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zeugt. Aber der Erfolg ihres Geständnisses ist ein anderer
als Iphigenie erhoffte: die Ehrfurcht vor Tantalus' einst-
maliger Größe löscht für den König alle Bedenken aus, die
sein Sturz und die Verbrechen der Tantaliden in ihm erregen
könnten.
Anfangs zweifeln wir allerdings, ob diese Denkweise bei
Thoas den Sieg davontragen werde. Wir glauben vor uns
zu sehen, wie der König beim trocknen Aufzahlen der bösen
Thaten der Vorfahren Iphigeniens immer bedenklicher und
finsterer wird. Was wird er sagen, wenn Iphigenie zu Ende
ist? In jedem Absätze weiter enthüllt sie neues Unheil. Wenn
Thoas nach diesen Geständnissen noch die Hand der Tochter
des Agamemnon verlangt, so spricht das für alles Große und
Edle und Männliche in ihm. Zugleich aber empfinden wir
nun auch, daß er Iphigenie nicht wieder loslassen wird.
Nicht jugendliche Leidenschaft kettet ihn an sie, sondern die
Gewißheit, daß er sie nicht mehr entbehren könne. Tag und
Nacht will er in seiner Betrübniß sie tröstend neben sich haben.
Er besteht auf seiner Werbung.
Der Kampf der Rede beginnt zwischen beiden nun von
Neuem, aber in schärferem Tone als bis dahin. Vorwürfe
werden von Thoas erhoben. Er glaubt den letzten Grund
der Weigerung nun zu erkennen (das Motiv, das wir öfter
bei Goethe finden!): Iphigeniens Ahnherr habe als Sohn des
Zeus am Tische der Götter gesessen, während er — Thoas
— selbst nur der „erdgeborene Wilde" sei. Und Iphigenie
erwidert herablassend verächtlich, so büße sie jetzt das Ver-
trauen, das er ihr abgezwungen! Und nun von Thoas' Seite
Drohung und Befehl: die alten Menschenopfer werden wieder
hergestellt! Iphigenie selbst soll zwei fremde junge Leute der
Herman Grimm, Fragments. ' 4
zeugt. Aber der Erfolg ihres Geständnisses ist ein anderer
als Iphigenie erhoffte: die Ehrfurcht vor Tantalus' einst-
maliger Größe löscht für den König alle Bedenken aus, die
sein Sturz und die Verbrechen der Tantaliden in ihm erregen
könnten.
Anfangs zweifeln wir allerdings, ob diese Denkweise bei
Thoas den Sieg davontragen werde. Wir glauben vor uns
zu sehen, wie der König beim trocknen Aufzahlen der bösen
Thaten der Vorfahren Iphigeniens immer bedenklicher und
finsterer wird. Was wird er sagen, wenn Iphigenie zu Ende
ist? In jedem Absätze weiter enthüllt sie neues Unheil. Wenn
Thoas nach diesen Geständnissen noch die Hand der Tochter
des Agamemnon verlangt, so spricht das für alles Große und
Edle und Männliche in ihm. Zugleich aber empfinden wir
nun auch, daß er Iphigenie nicht wieder loslassen wird.
Nicht jugendliche Leidenschaft kettet ihn an sie, sondern die
Gewißheit, daß er sie nicht mehr entbehren könne. Tag und
Nacht will er in seiner Betrübniß sie tröstend neben sich haben.
Er besteht auf seiner Werbung.
Der Kampf der Rede beginnt zwischen beiden nun von
Neuem, aber in schärferem Tone als bis dahin. Vorwürfe
werden von Thoas erhoben. Er glaubt den letzten Grund
der Weigerung nun zu erkennen (das Motiv, das wir öfter
bei Goethe finden!): Iphigeniens Ahnherr habe als Sohn des
Zeus am Tische der Götter gesessen, während er — Thoas
— selbst nur der „erdgeborene Wilde" sei. Und Iphigenie
erwidert herablassend verächtlich, so büße sie jetzt das Ver-
trauen, das er ihr abgezwungen! Und nun von Thoas' Seite
Drohung und Befehl: die alten Menschenopfer werden wieder
hergestellt! Iphigenie selbst soll zwei fremde junge Leute der
Herman Grimm, Fragments. ' 4