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Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Bearb.]; Meyer, Bruno [Bearb.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 4) — Leipzig: Verlag von A.H. Payne, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.62337#0160
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Zagdscene.
Von Philipp Wouverman.
Da, wo Altflandern in einer scharf vorgeschobenen Spitze an Frankreich stieß, in einer
wenig bebauten, dafür aber desto malerischeren Gegend, aus Waldstrecken und Haiden mit einzelnen
Hügelreihen gebildet, stand ein altes Herrenschloß inmitten einer hügeligen, von dichtem Walde
umgebenen Lichtung.
Die Besitzer dieses Schlosses und zugleich des Grundes und Bodens auf viele Meilen
weithin waren seit unvordenklichen Zeiten die Herren von Bopres Der Krieg aber Hatte die
Reihen dieses Stammes gewaltig gelichtet, und als der letzte Mann desselben, Castre Teophile
de Bopres, im Alter von fast neunzig Jahren starb, hinterließ er nur eine Erbin, seine jüngste
Großtochter, Diana de Bopres, welche genau siebzig Jahre jünger war als er.
Diana stand in einer sehr unruhigen, wechselvollen Zeit als die Herrin weitläufiger Be-
sitzungen da. Sie fürchtete indeß weder die französischen, noch die niederländischen Soldatenhaufen,
denn sie besaß unendlich wenig, was die Raublust dieser Herren zu reizen vermochte, die in Hin-
sicht auf Erpressungen in der Regel keinen Unterschied zwischen Freund oder Feind finden konn-
ten. Chateau Bopres war mit respectablen Mauern versehen und ein zwar sehr malerischer,
aber doch ein Trümmerhaufen. Nur das eigentliche Wohnhaus war besser bewahrt, und Diana
Hatte im Geschmacke ihrer Zeit dadurch eine bedeutende Verschönerung bewirkt, daß sie die ehr-
lichen altersgrauen Mauern mit profaner Kalktünche anstreichen ließ. Im Innern war dies
auf solche Weise, wie eine Inschrift über der Thür besagte, „renovirte" Herrenhaus mit seinen
niedrigen schmalen Zimmern, mit den vielen halbrunden Erkerstübchen, ungemein wohnlich und
bequem. Die Menschen jedoch waren in diesem Schlosse zu spärlich anzutreffen, als daß ein
Fremder sich hier in diesen öden Hallen und Gemächern heimisch hätte finden können
Diana von Bopres besaß, wie gesagt, keine Angehörigen und hatte das Mißgeschick, durch
ihren verstorbenen, unsäglich proeeßsüchtigen alten Großvater mit den sämmtlichen edlen und
unedlen reichen Familien der Nachbarschaft verfeindet zu sein. Sie blieb also einsam und ver-
lassen, und nur einige Gläubiger statteten ihr von Zeit zu Zeit Besuche der unangenehmsten
Art ab.
Zuerst weinte Diana über ihre Einsamkeit und fürchtete sich auf dem Schlosse, das sie
schon längst „das Eulennesi" getauft Hatte. Der Mensch gewöhnt sich jedoch, mit Ausnahme
des Sterbens, endlich an Alles. Auch Diana vergaß es, daß ihre Wohnung von allen Menschen
abgewandt liege, daß dieselbe ein Aufenthalt für alle möglichen Menschen, nur nicht für ein
schönes zwanzigjähriges Edelfräulein sei; sie dachte nicht mehr daran, daß das einzige weibliche
Wesen, welches sich außer ihr auf Bopres befand, die getreue Kammerjungfer, Köchin, Gärtnerin
und Viehmagd Genevieve, ungeachtet ihrer sonstigen Vorzüge, unbeschreiblich dick, häßlich und
dumm war; ja es kam der jungen Dame nur sehr selten in den Sinn, in welcher wahrhaft
 
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