferung, am 1. März 1561 quittiert Ferrer
über eine Teilzahlung, der Restbetrag der mit 65 „lliures barcelonenses" vereinbarten
Vergütung gelangt am 11. Juni 1561 zur Ausschüttung. Das Kapitel äußert sich sehr
zufrieden über die Arbeit und betraut am 18. Juni des gleichen Jahres «Joannes farrer
Tapisserium Barchinone pro nunc gerunde commorans" mit der weiteren Durchführung
der für den Chor bestimmten Reihe, die insgesamt acht Behänge umfassen soll. Die
Beschaffung der Patronen ist Sache des Wirkers, die gewählten Motive unterliegen
der Genehmigung des Kapitels. Als Einheitspreis für die flämische Quadratelle werden
57 Sous in Ansatz gebracht. Die im Kapitelsaal noch vorhandenen sechs Behänge um-
fassen die „Verkündigung", die „Anbetung der Könige", die „Himmelfahrt Christi", die
„Ausgießung des heiligen Geistes", den „Tod und die Himmelfahrt der Gottesmutter".
Das in Abb. 484 wiedergegebene Fragment dürfte mit der Geburt des Heilandes und der
Anbetung der Hirten in Verbindung zu bringen sein. Die Teppiche sind sowohl hin-
sichtlich der Patronenentwürfe als auch der wirktechnischen Durcharbeitung von außer-
ordentlichem Interesse. Die Bilddarstellungen stammen von leider nicht näher ge-
nannten, durch Vergleich mit den uns erhaltenen Tafelbildern der katalonischen Schule
schwer feststellbaren Malern. Bemerkenswert ist die ungleichwertige Auffassung der
„Verkündigung". Der Engel Gabriel erinnert mit seinen fliegenden Gewändern an die
Ausläufer des großen Brüsseler van Orley-Ateliers, die Gestalt der Madonna — im Rücken
der in strenge, harte Falten geraffte Baldachin — mutet an wie die Arbeit eines zweiten
Meisters; die Fassung schließlich zeigt typisch Brüsseler Gepräge; es unterliegt kaum
einem Zweifel, daß Bordürenkartons, die Joan Ferrer aus der Heimat mitbrachte, Ver-
wendung fanden. Für die Annahme spricht auch die Tatsache, daß die Kanoniker die
für die Weiterführung der Folge vorgelegte, ihnen zu einfach erscheinende Fassung
beanstanden und die Einfügung von «dos papagays o altres animals" verlangen. Der
Entwurf zu der Innendarstellung des Fragmentes geht ersichtlich nicht auf den oder
die Meister der „Verkündigung" zurück; die erträglich durchgeführten Köpfe der
Hirten stehen in scharfem Gegensatze zu dem vollkommen verzeichneten Hund. Für
den Hintergrund hat der Wirker augenscheinlich Teilstücke flämischer Fondkaitons
zusammengestoppelt; das typisch niederländische Bauernhaus mit Weiher und Zaun
wird mit der Ruinenpartie, die häufig in den zeitgenössischen Brüsseler Behängen vor-
kommt, kombiniert und mühsam durch den Baumschlag gemildert. Die Bordüre schließ-
lich verwertet die in den vierziger Jahren des 16. Säkulums in den großen Ateliers
der Hauptstadt Brabants nur noch selten verwandte, kastenförmig gefaßte Trauben-
Blumenleiste. Als Ergebnis folgert, daß Meister Ferrer zur Zeit des Auftrages des
Kapitels zu Gerona bereits ein Mann in vorgerücktem Lebensalter war, daß er viele
Jahrzehnte der Wanderschaft hinter sich gehabt haben muß. Die Benutzung des ver-
alteten Kastenmusters ist schwerlich anders zu erklären, im Gegensatze hierzu stimmt
allerdings die Rahmung der Verkündigung ziemlich genau mit den gleichzeitigen
Brüsseler Fassungen überein. Als Wirker steht Ferrer auf der Höhe eines Durch-
schnittsmeisters, eine besondere Qualität eignet seinen Erzeugnissen nicht. Der Technik
nach dürfte Ferrer aus Brüssel stammen, wenngleich manche Einzelheiten, namentlich die
Lösung des Gewandes des aufrecht stehenden Hirten an Tournai erinnern; die Brüsseler
Eigenarten überwiegen jedoch bei weitem.
Zu Beginn der siebziger Jahre scheint das Atelier Ferrers erloschen zu sein. Ob der
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Die einzige nennenswerte Manufaktur des 16. Jahrhunderts ist der Betrieb des Joan
Ferrer, eines wahrscheinlich aus den Niederlanden zugewanderten Meisters. Ein glück-
liches Geschick hat uns verschiedene Teppiche der für die Kathedrale von Gerona
gewirkten Folgen erhalten (10). Der maßgebende, zwischen den Beauftragten des
Kapitels zu Gerona und „mestre Joan ferrer tapisser de Barcelona" abgeschlossene Ver-
trag (11), der unter dem 26. November 1560 die endgültige Bestätigung findet, ver-
pflichtet den Wirker zur Anlieferung des Behanges der «Verkündigung Mariä" (Abb. 483)
innerhalb einer Frist von vier Monaten; alle Einzelheiten, Art der Ausführung und Ver-
gütung, werden eingehend erörtert. Ferrer siedelt vorübergehend nach Gerona über.
