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verfahren bei Dante anwenden, so würde es in überraschend
sinnfälliger Art zeigen, in welcher Progression sein Verhält-
niß zum deutschen Volke an Umfang gewinnt. Dieser Zu-
wachs ist bei Dante um so erstaunlicher, als seine Welt-
anschauung, irdische wie göttliche Dinge anlangend, dem Ger-
manen fremd, zum Theil unverständlich ist. Bedeutenden
Antheil an unserem Näherherantreten hat das politische Ele-
ment. Dante war im Laufe der Zeit zu dem befreienden
guten Geiste Italiens geworden. Als dem privaniu vrovovs
der Wendung, die die Geschicke Italiens aus der Knechtschaft
zur Freiheit nahmen, werden ihm in seinem Vaterlande über-
all Statuen errichtet. Aber auch unsere Stellung zum Inhalt
seiner Dichtung ist heute eine andere als vor hundert Jahren.
Wir sehen die Mischung antiken und modernen Wesens, aus
der das wunderbare Gewand von ihm gewoben worden ist,
in das er Himmel und Hölle kleidete, mit uubefangeneren
Blicken an. Unser literarischer Horizont ist weiter geworden.
Die Madonnen Raphael's sind in protestantischen Häusern
ebenso heimisch wie in katholischen. Dante hat, wie die
großen italienischen Meister, etwas Confessionsloses. Die
Gedankenkraft, die Dante's Versen entströmt, die Macht, mit
der er unsere Phantasie zwingt, seine Anschauungen zu
reproduciren, ist das Entscheidende für den Erfolg seiner
Dichtungen. Sie zu kennen, wird immer größeren Kreisen
Genuß und Bedürfniß. Und so stehen wir auch hier der
Thatsache gegenüber, daß das Ernste und Große unaufhalt-
sam seine Wirkung thue.
verfahren bei Dante anwenden, so würde es in überraschend
sinnfälliger Art zeigen, in welcher Progression sein Verhält-
niß zum deutschen Volke an Umfang gewinnt. Dieser Zu-
wachs ist bei Dante um so erstaunlicher, als seine Welt-
anschauung, irdische wie göttliche Dinge anlangend, dem Ger-
manen fremd, zum Theil unverständlich ist. Bedeutenden
Antheil an unserem Näherherantreten hat das politische Ele-
ment. Dante war im Laufe der Zeit zu dem befreienden
guten Geiste Italiens geworden. Als dem privaniu vrovovs
der Wendung, die die Geschicke Italiens aus der Knechtschaft
zur Freiheit nahmen, werden ihm in seinem Vaterlande über-
all Statuen errichtet. Aber auch unsere Stellung zum Inhalt
seiner Dichtung ist heute eine andere als vor hundert Jahren.
Wir sehen die Mischung antiken und modernen Wesens, aus
der das wunderbare Gewand von ihm gewoben worden ist,
in das er Himmel und Hölle kleidete, mit uubefangeneren
Blicken an. Unser literarischer Horizont ist weiter geworden.
Die Madonnen Raphael's sind in protestantischen Häusern
ebenso heimisch wie in katholischen. Dante hat, wie die
großen italienischen Meister, etwas Confessionsloses. Die
Gedankenkraft, die Dante's Versen entströmt, die Macht, mit
der er unsere Phantasie zwingt, seine Anschauungen zu
reproduciren, ist das Entscheidende für den Erfolg seiner
Dichtungen. Sie zu kennen, wird immer größeren Kreisen
Genuß und Bedürfniß. Und so stehen wir auch hier der
Thatsache gegenüber, daß das Ernste und Große unaufhalt-
sam seine Wirkung thue.