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Grimm, Herman; Grimm, Herman [Hrsg.]
Fragmente (Band 1,1) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.47241#0071
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Zahlung wieder in Fluß zu bringen sucht. In langsamen,
oft stockenden Schritten gelangt sie endlich auf sich selbst.
Nun weiß Thoas endlich, was sie lange Jahre vor ihm ver-
heimlicht hatte.
Vergleichen wir den Aufbau dieser Scene mit ihrer
frühesten Gestaltung, so zeigt sich, wie sehr die letzte Um-
arbeitung die anfängliche Niederschrift übertrifft, und Goethe
in Italien erst das Geheimniß des hohen dramatischen Stiles
entdeckte. Noch in der Bearbeitung von 1781 ist diese Scene
epischer Art. Anfangs schrieb Goethe:
Iphigenie.
Ungern löst sich die Zunge, ein lang verschwiegen Geheimniß zu
entdecken. Einmal vertraut, verläßt's unwiederbringlich die Tiefe des
Herzens und schadet oder nützt, wie es die Götter wollen. Ich bin aus
Tantal's merkwürdigem Geschlecht.
Thoas.
Du sprichst ein großes Wort. Nennst du den deinen Ahnherrn,
den die Welt als einen ehemals Hochbegnadigten der Götter kennt?
Jst's jener Tantal, den Jupiter zu Rath und Tafel zog, an dessen alt-
erfahrnen, vielverknüpfenden Gesprächen die Götter wie an einem reichen
Orakelsinne sich ergötzten?
Iphigenie.
Er ist's, doch Götter sollten nicht mit Menschen wandeln; das
sterbliche Geschlecht war viel zu schwach, in dieser Ungleichheit sich gleich
zu halten.
Und dagegen 1786:
Iphigenie.
Vom alten Banne löset ungern sich
Die Zunge los, ein lang verschwiegenes
Geheimniß endlich zu entdecken; denn
Einmal vertraut, verläßt es ohne Rückkehr
Des tiefen Herzens sichre Wohnung, schadet,
Wie es die Götter wollen, oder nützt.
Vernimm! Ich bin aus Tantalus' Geschlecht!
 
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