CiMabUe.
Die italienische Plastik und Malerei im Mittelalter entwickelte sich viel langsamer und
schwieriger, als dieselben Künste in den Ländern jenseits der Alpen, besonders in Deutschland und
Frankreich. In Italien finden wir nicht blos jene Unbehiilflichkeit der Natur gegenüber, jenen
Mangel klaren und unbefangenen Anschauens der wirklichen Dinge, welcher der mittelalterlichen
Auffassung überhaupt eigen ist, sondern es fehlt hier außerdem jener großartige Sinn für würde-
volle architektonische Haltung, jene bald feierliche und getragene, bald weiche und innige Empfindung,
welche dort selbst unvollkommenen Arbeiten einen eigenthümlichen Werth verleiht. Das sind
Eigenschaften, welche eine bestimmte sittliche Bildung voraussetzen, und von einer solchen konnte
unter den wirren, zerrissenen, moralisch haltlosen Zuständen Italiens im früheren Mittelalter
nicht die Rede sein. Erst im dreizehnten Jahrhundert ist — wenigstens in dem mittleren und
nordischen Italien — ein freierer Aufschwung der Gesinnung und der Thatkrast unverkennbar, und
die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts sieht dann auch eine geschlossene, selbständige Entwickelung
der darstellenden Künste. Toscana ist die Landschaft, in welcher diese vorzugsweise ihren Sitz Hat,
und die berühmten Freistädte Florenz, Pisa, Siena stehen tonangebend da.
Die historische Ueberlieserung pflegt auch die Umwandlung allgemeiner Verhältnisse mit Vor-
liebe an einzelne Persönlichkeiten zu knüpfen, und so nennen unsere ältesten Quellen den Bildhauer
Niccola Pisano und den Maler Giovanni Cimabue als diejenigen Meister, durch deren Ver-
dienst hauptsächlich ein freieres Kunstleben beginnt. Cimabue war 1240 in Florenz geboren und
stammte aus einer damals hochangesehenen Familie in dieser Stadt. „Er befolgte die griechische
Manier", heißt es von ihm in den Aufzeichnungen des Bildhauers Lorenzo Ghiberti, und Vasari
erzählt gar, daß er seine Ausbildung und Richtung griechischen Malern danke, welche damals von
den städtischen Behörden nach Florenz berufen worden seien, um größere Arbeiten auszuführen.
Diese Notiz hat durch neuere Forschungen keine Bestätigung erhalten. Vasari scheint solche Aeuße-
rungen, wie diejenige Ghiberti's, nur falsch verstanden und novellistisch ausgeführt zu Haben.
Wenn seine Gewährsmänner bei Rückblicken aus das Mittelalter von griechischer oder byzantinischer
Kunst sprechen und diese der italiänischen Kunst gegenüberstellten, so haben sie damit wesentlich nur
einen Unterschied des Stils bezeichnen wollen. Es ist richtig, daß der Einfluß der byzantinischen
Kunst in Italien während des Mittelalters viel stärker war als im Norden, wo die Beziehungen
zum Osten viel spärlicher sind und wo sich auch viel früher ein selbständiges Kunstgesühl regt.
Deßhalb hat man aber in den meisten Fällen keineswegs eine Thätigkeit griechischer Künstler auf
italiänischem Boden vorauszusetzen. Gegenüber der Rohheit des Gefühls und der ungefügen
Formlosigkeit, welche manche bildnerischen und malerischen Leistungen Italiens zeigen, die den
fremden Einflüssen freier gegenüberstehen, ist die architektonische Strenge und Feierlichkeit nach
byzantinischer Art, wenn auch gebunden und schematisch, immer noch im Vorzug.
Deutschlands Kunstschätze IV
1
Die italienische Plastik und Malerei im Mittelalter entwickelte sich viel langsamer und
schwieriger, als dieselben Künste in den Ländern jenseits der Alpen, besonders in Deutschland und
Frankreich. In Italien finden wir nicht blos jene Unbehiilflichkeit der Natur gegenüber, jenen
Mangel klaren und unbefangenen Anschauens der wirklichen Dinge, welcher der mittelalterlichen
Auffassung überhaupt eigen ist, sondern es fehlt hier außerdem jener großartige Sinn für würde-
volle architektonische Haltung, jene bald feierliche und getragene, bald weiche und innige Empfindung,
welche dort selbst unvollkommenen Arbeiten einen eigenthümlichen Werth verleiht. Das sind
Eigenschaften, welche eine bestimmte sittliche Bildung voraussetzen, und von einer solchen konnte
unter den wirren, zerrissenen, moralisch haltlosen Zuständen Italiens im früheren Mittelalter
nicht die Rede sein. Erst im dreizehnten Jahrhundert ist — wenigstens in dem mittleren und
nordischen Italien — ein freierer Aufschwung der Gesinnung und der Thatkrast unverkennbar, und
die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts sieht dann auch eine geschlossene, selbständige Entwickelung
der darstellenden Künste. Toscana ist die Landschaft, in welcher diese vorzugsweise ihren Sitz Hat,
und die berühmten Freistädte Florenz, Pisa, Siena stehen tonangebend da.
Die historische Ueberlieserung pflegt auch die Umwandlung allgemeiner Verhältnisse mit Vor-
liebe an einzelne Persönlichkeiten zu knüpfen, und so nennen unsere ältesten Quellen den Bildhauer
Niccola Pisano und den Maler Giovanni Cimabue als diejenigen Meister, durch deren Ver-
dienst hauptsächlich ein freieres Kunstleben beginnt. Cimabue war 1240 in Florenz geboren und
stammte aus einer damals hochangesehenen Familie in dieser Stadt. „Er befolgte die griechische
Manier", heißt es von ihm in den Aufzeichnungen des Bildhauers Lorenzo Ghiberti, und Vasari
erzählt gar, daß er seine Ausbildung und Richtung griechischen Malern danke, welche damals von
den städtischen Behörden nach Florenz berufen worden seien, um größere Arbeiten auszuführen.
Diese Notiz hat durch neuere Forschungen keine Bestätigung erhalten. Vasari scheint solche Aeuße-
rungen, wie diejenige Ghiberti's, nur falsch verstanden und novellistisch ausgeführt zu Haben.
Wenn seine Gewährsmänner bei Rückblicken aus das Mittelalter von griechischer oder byzantinischer
Kunst sprechen und diese der italiänischen Kunst gegenüberstellten, so haben sie damit wesentlich nur
einen Unterschied des Stils bezeichnen wollen. Es ist richtig, daß der Einfluß der byzantinischen
Kunst in Italien während des Mittelalters viel stärker war als im Norden, wo die Beziehungen
zum Osten viel spärlicher sind und wo sich auch viel früher ein selbständiges Kunstgesühl regt.
Deßhalb hat man aber in den meisten Fällen keineswegs eine Thätigkeit griechischer Künstler auf
italiänischem Boden vorauszusetzen. Gegenüber der Rohheit des Gefühls und der ungefügen
Formlosigkeit, welche manche bildnerischen und malerischen Leistungen Italiens zeigen, die den
fremden Einflüssen freier gegenüberstehen, ist die architektonische Strenge und Feierlichkeit nach
byzantinischer Art, wenn auch gebunden und schematisch, immer noch im Vorzug.
Deutschlands Kunstschätze IV
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