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Grimm, Herman; Grimm, Herman [Hrsg.]
Fragmente (Band 1,1) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.47241#0289
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265

Der zweite Mann ist George Bancroft. Bancroft hatte
in Deutschland studiert. War in seinem Vaterlands dann als
Gelehrter und Staatsmann hoch emporgestiegen, ging als Ge-
sandter der Vereinigten Staaten nach England und kam von
da nach Berlin. Während die Amerikanischen Gesandten
sonst rasch wechseln, ist George Bancroft von 1867 bis 1874,
sieben Jahre, bei uns geblieben. Jedermann kannte ihn. Er
war der Freund aller Gelehrten in Berlin. Immer fand
man studierende junge Amerikaner bei ihm im Hause. Seit
seiner Anwesenheit hier ist Berlin zu der Universität ge-
worden, die sie am liebsten ,aufsuchen. Ich erinnere mich,
wie er zuerst bei mir eintrat. Mit kurzem, weißem Haar
und wettergebräunten Zügen. Er sagte, er suche mich auf,
weil er in Göttingen studiert habe und weil mein Vater und
Onkel, Jacob und Wilhelm Grimm, dort Professoren ge-
wesen seien. Wir sind Freunde gewesen. Er war freilich
beinahe 30 Jahre älter als ich. Ich habe viel von ihm ge-
lernt und bin ihm dankbar. Bei Niemand anders hätte ich
diese Dinge lernen können: Geschichtliche Anschauungen. Ich
sehe sein Arbeitszimmer noch vor mir, ein großer, stiller
Raum, die Wände mit Büchern bedeckt. Darin stand auch
sein Bett, mit der langüberhängenden grünseidenen Decke, und
da stand sein Arbeitstisch. Manchmal, wenn wir zusammen
saßen und es dunkel ward, steckte er ein kleines Wachslicht
an, das auf einem niedrigen silbernen Leuchter dastand. Ich
sehe ihn vor nur in der weiten mit Dämmerung erfüllten
Stube.
George Bancroft's naher Freund war Ernst Curtius,
dessen frischen Verlust wir betrauern, ftleber 80 Jahre hat
auch er gelebt und bis in die letzten Tage gearbeitet. Jugend-
 
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