Die Nähterin.
Von Netscher.
Etwa fünfunvzwanzig Jahre alt, kam Kaspar Netscher an einem sehr kühlen Herbslabende
durch das Seethor des alten Bordeaux und durchschnitt, durchaus rathlos, die gewundenen finstern
Straßen. Mancher der Franzmänner, manches der schönen Mädchen blickte den fremdgekleideten
jungen Mann mit nicht geringem Interesse an, denn der Maler war hoch und stolz gewachsen,
Hatte ein sanftes, echtes Künstlergesicht, langes, prachtvolles, blondes Haar und einen weichen
krausen, spanischen Bart. Ein mächtiger mit Federn geschmückter Krämpenhnt bedeckte seinen Kopf;
ein niederländisches Wamms mit rothen, seidenen Puffen und weiten Pluderhosen hoben noch die
Stattlichkeit seines Wuchses. Uebrigens waren diese Kleider, wie man selbst in der Dämmerung
des Abends sah, sehr abgetragen und der Aufzug des jungen Mannes ließ vermuthen, daß er in
dem Ranzen, welchen er auf dem Rücken trug, seine ganze fahrende Habe barg. Dennoch wäre es
nach dem trotzigen Blicke des Wanderers nicht gerathen gewesen, ihn mit einem Lächeln zu betrach-
ten; und was diesem herausfordernden Blicke einen besondern Nachdruck gab, das war ein quer
über das Ränzchen geschnallter Raufdegen zu Hieb und Stich mit schön verzierter Lederscheide und
mit einem kunstvoll gearbeiteten, vergoldeten Handkorbe.
Kaspar Netscher kam ans den Niederlanden, um sich nach Rom zu begeben. Aber seine beij
seinem Ausmarsche vom Haag nur leichtbeschwerte Geldbörse war schon drei Tagemärsche vor
Bordeaux bis auf den letzten Sol geleert. Ermüdet, hungrig, einsam wie ein Schiffbrüchiger auf
dem Meer, ohne Hoffnung ein bekanntes Menschengesicht zu erblicken, welchem er seine Noth hätte
klagen können, marschirte der arme Maler durch die Straßen, um eine Herberge aufznfinden.
Schon an verschiedenen Thüren hatte er angepocht, den Wirth herausgerufen und ihn gefragt:
„Beherbergt Ihr einen fahrenden Künstler, wenn er Euch oder einen von Euren Angehörigen
nach der Kunst abconterseit?"
„Oisu m'en preserve!" war die Antwort gewesen.
Netscher verließ, das Haupt immer tiefer und betrübter senkend, die breiten Hauptstraßen
um ärmere und barmherzigere Schenkwirthe aufzusuchen. In einem dieser Gäßchen waren die
Thüren eines Gasthauses weit geöffnet. Es war Helles Licht in den Zimmern, heitere, lärmende
Gesellschaften von Seeleuten trieben da ihr Wesen und einladend stand ein dicker Mann mit weißer
Schürze, sehr selbstgefällig lächelnd, in der Thür unter der großen Laterne und rief, wenn etwa ein
Zug taumelnder Matrosen die Straße passirte, mit der einschmeichelndsten Stimme von der Welt
die Leute an, um an den Freuden seines Paradieses Theil zu nehmen.
„Wir Haben kein Geld mehr!" erwiederten drei Seemänner, welche dicht vor Kaspar Netscher
gingen, den Anruf des Gastgebers. „Wir sind rein ausgekocht, haben auch keinen Durst mehr, und
da sind wir, Kaus ' äs Visu! Heute Abend für Dich wettermäßig überflüssige Maate."
„Schämt Euch!" ries der Wirth, mit beiden Händen winkend. „Seit wann ist Papa Bonnet
2*
Von Netscher.
Etwa fünfunvzwanzig Jahre alt, kam Kaspar Netscher an einem sehr kühlen Herbslabende
durch das Seethor des alten Bordeaux und durchschnitt, durchaus rathlos, die gewundenen finstern
Straßen. Mancher der Franzmänner, manches der schönen Mädchen blickte den fremdgekleideten
jungen Mann mit nicht geringem Interesse an, denn der Maler war hoch und stolz gewachsen,
Hatte ein sanftes, echtes Künstlergesicht, langes, prachtvolles, blondes Haar und einen weichen
krausen, spanischen Bart. Ein mächtiger mit Federn geschmückter Krämpenhnt bedeckte seinen Kopf;
ein niederländisches Wamms mit rothen, seidenen Puffen und weiten Pluderhosen hoben noch die
Stattlichkeit seines Wuchses. Uebrigens waren diese Kleider, wie man selbst in der Dämmerung
des Abends sah, sehr abgetragen und der Aufzug des jungen Mannes ließ vermuthen, daß er in
dem Ranzen, welchen er auf dem Rücken trug, seine ganze fahrende Habe barg. Dennoch wäre es
nach dem trotzigen Blicke des Wanderers nicht gerathen gewesen, ihn mit einem Lächeln zu betrach-
ten; und was diesem herausfordernden Blicke einen besondern Nachdruck gab, das war ein quer
über das Ränzchen geschnallter Raufdegen zu Hieb und Stich mit schön verzierter Lederscheide und
mit einem kunstvoll gearbeiteten, vergoldeten Handkorbe.
Kaspar Netscher kam ans den Niederlanden, um sich nach Rom zu begeben. Aber seine beij
seinem Ausmarsche vom Haag nur leichtbeschwerte Geldbörse war schon drei Tagemärsche vor
Bordeaux bis auf den letzten Sol geleert. Ermüdet, hungrig, einsam wie ein Schiffbrüchiger auf
dem Meer, ohne Hoffnung ein bekanntes Menschengesicht zu erblicken, welchem er seine Noth hätte
klagen können, marschirte der arme Maler durch die Straßen, um eine Herberge aufznfinden.
Schon an verschiedenen Thüren hatte er angepocht, den Wirth herausgerufen und ihn gefragt:
„Beherbergt Ihr einen fahrenden Künstler, wenn er Euch oder einen von Euren Angehörigen
nach der Kunst abconterseit?"
„Oisu m'en preserve!" war die Antwort gewesen.
Netscher verließ, das Haupt immer tiefer und betrübter senkend, die breiten Hauptstraßen
um ärmere und barmherzigere Schenkwirthe aufzusuchen. In einem dieser Gäßchen waren die
Thüren eines Gasthauses weit geöffnet. Es war Helles Licht in den Zimmern, heitere, lärmende
Gesellschaften von Seeleuten trieben da ihr Wesen und einladend stand ein dicker Mann mit weißer
Schürze, sehr selbstgefällig lächelnd, in der Thür unter der großen Laterne und rief, wenn etwa ein
Zug taumelnder Matrosen die Straße passirte, mit der einschmeichelndsten Stimme von der Welt
die Leute an, um an den Freuden seines Paradieses Theil zu nehmen.
„Wir Haben kein Geld mehr!" erwiederten drei Seemänner, welche dicht vor Kaspar Netscher
gingen, den Anruf des Gastgebers. „Wir sind rein ausgekocht, haben auch keinen Durst mehr, und
da sind wir, Kaus ' äs Visu! Heute Abend für Dich wettermäßig überflüssige Maate."
„Schämt Euch!" ries der Wirth, mit beiden Händen winkend. „Seit wann ist Papa Bonnet
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