Der Teppich gelangt ordnungsmäßig zur Ablieferung, am 1. März 1561 quittiert Ferrer
über eine Teilzahlung, der Restbetrag der mit 65 „lliures barcelonenses" vereinbarten
Vergütung gelangt am 11. Juni 1561 zur Ausschüttung. Das Kapitel äußert sich sehr
zufrieden über die Arbeit und betraut am 18. Juni des gleichen Jahres «Joannes farrer
Tapisserium Barchinone pro nunc gerunde commorans" mit der weiteren Durchführung
der für den Chor bestimmten Reihe, die insgesamt acht Behänge umfassen soll. Die
Beschaffung der Patronen ist Sache des Wirkers, die gewählten Motive unterliegen
der Genehmigung des Kapitels. Als Einheitspreis für die flämische Quadratelle werden
57 Sous in Ansatz gebracht. Die im Kapitelsaal noch vorhandenen sechs Behänge um-
fassen die „Verkündigung", die „Anbetung der Könige", die „Himmelfahrt Christi", die
„Ausgießung des heiligen Geistes", den „Tod und die Himmelfahrt der Gottesmutter".
Das in Abb. 484 wiedergegebene Fragment dürfte mit der Geburt des Heilandes und der
Anbetung der Hirten in Verbindung zu bringen sein. Die Teppiche sind sowohl hin-
sichtlich der Patronenentwürfe als auch der wirktechnischen Durcharbeitung von außer-
ordentlichem Interesse. Die Bilddarstellungen stammen von leider nicht näher ge-
nannten, durch Vergleich mit den uns erhaltenen Tafelbildern der katalonischen Schule
schwer feststellbaren Malern. Bemerkenswert ist die ungleichwertige Auffassung der
„Verkündigung". Der Engel Gabriel erinnert mit seinen fliegenden Gewändern an die
Ausläufer des großen Brüsseler van Orley-Ateliers, die Gestalt der Madonna — im Rücken
der in strenge, harte Falten geraffte Baldachin — mutet an wie die Arbeit eines zweiten
Meisters; die Fassung schließlich zeigt typisch Brüsseler Gepräge; es unterliegt kaum
einem Zweifel, daß Bordürenkartons, die Joan Ferrer aus der Heimat mitbrachte, Ver-
wendung fanden. Für die Annahme spricht auch die Tatsache, daß die Kanoniker die
für die Weiterführung der Folge vorgelegte, ihnen zu einfach erscheinende Fassung
beanstanden und die Einfügung von «dos papagays o altres animals" verlangen. Der
Entwurf zu der Innendarstellung des Fragmentes geht ersichtlich nicht auf den oder
die Meister der „Verkündigung" zurück; die erträglich durchgeführten Köpfe der
Hirten stehen in scharfem Gegensatze zu dem vollkommen verzeichneten Hund. Für
den Hintergrund hat der Wirker augenscheinlich Teilstücke flämischer Fondkaitons
zusammengestoppelt; das typisch niederländische Bauernhaus mit Weiher und Zaun
wird mit der Ruinenpartie, die häufig in den zeitgenössischen Brüsseler Behängen vor-
kommt, kombiniert und mühsam durch den Baumschlag gemildert. Die Bordüre schließ-
lich verwertet die in den vierziger Jahren des 16. Säkulums in den großen Ateliers
der Hauptstadt Brabants nur noch selten verwandte, kastenförmig gefaßte Trauben-
Blumenleiste. Als Ergebnis folgert, daß Meister Ferrer zur Zeit des Auftrages des
Kapitels zu Gerona bereits ein Mann in vorgerücktem Lebensalter war, daß er viele
Jahrzehnte der Wanderschaft hinter sich gehabt haben muß. Die Benutzung des ver-
alteten Kastenmusters ist schwerlich anders zu erklären, im Gegensatze hierzu stimmt
allerdings die Rahmung der Verkündigung ziemlich genau mit den gleichzeitigen
Brüsseler Fassungen überein. Als Wirker steht Ferrer auf der Höhe eines Durch-
schnittsmeisters, eine besondere Qualität eignet seinen Erzeugnissen nicht. Der Technik
nach dürfte Ferrer aus Brüssel stammen, wenngleich manche Einzelheiten, namentlich die
Lösung des Gewandes des aufrecht stehenden Hirten an Tournai erinnern; die Brüsseler
Eigenarten überwiegen jedoch bei weitem.
Zu Beginn der siebziger Jahre scheint das Atelier Ferrers erloschen zu sein. Ob der
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